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Polen: Das neue Kraftzentrum der EU

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Mit klugen EU-Förderungen und dynamischer Wirtschaftspolitik hat sich Polen zum Wachstumsmotor Europas entwickelt. Das Land wächst dreimal schneller als der EU-Durchschnitt und etabliert sich als neue Wirtschaftsmacht im Osten.

Derzeit kommen Warschau-Reisende am Chopin-Flughafen an. Benannt nach dem weltberühmten polnisch-französischen Komponisten liegt er nur sieben Kilometer von Warschaus Innenstadt entfernt. Der Flughafen ist gut erreichbar, aber stark ausgelastet und aufgrund der zentralen Lage nicht erweiterbar. Daher muss ein neuer her, finden Polens Politiker.

Erst im Juni gab Ministerpräsident Donald Tusk grünes Licht für den Bau eines neuen Megaflughafens. Der Cen­tralny Port Komunikacyjny, kurz CPK, soll in Baranów etwa 40 Kilometer außerhalb von Warschau entstehen und  kurzfristig 34 Millionen Passagiere abfertigen. Ein Riesenprojekt, viel größer als der neu gebaute Flughafen Berlin-Brandenburg und eine Kampfansage. Denn viele Reisende aus dem Osten der EU, die jetzt an westeuropäischen Flughäfen umsteigen, könnten dann den CPK nutzen.

Dahinter verbirgt sich eine viel größere Erzählung: Polen, lange als armer Nachbar in der EU belächelt, entwickelt eine wirtschaftliche Kraft, von der Länder wie Deutschland und Österreich nur träumen können.

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Warschau: Das wirtschaftliche Zentrum Polens ist eines der am schnellsten wachsenden Metropolen Europas. Die Hauptsatdt erwirtschaftet etwa 20 Prozent des polnischen BIPs.

 © Getty Images

Aufbruchsstimmung

Trotz dieser speziellen Rahmenbedingungen sind die Zahlen beeindruckend. Seit dem EU-Beitritt legte das Bruttoinlandsprodukt des Landes um das Dreieinhalbfache zu. Und auch heuer wächst Polen aufgrund des starken Privatkonsums drei Mal schneller als der europäische Durchschnitt. Selbst wenn es im Herbst eine kleine Delle gegeben hat, möglicherweise aufgrund des Hochwassers, das auch Teile Polens empfindlich traf – ein Bummel durch Warschaus Innenstadt bestätigt dieses Bild. Es herrscht geschäftiges Treiben, die Cafés und Restaurant sind gut besucht, Aufbruchstimmung liegt in der Luft.

Christian Lassnig leitet seit Juli 2023 das WKÖ-AußenwirtschaftsCenter in Warschau. Davor war er auch in Rumänien tätig. Er beobachtet Unterschiede zwischen den beiden Ländern. „In Rumänien war die Situation vor 25 Jahren extrem. Ein Wocheneinkauf hat mich damals drei Millionen Lei gekostet. Die Mindestpension lag aber bei 750.000 Lei. Die Inflation war auch in Polen hoch, aber diese extreme Form hat es hier nie gegeben. Die wilden Zeiten nach dem Zusammenbruch des Kommunismus waren weniger wild als anderswo.“

Es sei gelungen, viele Unternehmen in staatlichem Besitz zu halten. Auch die Privatisierung von Wohnraum gelang, es gibt heute eine Eigentümerquote von 80 Prozent, auch in den Städten. Und: Die Korruption ist in Polen verhältnismäßig gering. „Die polnische Wirtschaft war 1989 nicht allzu gut entwickelt, aber seitdem geht es ständig bergauf.

Vielfältiges Wachstum

Und das nicht nur aufgrund von Nachholeffekten. „Es ist beeindruckend, dass das Wachstum in Polen aus verschiedenen Quellen kommt“, erklärt Richard Grieveson, stellvertretender Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). „Polen ist nicht nur die sogenannte ‚verlängerte Werkbank Deutschlands‘ wie andere Länder in der Region, sondern der heimische Markt ist ebenfalls sehr stark. Die polnische Wirtschaft basiert stark auf Klein- und Mittelbetrieben. Und wir haben gesehen, dass Polen sehr widerstandsfähig ist und besser durch die Krisen der letzten Jahre gekommen ist als fast alle anderen europäischen Länder.“

Richard Grieveson, beim wiiw verantwortlich für den Bereich Mittel-, Ost- und Südeuropa, ist viel in der Region unterwegs. Und beobachtet dabei eine ganz besondere Stimmung. „Es gibt hier Dynamik, es gibt Energie und Ideen. Das ist wissenschaftlich nicht so leicht zu quantifizieren, aber man merkt eine gewisse Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit. Ich glaube, in Polen gibt es viel mehr Bereitschaft, sich mit Schwierigkeiten auseinanderzusetzen und darauf zu reagieren.“

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Christian Lassnig ist der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Warschau. Davor war er u.a. in Rumänien tätig

 © Stefan Huger/Studio Huger

Eine andere Mentalität

Auch Christian Lassnig, der österreichische Wirtschaftsdelegierte in Warschau, glaubt, dass Polens Erfolg unter anderem eine Mentalitätsfrage ist. „Jedem hier ist klar, dass man mit Fleiß und Anstrengung etwas erreichen kann. Die Leute sind hungriger. Es hilft natürlich, dass die Steuersätze niedrig sind. Wenn ich mehr arbeite, habe ich auch mehr im Geldbörsel. Ich glaube, die Menschen hier verlassen sich nicht so gerne darauf, dass sich schon jemand anderer um sie kümmern wird. Das hat es früher schon einmal gegeben, und da ging es ihnen nicht gut.“

