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Peter Hanke: „Die Sorge ist groß“

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Der Wiener Wirtschafts- und Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ) hätte es lieber gesehen, wenn ÖVP, SPÖ und NEOS noch länger am Verhandlungstisch ausgeharrt hätten. Dass nun die ÖVP mit den Freiheitlichen unter Herbert Kickl koalieren könnte, macht ihn nachdenklich. Hanke sagt im News-Interview: „Ich will, dass meine Kinder in einem freien, offenen Land groß werden“

Ist Österreich auf dem Weg zur Dritten Republik? Wie sehen Sie diese innenpolitisch turbulenten Tage?

Für uns in Wien ist wichtig, dass wir eine Politik betreiben, die nach vorne blickt und modern ist. Aber von Bundes­seite werden derzeit große Warnzeichen ausgesendet. Ich persönlich habe durchaus Probleme mit dieser Entwicklung, hoffe aber, dass auch auf der Bundesebene professionelle Arbeit im Fokus steht und vieles, das Kickl in Vorwahlzeiten gesagt hat, realpolitisch nicht gelebt werden wird. Aber das ist eher eine Hoffnung. Die Sorge ist groß.

Bei den ersten Auftritten Kickls zu Beginn der Regierungsverhandlungen gab es wenig Anzeichen, dass er Abstriche machen wird. Da ging es mehr um die Demütigung der ÖVP und das eigene große Selbstbewusstein.

Ich kann nur sagen: Mein persönliches Anliegen, aber auch jenes der SPÖ Wien, ist es, anders wahrgenommen zu werden. Wir haben die Fortschrittskoalition immer als Möglichkeit gesehen, dass man eine andere Politik machen kann. Diesen Weg werden wir nicht verlassen, wir werden uns vom Bund nicht treiben lassen. Aber natürlich hat das alles auch Auswirkungen auf das Leben in Wien, vor allem weil die Steuer- und Finanzpolitik der letzten Jahre ohnehin schon eine Erschwernis für alle Bundesländer war. Es wurden Steuergeschenke ohne Gegenfinanzierung verteilt, was die Gesamteinnahmen geschmälert hat.

„Wir müssen aufpassen und wachsam sein. Man muss jeden Schritt, der jetzt gesetzt wird, genau verfolgen“

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Kickl nennt Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán als Vorbild. Könnte Österreich den Weg einer liberalen Demokratie verlassen?

Für mich ist das in keinster Weise ein Vorbild, wie in Ungarn Demokratie gelebt wird. Wien ist 2024 europäische Demokratiehauptstadt geworden, weil wir transparent, offen und sozial wirtschaften. Wien ist die Antithese zu Kickl und zur FPÖ. Und das bleibt auch so. Aber ich mache mir Sorgen. Ich will, dass meine Kinder in einem modernen, offenen Land groß werden. Dass man hier seine Meinung frei äußern kann, dass man ernst genommen wird, und dass wir uns gemeinsam um den Wirtschaftsstandort kümmern. Derzeit habe ich die Befürchtung, dass das alles verkümmern könnte. Daher: Wir müssen aufpassen und wachsam sein. Man muss jeden Schritt, der jetzt gesetzt wird, genau verfolgen.

Wenn sich SPÖ, ÖVP und NEOS im Wahlkampf in etwas einig waren, dann darin, einen Kanzler Kickl verhindern zu wollen. Warum sind die drei Parteien aus Ihrer Sicht gescheitert?

Der Weg zu einer gemeinsamen Regierung war in dieser Verhandlungslogik schwierig. Es wurden unheimlich viele Menschen in sehr vielen Verhandlungsclustern zusammengespannt, aber man hat es verabsäumt, gleich zu Beginn grundsätzlich Dinge außer Streit zu stellen. Budgets oder Finanzen sollte man nicht bottom-up diskutieren. Die drei Verhandlungsführer haben es verabsäumt, selbst Vorgaben zu machen. Das hat das Vorhaben einer gemeinsamen Regierung sicher erschwert.

Man hat also nicht professionell genug verhandelt?

Die handelnden Personen haben möglicherweise im guten Glauben, aber zu breit und mit dem falschen Ansatz diskutiert.

Sie waren selbst in einer Verhandlungsgruppe. Wie war das?

