News Logo
ABO

Ostdeutschland: Besser als der Westen, frustrierter als der Westen

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
8 min
Tesla

©Patrick Pleul / dpa / picturedesk.com
  1. home
  2. Aktuell
  3. News

Die ostdeutsche Wirtschaft wächst – und zwar stärker als in Westdeutschland. Zudem sorgt eine Reihe von internationalen Ansiedelungen für Aufsehen. Dennoch glaubt jeder fünfte Ostdeutsche, in einer abgehängten Region zu leben

In der medialen Betrachtung von Ostdeutschland wird eine Erzählung besonders gerne strapaziert. Nämlich jene von den „verschlafenen“ Städten und Dörfern. Ausgestorbene Landstriche, wohin das Auge blickt – und von denen es, so der Eindruck, in den fünf ostdeutschen Bundesländern besonders viele zu geben scheint. Das ist die eine Wahrnehmung von Ostdeutschland. Doch es gibt auch eine andere Erzählung. Eine, die in den vergangenen Wochen und rund um die Berichterstattung zu den Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen viel zu kurz gekommen ist – und die ein anderes Bild von eben diesem Ostdeutschland zeichnet. Ein Bild, das mit den „verschlafenen“ Regionen nicht mehr viel zu tun hat. Denn die ostdeutsche Wirtschaft wächst – und zwar stärker als in Westdeutschland.

Wir sind besser!“

Heuer laut Ifo-Institut um 1,1 Prozent. Die bundesweiten Erwartungen sind im Vergleich dazu mit 0,4 Prozent deutlich gedämpfter. Schon 2023 schrumpfte bundesweit die Wirtschaft um 0,3 Prozent. Im Osten hingegen ist sie um 0,7 Prozent gewachsen. Und auch im kommenden Jahr dürfte das Wachstum in Ostdeutschland mit 1,7 Prozent weiter an Fahrt aufnehmen. „Das Wirtschaftswachstum kommt langsam aus der Krise – gezogen derzeit vom Osten“, konstatierte unlängst Wirtschaftsminister Robert Habeck. „Wir sind besser!“, jubelte parallel dazu der eigens für den Osten installierte Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider.

Giga-Fabriken und Mega-Subventionen

Gründe für das Wachstum gibt es laut Wirtschaftsforschern einige. Zum einen sei der Osten weniger stark als Westdeutschland von Exporten ins Ausland abhängig. Auch sorgten Rentenerhöhungen und Mindestlohn für Kaufkraft. Und es gab und gibt in Ostdeutschland eine Reihe von Großinvestitionen – etwa die im März 2022 eröffnete Gigafactory von Tesla in Brandenburg. Am ersten Produktionsstandort des Elektromobilitätspioniers in Europa sind aktuell 11.800 Mitarbeiter beschäftigt.

Rund 170 Kilometer vom Tesla-Werk in Grünheide in Brandenburg entfernt will der US-Konzern Intel in Magdeburg in Sachsen-Anhalt von 2027 an Computerchips produzieren. Der Grundstein für die Fabrik mit 2.000 Hightech-Arbeitsplätzen wurde heuer im August gelegt. 30 Milliarden Euro will Intel investieren. Der Bund unterstützt die Ansiedelung mit zehn Milliarden Euro.

Intel befindet sich in guter Gesellschaft. Denn auch den taiwanesischen Chip-Giganten TSMC zieht es gerade nach Ostdeutschland – genauer gesagt in das „Silicon Saxony“ im sächsischen Dresden, wo schon jetzt Europas größtes Zentrum für Halbleiterindustrie steht. TSMC plant Investitionen in Höhe von zehn Milliarden Euro, die mit bis zu fünf Milliarden subventioniert werden. Auch Infineon erweitert um fünf Milliarden Euro sein Werk in Dresden. In der AfD-Hochburg Sachsen – die Partei behauptete sich bei der Landtagswahl gerade auf Platz zwei hinter der CDU – sind rund 70.000 Menschen direkt oder indirekt in der Halbleiter-Industrie beschäftigt.

Genug Platz für alle

In Aussicht gestellte Subventionen sind ein ausschlaggebender Faktor für die zahlreichen neue Ansiedlungen. Aber auch die Tatsache, dass der Osten von Deutschland weniger dicht besiedelt ist und damit größere Flächen für Ansiedelungen zur Verfügung stehen. Davon hat lange vor den Ansiedelungen von Tesla, Intel und TSMC die heute knapp 600.000 Einwohner zählende Stadt Leipzig profitiert. Übrigens die mit Abstand am schnellsten wachsende Stadt Deutschlands in den vergangenen 15 Jahren. Porsche hat hier seit 2000 rund 1,9 Milliarden Euro investiert. 2002 folgte nur ein paar Kilometer weiter auf einem über 200 Hektar großen Areal der Spatenstich für das BMW-Werk und 2008 siedelte sich schließlich DHL mit einem Hub am Flughafen an.

Die prominenten Ansiedelungen sind zwar Prestigeprojekte, vor allem aber sind sie „nur“ Produktionsstandorte. Großkonzerne, Konzernzentralen oder gar DAX-Unternehmen sucht man im Osten vergeblich. Wirtschaftliche Erfolgsgeschichten „Made in DDR“ sind ebenso rar. Einzig der „Rotkäppchen“-Sekt ist mit einem Marktanteil von mehr als 50 Prozent die unangefochtene Nummer eins in Deutschland. Auch die Technologieunternehmen Carl Zeiss und Jenoptik in Jena zählen zu den wenigen Vorzeige-Unternehmen.

Abwanderung und Rechtsruck

Hinzu kommt: Die Bevölkerung in Ostdeutschland ist überaltert. Mit Ausnahme von Städten wie Leipzig, Dresden oder dem Berliner Umland leidet der Osten unter Bevölkerungsschwund. Zwischen 1990 und 2022 brach die Einwohnerzahl um 15 Prozent auf 12,6 Millionen ein. Es überrascht daher nicht, dass jeder fünfte Befragte in Ostdeutschland glaubt, in einer abgehängten Region zu leben. Auch die Folgen des Rechtsrucks sind längst spürbar. Unternehmen haben es tendenziell schwerer, ausländische Fachkräfte zu gewinnen. Das Erstarken der AfD und die damit einhergehende Ausländerfeindlichkeit wird zunehmend als Standortrisiko gesehen. Das Institut der deutschen Wirtschaft warnt: Ohne Migration geht es für Ostdeutschlands Wirtschaft bergab.

„Ostdeutschland ist 1990 bei etwa einem Drittel der Arbeitsproduktivität von Westdeutschland gestartet. Jetzt liegt man bei über 80 Prozent. Das ist eine Wahnsinns-Erfolgsgeschichte“, sagt Oliver Holtemöller vom Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung –und fügt hinzu: „Das habe es nirgendwo sonst auf der Welt gegeben.“ Und dennoch sehen sich viele Ostdeutsche als Verlierer. Auch das ist eine Erzählung, die zu den vielen anderen Erzählungen dazugehört.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 36/2024 erschienen.

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER