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Wie ist es um Österreichs Sicherheit bestellt?

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Wie ist es um Österreichs Sicherheit bestellt?
©Bild: (C)2022 Ricardo Herrgott/News
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Bruno Günter Hofbauer ist der Mann, der uns im Fernsehen den Krieg erklärt. Europas geopolitische Ordnung zerbricht -doch wie ist es in diesen Tagen um die Sicherheit Österreichs bestellt? Der hochrangige Militär spannt einen weiten Bogen - von den strategischen Fehlern der Vergangenheit bis zu den Bedrohungsszenarien der Gegenwart. Und erklärt, was passieren müsste, damit unser Heer auch wirklich kämpfen könnte

Herr Generalmajor, seit Putins Überfall auf die Ukraine sind Sie im Fernsehen so etwas wie der Kriegserklärer vom Dienst. Wie schwierig ist es, einen Krieg rein nüchtern und sachlich wie ein Strategiespiel zu erklären, während da ganz echt zerstört und gestorben wird?
Das fällt mir nicht leicht, aber das ist nun einmal der Pferdefuß an einem Beruf, den man in der Hoffnung gewählt hat, ihn nie in allerletzter Konsequenz ausüben zu müssen. Ich muss Ihnen auch ganz ehrlich sagen, dass es mich persönlich betroffen macht, wenn ich da oben am Küniglberg sitze und all diese Bilder sehe - weil ich mir sehr gut vorstellen kann, was da noch unsichtbar an zusätzlichem Leid dahintersteckt.

War Krieg für Sie bisher ebenso abstrakt wie für die meisten von uns?
Einerseits war ich in Bosnien im Einsatz, da sah man sehr offenkundig die Folgen, die ein bewaffneter Konflikt hat; noch dazu war das ein Bürgerkriegsszenario, was das Ganze noch einmal schlimmer macht. Zum anderen war ich bei der Jugoslawienkrise als Fähnrich an der steirisch-slowenischen Grenze im Einsatz. Das waren gleich zu Beginn meiner militärischen Karriere sehr tief gehende Eindrücke: Denn drei Wochen zuvor sah ich dort noch die vollen Dutyfree- Shops, plötzlich waren dort nur noch wir und die Jagdpanzer - und die Granatsplitter, die durch die Luft flogen.

Was haben Sie diese Erfahrungen in Bezug auf den Krieg gelehrt?
Dass er alles andere als ein Spiel ist, wo mit Platzpatronen geschossen wird - und dass man stets auf ihn vorbereitet sein muss. Kaum jemand hätte noch ein halbes Jahr oder nur wenige Wochen zuvor damit gerechnet, dass so was eintreten kann. Und das ist bis zu einem gewissen Grad auch jetzt in der Ukraine der Fall. Man ist auf die Auseinandersetzung mit dem Thema kaum vorbereitet.

Im Zustandsbericht über das österreichische Bundesheer samt Risikobild, das Ex-Verteidigungsminister Thomas Starlinger im Jahr 2019 erstellen ließ, heißt es wörtlich: "Den zunehmenden Bedrohungen steht derzeit ein Bundesheer gegenüber, das seine verfassungsmäßigen Aufgaben zum Schutze Österreichs mangels ausreichender Finanzierung und Ausbildungszeit nicht erfüllen kann." Skizzieren Sie bitte vor diesem Hintergrund zunächst die Bedrohungslage für Österreich.
Wir haben Grundlagendokumente, die sich mit Bedrohungen und Risiken auseinandersetzen: Die Herausforderung, die wir nach wie vor im Fokus sehen, ist der hybride Konflikt. Österreich ist zwar kein Frontstaat, und daran hat sich Gott sei Dank auch jetzt nichts geändert. Somit müssen wir eher damit rechnen, dass gegen uns in der Tiefe gewirkt wird: Da geht es dann auch um Cyber Defense und sämtliche Aspekte des Informationskrieges. Aber vorrangig natürlich um das, was wir als Schutzoperation sehen: nämlich, dass wir in der Lage sein müssen, unter Umständen auch im eigenen Land militärische Landesverteidigung durchführen können, weil hier bedrohliche Dinge passieren; etwa, dass unsere kritische Infrastruktur angegriffen wird, auch als Nebeneffekt eines Konfliktes, der an unserer Flanke stattfindet - wie eben jetzt jener um die Ukraine.

Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist, dass die Bedrohungen nicht weniger geworden sind.

Also ein ganz konventioneller Krieg?
Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist, dass die Bedrohungen nicht weniger geworden sind. Und wenn man immer wieder hört, es könne doch "nur" noch zu Cyberangriffen kommen oder "nur" noch zu einem Drohnenkrieg -diese Möglichkeiten sind dazugekommen, haben konventionelle Bedrohungen aber nicht abgelöst, sondern noch verschärft.

Wie sehen Sie denn das Gefährdungspotenzial, das derzeit vom Westbalkan ausgeht?
Aus meiner Sicht ist der Konflikt am Westbalkan nicht begraben, sondern nur zugedeckt. Es ist nicht absehbar, wie sich die Lage dort in fünf, zehn Jahren entwickeln kann.

Wie stark sind Putin und die Russen dort verankert?
Wir haben Indikatoren dafür, dass in gewissen Staaten der Versuch unternommen wird, einen russischen Fußabdruck zu hinterlassen. Es gibt etwa gemeinsame Übungen zwischen Serbien und Russland, es wird von den Russen am Balkan politisch Einfluss genommen. Das sind schon Dinge, die wir richtig ernst nehmen müssen.

Und zwischen alldem steht unsere Armee, die derzeit an der Grenze 3G-Nachweise kontrolliert und - ohne das schlechtreden zu wollen - im Bedarfsfall bei Naturkatastrophen aushilft. Sind Sie denn General einer Art Folklore-Truppe, oder wäre das für Sie eine Beleidigung?
Ich würde das nicht als Beleidigung sehen, aber ich würde stark widersprechen. Der Kern dessen, was das Militär ausmachen muss, ist auch bei uns die Fähigkeit zum Kampf. Und diese Fähigkeit zum Kampf hat durch die Einsatzbelastungen, die wir momentan unbestritten haben, ganz sicher gelitten. Aber das ist aufholbar, und wir werden unsere volle Aufmerksamkeit wieder dorthin lenken. Es ist logisch nachvollziehbar, dass das Bundesheer etwa in der Pandemiebekämpfung auch für "Hilfsdienste" eingesetzt wird oder für Assistenzeinsätze zur Migrationskontrolle an der Grenze, wenn die Ressourcen woanders fehlen. Aber wir sind da an und für sich nicht der First Responder. Irgendwann muss man diese Aufgaben auch wieder zurückgeben, so wie man das nach Katastrophen-Assistenzeinsätzen macht.

Viele Menschen finden den Krieg in der Ukraine zwar ganz schrecklich, sind aber der Meinung, dass selbst ein außer Kontrolle geratener Diktator wie Putin niemals bis zur österreichischen Grenze vordringen könnte. Was antwortet man da?
Die Antwort ist, dass wir keine Kristallkugel haben. Unser Planungshorizont geht zehn, 15 Jahre voraus. Bis dahin kann dermaßen viel passieren, was wir nicht vorhersehen können. Wir haben weder den Mauerfall vorhergesehen noch 9/11 noch den Arabischen Frühling noch die Annexion der Krim.

Es ist nicht absehbar, ob gegen Ende der Zwanzigerjahre die mitteleuropäische Ordnung noch so aussehen wird wie jetzt.