Man hat gesehen, welche Schwerpunkte, die Parteien aus ihren Programmen einbringen. Politik besteht aber daraus, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Das ist in einer Finanzsituation mit 400 Milliarden Euro Verbindlichkeiten sicher schwerer als in anderen Jahren. Die Überlegung, dass man auch vermögensbezogene Elemente einbaut, dass die Parteien einen vernünftigen Mix finden aus Sparen und neuen Finanzierungsideen – da war man zu weit voneinander entfernt.

War SPÖ-Chef Andreas Babler zu wenig kompromissfähig?

Das kann ich nicht beurteilen, weil ich bei den Gesprächen am Ende nicht dabei war. Möglicherweise haben sich alle drei Verhandler schwer getan, gegenseitiges Vertrauen und den gemeinsamen Nenner anzusteuern. Ich denke, das ist wie in einer Beziehung, da ist nicht nur einer schuld, da muss sich jeder gefordert fühlen.

Haben NEOS eine Kettenreaktion in Gang gesetzt? Wäre noch etwas herausgekommen, wenn sie am Tisch geblieben wären?

Ich hätte mir schon erwartet, dass das Ziel erreicht wird. Natürlich haben die NEOS eine Kettenreaktion ausgelöst. Es ist schade, dass es dann sehr schnell zu Ende gegangen ist. Daraus muss man für die Zukunft lernen, sich mit mehr Empathie um einen gemeinsamen Nenner zu kümmern.

Die nächste Regierung muss einen Sparkurs fahren, zudem gibt es durch die Abschaffung der kalten Progres­sion und die Wirtschaftskrise geringere Steuereinnahmen und daher weniger Geld für die Länder und Gemeinden. Sie haben schon angekündigt, dass das Budgetdefizit in Wien deutlich höher ausfallen wird. Wo werden die Bürgerinnen und Bürger das spüren?

Sie werden es nirgendwo spüren, wo es um die Qualitäten der Stadt geht. Wir fühlen uns zu 100 Prozent verpflichtet, diese auf hohem Niveau zu halten – vor allem, wenn es um Zukunftsthemen wie Pflege, Gesundheit und Mobilität geht. Wir werden auch entschlossen die Energiewende und die Tiefengeothermie mit Großpumpen weiter angehen, um zu zeigen, dass Wien die Themen der Zukunft verstanden hat und wir generationenübergreifend denken. Mir ist wichtig, dass Wien einen anderen Weg geht. Nämlich einen Weg der Investitionen, um gegen die Entwicklung, die man in den letzten Rezessionsjahren gesehen hat, anzukämpfen. Die öffentliche Hand hat die Möglichkeit, mit Aufträgen die Wirtschaft anzukurbeln. Wien hat 2024 als einziges Bundesland zumindest ein kleines Wachstum von 0,3 Prozent geschafft. Das wird auch unsere Vorgangsweise für die Jahre der wirtschaftlichen Flaute sein.

Das heißt, Wien wird sich unter schwierigen Bedingungen weiter neu verschulden?

Die Maastricht-Kriterien sind einzuhalten. Aber das Wirtschaftswachstum durch falsche Sparpolitik zu hemmen, das wird es in Wien nicht geben.

Wo könnte man in der Stadt sparen?

Wir befinden uns in einer dynamischen Technologieentwicklung. Künstliche Intelligenz bringt auch Effizienzmöglichkeiten für die Verwaltung.

Diese Sparpotenziale lassen sich vielleicht mittelfristig, aber nicht von heute auf morgen heben.

Wir stimmen uns hier mit Experten ab und versuchen, diesen Weg vernünftig zu gehen. Aber noch einmal: Bei den Qualitäten, die Wien so einmalig machen, nämlich eine lebenswerte und leistbare Stadt zu sein –, all das wollen wir in keinster Form beeinflussen.

Rechnen Sie damit, dass der Sparkurs auf Bundesebene bei Projekten durchschlägt, wo der Bund normalerweise mitzahlt – etwa bei der Infrastruktur?

Ich bin ein Sachpolitiker und erwarte mir vom Gegenüber eine vernünftige, operative, wirtschaftspolitische Einstellung. Deshalb werde ich alles tun, dass wir hier professionell zusammenarbeiten. Aus heutiger Sicht ist das natürlich mit einem Fragezeichen zu versehen. Natürlich hätte das im negativen Fall Auswirkungen auf größere Finanzierungsvorhaben, wo wir über 15a-Vereinbarungen gemeinsam Projekte sicherstellen. Hier ist in den letzten Jahren viel gelungen, dieser Weg sollte nicht abgeändert werden.