Dass Arbeit selbstverständlich ist, gelte in Polen auch für Zugewanderte, sagt Lassnig. Polen fährt einen harten Migrationskurs. Der 187 Kilometer lange Grenzzaun zu Belarus ist politisch unumstritten. Nach Ausbruch des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine kamen zwei Millionen ukrainische Flüchtlinge nach Polen, über 70 Prozent von ihnen sind mittlerweile in den ­Arbeitsmarkt integriert. Und auch einige Expats, die ab den 90er-Jahren ihr Glück in Westeuropa suchten, kehren wieder nach Polen zurück. „Ich sehe und höre, dass viele Polinnen und Polen aus Deutschland und aus anderen Ländern zurückkehren. Es ist keine Massenbewegung, aber es gibt doch Menschen, die sagen, ich möchte meine Kinder in einem Land aufwachsen sehen, in dem die Dinge einigermaßen gut oder zuverlässig funktionieren.“ Abgesehen davon funktioniere das Bildungssystem in Polen besser: „Schulklassen mit nur wenigen Kindern, die die Landessprache gut beherrschen, das gibt es hier nicht.“

Künftige Probleme

Aber auch Polen hat mit Problemen zu kämpfen. Die Fruchtbarkeitsrate liegt bei 1,3 Kindern pro Frau, niedriger als in Österreich. Und wie in Österreich oder Deutschland droht eine Überalterung der Gesellschaft. Ein Problem, das sich nur durch Zuwanderung und Automatisierung lösen ließe, beides politisch heikel, erklärt Wirtschaftsforscher Richard Grieveson. Eine weitere Herausforderung: Der Nachholprozess, von dem Polen derzeit profitiert, verlangsamt sich, auch die Förderungen aus der EU gehen zurück – obwohl Grieveson im Unterschied zu anderen Beobachtern nicht glaubt, dass Polen schon bald zum Nettozahler in der EU aufsteigt. „Wenn der Nachholeffekt nachlässt, muss die Wirtschaft in Polen viel innovativer werden, damit das Wachstum weitergehen kann, und da gibt es noch einiges zu tun.“ Auch mit der grünen Transformation müsse sich das traditionelle Kohle-Land Polen auseinandersetzen.

Und dann sind da noch die geopolitischen Rahmenbedingungen. „Es besteht eine ständige Unsicherheit wegen der weiteren Vorgehensweise Russlands. Und wenn das NATO-Commitment der USA unter Trump tatsächlich in Frage gestellt wird, entsteht ein weiteres Problem für Polen. Ich glaube zwar, dass das Land relativ sicher ist, weil man so viel in Verteidigung investiert hat, aber diese ganzen Fragen können sich natürlich negativ auf die Wirtschaft auswirken.“

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Neues Kraftzentrum

Trotz dieser Schwierigkeiten wächst im Nordosten Europa ein neues Kraftzentrum heran, das gekommen ist, um zu bleiben, ist Richard Grieveson überzeugt. „Polen hatte schon vor 2022 ein gewisses Gewicht in der EU, aber seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ist es noch wichtiger geworden. Auch in wirtschaftlicher, aber vor allem in geopolitischer und militärischer Hinsicht. Polen investiert fünf Prozent des BIP in Verteidigung. Das gibt dem Land Gewicht. Polen wird sich deswegen auch mit dem neuen US-Präsidenten Donald Trump leichter tun als zum Beispiel Deutschland oder Frankreich.“

Polen steht mit seiner Entwicklung nicht allein da, sondern ist Teil eines generellen Trends. „Man kann sicher sagen, dass diese Region die dynamische Region in der EU ist, mit sehr guten Wachstumsraten. Und diese Länder sind auch immer mehr bereit, ihre Stimmen innerhalb der EU zu erheben. Ich glaube, sie haben gute Vorschläge.“

Die neue Businesshauptstadt Osteuropas

Noch einmal zurück zu dem Megaflughafen, der in den nächsten Jahren auf grünen Wiesen außerhalb von Warschau entstehen soll. Entworfen von dem britischen Architekturbüro Foster & Partner wird er oben aussehen wie ein riesiger Stern. Geplant ist eine große, lichtdurchflutete Haupthalle, überdacht von einer hellen, wellenförmigen Kon­struktion. Das Projekt spricht nicht nur für das neue Selbstbewusstsein Polens, es markiert auch den Anspruch, zu einem der wichtigsten Geschäftszentren Europas zu werden. Mit unmittelbaren Folgen auch für Österreich.

„Ich glaube, man kann derzeit noch argumentieren, dass Wien die Businesshauptstadt Osteuropas ist,“ sagt Richard Grieveson. „Aber Warschau ist zumindest eine starke Konkurrenz. Noch vor 15 oder 20 Jahren hatten internationale Firmen ihre Osteuropa-Headquarters fast immer in Wien. Jetzt verlagert sich viel mehr nach Warschau. Das ist sicherlich eine Entwicklung, die sich fortsetzen wird.“

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