Der ÖVP-Chef geht gestärkt in kommende Regierungsverhandlungen. Dafür bieten sich nicht nur aus seiner Sicht Sozialdemokraten und NEOS an: Auch sie sind an einer Koalition interessiert
ANALYSE DER WOCHE
Karl Nehammer ist abgesichert als ÖVP-Chef. Er ist mit der Ansage in die Nationalratswahl gegangen, nicht mit Herbert Kickl (FPÖ) zusammenzuarbeiten und auch hinterher dabei geblieben. Wichtiger: Zwei Tage nach der Wahl hat er sich die Unterstützung seines Parteivorstandes geholt. Dieser hat ihm einstimmig das Vertrauen ausgesprochen. Das sollte vorerst reichen.
Ein ÖVP-Debakel und ein FPÖ-Triumph bei der steirischen Landtagswahl Ende November kann ihm kaum noch gefährlich werden. Zumal seit dem Urnengang in Vorarlberg Mitte Oktober auch klar ist, wie sehr es auf die Leute vor Ort ankommt. Im äußersten Westen haben sich Türkise überraschend klar auf Platz eins gehalten. Das war eine Vorgabe für den steirischen Landeshauptmann Christopher Drexler (ÖVP): Es liegt an ihm zu liefern. Nehammers Einfluss ist begrenzt.
Natürlich gibt es in der Partei weiter Stimmen, wonach Blau-Türkis mit Kickl das geringere Übel wäre als Türkis-Rot-Pink mit „dem linken“ SPÖ-Vorsitzenden Andreas Babler. Nehammer kann jedoch davon ausgehen, dass es möglich ist, derlei zu zerstreuen: In der Sozialdemokratie sind Wiener und Gewerkschafter bestimmend geworden, denen es nicht um eine 32-Stunden-Woche oder eine Vermögenssteuer geht; die bereit sind, über alles zu reden, weil sie eine Einigung wollen. Da kann er, der dann Kanzler bleiben und dieses Amt der ÖVP retten würde, zuversichtlich sein.
Und NEOS? Für Nehammer wäre die wirtschaftsfreundliche Partei als Koalitionspartner ein Signal an all jene in den eigenen Reihen, die einen Linksruck befürchten. Billig wird sie jedoch nicht zu haben sein. Wobei: Gerade in ihrer Wählerschaft ist der Wunsch groß, dass sie endlich einmal regiert und gestaltet. Also steht sie schon auch unter Druck, die Gelegenheit zu nützen.
FAKTUM DER WOCHE
SPÖ hat die Verbindung zu Arbeitern längst verloren
Sozialdemokraten müssen sich bei ihrer einst wichtigsten Wählergruppe seit Jahren Freiheitlichen geschlagen geben. Auch unter Babler ist das so. Dafür gibt es Erklärungen.
Ex-SPÖ-Chef Christian Kern hat nach der Nationalratswahl ein Problem seiner Partei angesprochen: Sie werde überproportional von städtischen Bildungseliten und Pensionisten unterstützt, meinte er. Das sind zwar große, relevante Wählergruppen. Wenn man den Anspruch hat, darüber hinaus die Partei der Arbeiterinnen und Arbeiter zu sein, sollte man aber auch bei diesen hoch im Kurs sein.
Die SPÖ tut das schon lange nicht mehr: Seit der Nationalratswahl 2013 muss sie sich hier Freiheitlichen geschlagen geben. Das zeigen Befragungsergebnisse des Sozialforschungsinstituts „Foresight“. Zuletzt musste sie sich mit 20 Prozent der Stimmen begnügen, während die FPÖ auf 50 Prozent kam. Der Abstand geht damit weit über alle Schwankungsbreiten hinaus.
Man habe „Hackler“ zurückholen wollen und „Yoga-Lehrer aus dem siebten Bezirk“ in Wien erreicht, so Christian Kern nicht zuletzt auch an die Adresse seines Nach-Nachfolgers an der Bundesparteispitze, Andreas Babler. Wobei: Schon er hat als Spitzenkandidat 2017 eher nur den Grünen Stimmen abgenommen. Es war ein Ausgleich zu jenen, die von der SPÖ zur FPÖ abwanderten.
Arbeiterinnen und Arbeiter könnten für die Sozialdemokratie auch wichtig sein, um es bei Nationalratswahlen zumindest in die Nähe von Platz eins zu bringen. Warum aber erreicht sie nur noch so wenige? Es hat wohl damit zu tun, dass Eurobarometer-Erhebungen zufolge der Glaube an das schwindet, wofür die SPÖ steht: Chancengleichheit. Und dass besonders Arbeiter eine Verschlechterung ihrer persönlichen Lebensverhältnisse sehen; oder auch Dingen wie der EU und Migration weit überdurchschnittlich kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Hier werden sie von der FPÖ gezielt angesprochen – in vielen Fällen mit Erfolg.