Gespart werden könnte auch bei klimarelevanten Förderungen. Der Geldtopf für den Heizungstausch hin zu erneuerbaren Energien ist derzeit leer. In Wien gibt es aber immer noch Hunderttausende Gasheizungen.

Aufgrund dieser Tatsache wird die Anstrengung Wiens eine noch größere werden müssen. Wir sind mit unseren eigenen Strukturen – von Wienenergie, über die Wiener Netze, aber auch neuen Technologiebereichen wie den Wasserstoffunternehmen – hier schon sehr weit. Aber natürlich wird es schwieriger, eine Breitenwirkung zu erzielen, ohne legistische Unterstützung vom Bund. Da kann man nur an die Verantwortung der Politik appellieren, generationsübergreifend zu denken.

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„Sollten FPÖ und ÖVP scheitern, wären wir in der Sozialdemokratie natürlich bereit, weiterzuverhandeln“

Was bedeutet Blau-Schwarz für Österreichs Ruf in Europa? Was heißt es für den Tourismusstandort Wien, wenn Bilder von Demonstrationen gegen die Regierung um die Welt gehen?

Es wird in den nächsten Monaten wichtig sein, dass wir die Strahlkraft Wiens in den Fokus nehmen. Wien ist anders und Wien hat Modernität auf die eigenen Fahnen geheftet. Wir werden zeigen, dass Wien hier im Vergleich zu anderen Metropolen eine Alleinstellung einnimmt. Image wird immer wichtiger, vor allem im internationalen Wettbewerb der Städte.

Sowohl ÖVP als auch SPÖ waren am Ende von den Grünen als Koalitionspartner genervt. Aber aus heutiger Sicht: Hätte man sie nach dem Ausstieg der NEOS an den Tisch holen sollen?

Nachdem ich nicht zum engeren Verhandlungsteam gehöre, möchte ich dazu keine Aussagen machen.

Bürgermeister Michael Ludwig hat in Interviews angedeutet, die SPÖ könnte bei einem Scheitern von Blau-Scharz an den Verhandlungstisch zurückkehren. Halten Sie das für realistisch?

Derzeit gibt es einen klaren Regierungsbildungsauftrag des Bundespräsidenten an Herrn Kickl. Sollten FPÖ und ÖVP scheitern, dann wären wir in der Sozialdemokratie natürlich bereit, weiterzuverhandeln. Ich glaube nur, dass der eine Schritt jetzt einmal zu Ende gegangen werden muss, bevor man über anderes nachdenkt.

Aber: lieber verhandeln als Neuwahl?

Keiner möchte momentan Neuwahlen haben, weder die Parteien noch die Österreicherinnen und Österreicher. Es liegt an den Parteien, einen gemeinsamen, mehrheitsfähigen Nenner zu finden. Das erscheint mir vernünftiger als Neuwahlen.

Müssten bei neuen Verhandlungen nicht die Verhandlungsführer aller drei Parteien getauscht werden?

Nachdem ich nicht in den Parteigremien sitze, ist es nicht meine Aufgabe, darüber zu befinden.

Auch über eine Expertenregierung wird im Fall eines Scheiterns von Verhandlungen diskutiert.

Auch das ist möglich. Aber sich aus Wien allzu sehr einzumengen in die Überlegungen des Bundespräsidenten, halte ich im Moment nicht für geboten. Verhandeln und zu einer Mehrheit kommen, eine Expertenregierung, eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen – diese vier Optionen gibt es verfassungsrechtlich. Jedenfalls sollte man alles versuchen, um am Verhandlungstisch eine Lösung zu finden.

Die SPÖ Wien hat in Wahlkämpfen bisher profitiert, wenn es Schwarz-Blau auf Bundesebene gab – wenn man jetzt an den kurzfristigen Eigennutz denkt ...

Ich glaube, die Zeiten des kurzfristigen Eigennutzes sind vorbei. Wir sehen diese schwierige Wirtschaftslage, die hohe Inflation, die es gegeben hat. Wir haben Corona abgearbeitet, wir haben Energiekrisen gemeistert. Es gibt immer noch Krieg in Europa. Die Zeit wird nicht leichter. Deswegen muss man als Politiker transparent kommunizieren und für das Wohl auch künftiger Generationen arbeiten.

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