Künstliche Gegenrede: Und was hat das jetzt alles mit uns zu tun?
Wer weiß denn, ob unser unmittelbares Umfeld so stabil bleibt, wie es jetzt ist? Wer hätte denn etwa gedacht, dass gerade die Briten als alte Handelsnation aus der EU aussteigen? Es ist nicht absehbar, ob gegen Ende der Zwanzigerjahre die mitteleuropäische Ordnung noch so aussehen wird wie jetzt. Aus meiner Sicht wäre es nicht korrekt, all das aus einer Gefährdungsbeurteilung draußen zu lassen. Wenn etwa jemand aus der NATO oder der EU austreten würde, wäre das ein massiver sicherheitspolitischer Wandel.

Wer fiele Ihnen denn da als potenzieller Wackelkandidat ein - etwa Orbáns Ungarn?
Man kann grundsätzlich nie ausschließen, dass auch in Nachbarstaaten etwas passiert.

So ein Krieg wie in der Ukraine könnte bei uns nie stattfinden -ist das also ein fundamentaler Irrglaube?
Das ist innerhalb dessen, was wir vorausplanen müssen, ein Irrglaube. Aber ich hoffe schon, dass die Ukraine-Krise ein gewisses Umdenken herbeiführen wird.

Wer würde denn dem neutralen Österreich im Ernstfall zur Hilfe eilen?
Der Neutrale steht für sich selbst. Was wir aber schon sehr genau betrachten: Entwickelt sich eine gemeinsame EU-Verteidigung? Da muss sich sicherheitspolitisch noch viel tun, bis das in eine Realisierungsphase kommt. Aber eines darf man dabei auch nicht vergessen: Ein Verteidigungsbündnis der EU wäre aus heutiger Sicht mit einem neutralen Österreich nicht kompatibel.

Heißt, wir müssten als Neutrale unsere Verteidigungsausgaben von 0,6 Prozent des BIP massiv erhöhen, um selbstständig agieren zu können?
Das ist eine politische Frage, keine militärische. Wenn man die Zahlen vergleicht, so sieht man, dass die Schweiz knapp doppelt so viel für ihre Landesverteidigung ausgibt.

"Im Ernstfall sind wir ohnedies viel zu schwach, uns zu verteidigen" oder "Uns reblausseligen Österreichern tut doch keiner was an": Welches dieser beiden populären Klischees ist einer vernünftigen Verteidigungspolitik hinderlicher?
Am hinderlichsten ist, dass man sich in Sicherheit wiegt, und zwar in einer falschen Sicherheit. Ich glaube, dass deren Ursache auch ein wenig in der österreichischen Geschichte zu suchen ist. Die Kriege, die Österreich seit 1866, seit dem Preußisch-Österreichischen Krieg, geführt hat, waren ja, höflich formuliert, nur mäßig erfolgreich. Dazu kommt, dass wir das Bundesheer mit Ausnahme von 1991 an der jugoslawischen Grenze nie so eingesetzt haben, wie wir es hätten einsetzen sollen: Etwa im Jahr 1968, als die Truppen des Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei einmarschierten, hat das Bundesheer den Befehl erhalten, sich 30 Kilometer vor der Grenze zurückzuziehen, um nicht zu provozieren, und es ist keine militärische Landesverteidigung ausgerufen worden.

Das heißt, die Politik war stets zu defensiv, als dass das Militär seine Kompetenzen hätte zeigen können?
In den späten Neunzigerjahren, nach Ende des Kosovo-Konfliktes, erschien alles ruhig, und so hat man sich militärisch zu einem Heer gewandelt, das sehr stark auf Auslandseinsätze fokussierte - was wiederum in der österreichischen Volksseele so nicht angekommen ist, weil wir ja historisch kein Land sind, das irgendwo ehemalige Kolonien hätte. Heute geht man diesen Weg wieder zurück und sagt, es sind die Schutzoperationen daheim, auf die wir uns konzentrieren müssen. Sollten in Europa instabile Situationen wie jetzt entstehen, so sollte man das Bundesheer auch einsetzen können.

