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Die Paradoxie der Liebe

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6 min
Dr. Monika Wogrolly
©Bild: Matt Observe/News
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Sonnenuntergang am Meer. Hannes starrt stumm auf sein Handydisplay. Dabei möchte Lucia den ersten gemeinsamen Urlaub mit ihm genießen. Die Vision romantischer Zweisamkeit bricht jäh zusammen, als sie ihn beim Durchscrollen von Bildern mit seiner Ex erwischt.

Und obwohl seine Exfrau ihn rücksichtslos von jetzt auf gleich verließ, scheint Hannes ihr noch gewogen. Dass jemand nur scheinbar getrennt, aber in Wahrheit noch an die Vergangenheit gebunden ist, äußert sich in bestimmten Verhaltensauffälligkeiten. Sie zeigen, eine verflossene Beziehung ist emotional noch nicht gegessen, was ganz und gar unpassend, ja vernichtend und achtlos beim neuen Partner ankommt. Menschen wie Hannes sind zwar dem Anschein nach geschieden und getrennt. Aber können einfach nicht die Vergangenheit loslassen.

Hier häufige Verhaltensmuster in dieser Paradoxie der Liebe:

1. Vergleiche mit früher: Die Vergangenheit ist noch immer gegenwärtig und überdeckt das Hier und Jetzt. Eine Person hält merklich die Bindung zum Phantom der vorigen Liebe aufrecht, indem sie Vergleiche mit früher zieht und in Erinnerungen lebt. Das Motiv dahinter: Man glaubt, sich so vor einem Versagensgefühl und vor dem Verlustschmerz zu schützen.

2. Die Wir-Form: Ein deutliches Zeichen klammheimlich fortbestehender Bindungsgefühle ist, wenn jemand von gemeinsamen Erlebnissen noch in der Wir-Form spricht und oftmals im Präsens, als würde es bis heute so sein. Typische Phrasen sind: "Wir machen immer " oder "Bei uns haben wir " Die Gegenwart und die Zukunft einer neuen Liebe werden somit überlagert und ignoriert.

3. Plötzliche Stimmungstiefs: Die Person, die einer vergangenen Liebe noch nachhängt und sich nicht lösen kann, outet sich mit Stimmungsschwankungen, Reizbarkeit und Depressivität. Ein signifikantes Merkmal, an dem man leicht erkennt, ob die Loslösung von der oder dem Ex noch nicht vollzogen ist: wenn die Stimmung nicht besser wird und Ablenkung nicht klappt, ein Unbehagen konstant in der Luft liegt.

4. Heroisierung: Die oder der Ex wird auf ein unsichtbares Podest gehoben, niemand darf ihn oder sie hinterfragen oder kritisieren.

5. Verteidigung des Verhaltens: Sollten neue Partnerinnen oder Partner es wagen, die oder den Ex schlechtzumachen, verbieten Betroffene ihnen den Mund und haben Erklärungen und Ausreden selbst für das Trauma des Verlassenwerdens, unter welchem sie insgeheim massiv leiden.

6. Entschuldigungen ohne Ende: Bei Konfrontation mit Tatsachen, wie etwa dem Umstand, von der oder dem Ex ausgenutzt, etwa bei einem Rosenkrieg skrupellos abgezockt und offensichtlich wohl nie geliebt, nur benutzt worden zu sein, kommt es häufig zu emotionalen Entgleisungen. Wie kann man es auch wagen, die idealisierte große Liebe durch den Schmutz zu ziehen? Die Schuld und die Verantwortung werden dann gern auf üble Einflüsse von außen verschoben, um das Strahlemann-oder Strahlefrau-Image der noch immer geliebten Person zu erhalten.

Und jetzt die große Frage: Warum idealisieren geschmähte und gleichsam entsorgte Menschen ihre Expartnerinnen oder Expartner bisweilen so hartnäckig, ja verbissen? Und leben an einer - möglicherweise - großen Chance einer neuen Liebe vorbei?

Die griechische Bezeichnung "Trauma" für eine tiefe, in dem Fall seelische Verletzung und Erschütterung zeigt sich in Bindungsängsten. Dann fällt es scheinbar leichter, an Reminiszenzen vergangenen Glücks festzuhalten, von dem keine Gefahr mehr droht - und vor allem nicht das Risiko, verlassen zu werden (denn das ist ja schon passiert), als sich schutzlos einer neuen Liebe zu öffnen und wieder hundertprozentig angreifbar zu machen.

Lucia will in ihrer Paartherapie von Hannes wissen, wieso er denn gar nicht wütend auf seine Ex sei. Sie kostete ihn das Haus, einen Teil seines Vermögens und auch den guten Ruf. Die monatlichen Unterhaltszahlungen gar nicht zu erwähnen.
Was hier geschieht, ist ähnlich wie beim Stockholm-Syndrom. Das Phänomen beschreibt das Verhalten von Geiseln eines Bankraubes, die sich nach stundenlangem Beisammensein mit ihren Kidnappern solidarisieren und der eingreifenden Polizei misstrauen, die zu ihrer Befreiung anrückt.

Ähnlich beim Verlust der Liebe: Es fällt wohl leichter, statt Aggression und Trauer über den oder die Ex wohlwollend zu sein und eher einen neuen Partner abzuwerten, anstatt sich das Scheitern einzugestehen. Paradox, aber wahr. Und unzumutbar für Lucia, die von ihrem Freund zu Recht verlangt, er möge endlich abschließen. Erst dann ist er wieder bereit für die Liebe.

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Schreiben Sie mir bitte: praxis  wogrollymonika.at

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