Der mit der Fortführung der Amtsgeschäfte betraute und um die Bildung einer Koalition bemühte Karl Nehammer biedert sich X-Besitzer Elon Musk an. Die öffentliche Peinlichkeit wirkt auch als Empfehlung für die Berlusconis, die sich Puls 4 und ATV einverleiben wollen
Also sprach Karl Nehammer: „Rede- und Meinungsfreiheit sind von größter Bedeutung. X leistet einen wertvollen Beitrag, um es den Menschen zu ermöglichen, beides auszudrücken.“ Und dann bedankte der Bundeskanzler sich noch bei Multimilliardär Elon Musk: „Es war mir eine Freude, Sie kennenzulernen und wirtschaftspolitische Fragen zu diskutieren.“ Dazu ein Bild der zwei von ihrem Treffen am Rande der Wiederöffnung von Notre-Dame aus Paris. Das alles gepostet auf X.
Szenenwechsel: Die Posts von Tesla-Gründer und Twitter/X-Käufer Musk wurden dort bereits 17 Milliarden Mal angezeigt, seit er offiziell Donald Trump unterstützt. Doppelt so oft wie sämtliche politischen Werbeanzeigen. Die Zahlen stammen von der gemeinnützigen Organisation Center for Countering Digital Hate (CCDH), die in 87 dieser Äußerungen falsche oder irreführende Informationen entdeckt – u. a. dass die Demokraten Millionen von Einwanderern ohne Papiere in die USA einfliegen würden.
Ein rechter Spin gegen Bluesky
Die Desinformation via X hat die Wahl in den USA nicht entschieden. Aber diese Propaganda-Plattform des reichsten Menschen der Welt trug massiv zum Ergebnis bei. Darüber als österreichischer Kanzler mit Musk persönlich zu reden, ist wichtig und richtig. Ihn dann irreführend öffentlich für seinen Missbrauch des mächtigen Informations- und Kommunikationskanals zu loben, ist unverantwortlich und peinlich. Dass hinter dieser Anbiederung strategisches Kalkül steht, macht sie noch erbärmlicher.
Seit eine von Armin Wolf, Florian Klenk und Corinna Milborn angeführte Schar heimischer Journalisten und Meinungsbildner X verlassen hat, wittern dort Anhänger von FPÖ und ÖVP Morgenluft. Denn es war der Social-Media-Kanal mit dem geringsten türkisblauen Erfolgspotenzial. Vorsorglich versuchen Mitte-Rechts-Agitatoren das kleine #eXit-Asyl Bluesky als linken Hort zu brandmarken und X als Oase offener demokratischer Diskussion zu überhöhen. Nehammers Musk-Post dient genau diesem Spin.
Die Italo-Begier nach Puls4
Diese skrupellos opportunistische Kommunikation ist aktuell besonders gefährlich, weil immer mehr demokratisch bedenkliche, finanzkräftige Mitspieler ins Mediengeschäft drängen. Laut „Il Messaggero“ hat Media For Europe (MFE) die Bank-Austria-Mutter UniCredit beauftragt, 3,4 Milliarden Euro für die Übernahme von ProSiebenSat.1 (P7S1) zu organisieren. Hinter MFE steht ein Familienunternehmen, das von Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi (†2023) gegründet wurde, dem Pionier der Telekratie.
Die Sendergruppe um Puls4/ATV ist eine Tochter der börsenotierten P7S1. Eine alleinige Kontrolle von Europas zweitgrößtem TV-Konzern nach RTL wurde Media For Europe bereits von EU-Kommission und Österreichs Wettbewerbsbehörde genehmigt. Auflagen dafür sind, den Wien-Sitz zu belassen und Austro-Inhalte nicht zu reduzieren. Die Italiener haben das akzeptiert. Warum auch nicht? X hat unter Musk kaum weniger nationalen Content, pusht ihn aber politisch einseitig. Das könnte auch Puls 4 und ATV blühen. Vielleicht dankt dann Nehammer einem Berlusconi für seinen demokratischen Beitrag.
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