Oleg Gordievsky, ein KGB-Agent, der heimlich für den britischen Geheimdienst MI6 arbeitete, rettete durch seine entscheidenden Informationen möglicherweise die Welt vor einem Krieg. Seine dramatische Flucht aus Moskau 1985 ist eine der spannendsten Spionagegeschichten des 20. Jahrhunderts.
Im Sommer 1985 stand KGB-Agent Gordievsky mit einer Einkaufstasche von ‚Safeway‘, der US-Supermarktkette, an einer Kreuzung in Moskau und wartete. Die Ampel schaltete mehrmals auf Grün, doch er wartete. Bis ein Mann an ihm vorbeiging mit einer Tasche von ‚Harrods‘, dem Londoner Kaufhaus, und an einem Mars-Schokoriegel kaute. Das vereinbarte Signal für die Rettung des Agenten Gordievsky.
Wenige Tage später verließ Gordievsky seine Wohnung in Moskau in kurzer Hose und Turnschuhen für seinen morgendlichen Lauf. Immer der gleiche Weg durch einen großen Park, wie immer folgten ihm zwei Agenten. Es gelang ihm, den beiden zu entkommen, wechselte in die hinter Büschen versteckte Kleidung und nahm den Zug nach Vyborg an der Grenze zu Finnland. Dort wartete ein Auto des britischen Geheimdienstes mit einem jungen Ehepaar und einem Baby. Gordievsky versteckte sich im Kofferraum.
Bellende Hunde
An der Grenze bellten die Hunde der Wachsoldaten, doch am hinteren Sitz lagen mehrere verdreckte Windeln und die Mutter, die das Baby wickelte, klagte verzweifelt über Durchfall ihres Kindes. Die Soldaten ließen sie weiterfahren. Jenseits der Grenze schob der Fahrer eine Kassette mit der Finlandia Symphonie von Sibelius in das Autoradio –das vereinbarte Signal für Gordievsky, dass er gerettet sei.
Von 1974 bis 1985 war Gordievsky der wichtigste Agent des britischen Geheimdienstes MI6 innerhalb des KGB. 1938 in Moskau geboren als Sohn eines Agenten des NKVD, dem Vorgänger des KGB, überlebten seine Eltern eher durch Zufall die Verhaftungswellen und Hinrichtungen unter Stalin. Gordievsky studierte am Moskauer Institut für internationale Beziehungen und begann 1963 seine Karriere im KGB. Seine erste Station war Kopenhagen.
Seine Loyalität gegenüber der Sowjetführung endete 1968 mit der Niederschlagung des Prager Frühlings. Nach seiner Versetzung nach London kontaktierte er den britischen Geheimdienst und bot seine Dienste an, verweigerte jedoch eine Entlohnung. Gordievskys Informationen über Aufrüstung und politische Strategien der Sowjetunion waren wichtige Grundlagen für die Verhandlungen zwischen dem Westen und der sowjetischen Führung.
Manöver
Im Jahr 1983 verhinderte er möglicherweise einen Angriffskrieg der Sowjetunion. Die Sowjetführung ging davon aus, dass ein groß angelegtes Manöver der NATO ein geheimer Plan sei, Moskau anzugreifen. Ein Präventivschlag gegen den Westen wurde vorbereitet. Gordievsky informierte den britischen Geheimdienst. Der US-Präsident nahm mit Moskau Kontakt auf und überzeugte die sowjetische Führung, dass nichts dergleichen geplant sei.
Nach seiner Flucht wurde Gordievsky in Moskau in Abwesenheit zum Tode verurteilt. John le Carré kommentierte seine Biografie: „Die beste wahre Spionagegeschichte, die ich je gelesenen habe.“
Vor zwei Wochen starb Gordievksy, zurückgezogen und vergessen, in Godalming, einem Dorf südlich von London. Gleich neben Guildford, wo ich 2018 bis 2021 lebte. Sein Foto im Nachruf erinnerte mich an das Senioren-Team des Tennisklubs von Guildford – in dem wir beide spielten.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 152025 erschienen.