Fehlt es an einer Verteidigungsdoktrin? Mein Sohn, der derzeit seinen Grundwehrdienst ableistet, weiß nicht, wofür er da eigentlich Nacht für Nacht Wache steht.
Das ist sicher ein ganz wesentlicher Punkt. Es muss eine Hinwendung in folgende Richtung geben: Wir sind kein Heer, das zu Hause Ausbildung betreibt und seine Truppen dann primär ins Ausland schickt. Vielmehr müssen wir mit der mobilgemachten Truppe -also den 55.000 notfalls mobilgemachten Männern und Frauen-zu Hause die kritische Infrastruktur sichern oder eine Verteidigung gegen einen Angreifer von außen durchführen. Diese Hinwendung müssen wir jetzt ganz massiv vornehmen und umsetzen, und es ist schon möglich, dass das noch nicht ganz zu allen Teilen der Truppe durchgesickert ist.

Der Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft, sagt, eine Schutzoperation wie 1991 in der Jugoslawienkrise wäre derzeit nicht bewältigbar.

Brigadier Cibulka, der Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft, sagt, eine Schutzoperation wie 1991 in der Jugoslawienkrise wäre derzeit nicht bewältigbar. Das wäre eine entsprechende Herausforderung, das muss ich zugeben. Das mobilgemachte Bundesheer geschlossen einzusetzen, ist derzeit eine massive Herausforderung - weil wesentliche Dinge noch nicht verfügbar sind, da geht es um Ausrüstung, aber auch um die Frage: Können wir genug üben?

Weil der Grundwehrdienst zu kurz ist?
Ich weiß aus Erfahrung, dass man Soldaten innerhalb von sechs Monaten ordentlich ausbilden kann. Aber eben nicht für alle Waffengattungen, je technischer es wird, desto schwieriger. Die Systeme werden teilweise dermaßen komplex, dass sich die Frage stellt, ob ein Grundwehrdiener dort überhaupt richtig am Platz ist. Denn nicht überall haben wir jenen technischen Reifegrad erreicht, dass man sagen kann, die Bedienung läuft so einfach wie bei einem Smartphone. Was wir aber im Endeffekt brauchen, ist, dass wir wieder mehr zur Übung unseres Kernbereichs kommen -und der heißt militärische Landesverteidigung.

Welche Art von Kampf muss da geübt werden?
Da geht es künftig verstärkt um den Kampf im urbanen Raum, ähnlich, wie wir es jetzt in der Ukraine vorgeführt bekommen. Das ist eine durchaus schwierige Aufgabe, die jetzt in die Köpfe muss -zum Glück ist das aber jener Teil, der nicht viel kostet.

Kommen wir zur Ausrüstung: Unsere 15 Eurofighter - was können wir mit denen und was nicht?
Wir können mit ihnen, ähnlich wie die Polizei, zu gewissen Zeiten Präsenz zeigen. Es ist unbestritten, dass wir -nicht auf militärischen Wunsch hin -zwar in der Nacht fliegen, aber nicht identifizieren können. Ich bin zuversichtlich, dass die nächsten Schritte dazu führen werden, dass wir Nachtsichtfähigkeit erreichen.

In Offizierskreisen hat sich die saloppe Metapher festgesetzt, Österreich sei militärisch "oben ohne".

Die Herausforderung, vor der wir stehen, ist unbestritten, dass wir im Bereich der Luftverteidigung gewisse Mankos haben. Das lässt sich rein mathematisch schon an der Zahl der Abfangjäger errechnen, die wir zur Verfügung haben und daran, wie viel die fliegen können. Aber ich betone: Diese Frage ist nicht militärisch lösbar, sondern nur politisch.

Ja, aber wenn ein hochrangiger Militär wie Sie nun den Bedarf artikulieren müsste?
Der Bedarf, den wir haben, wäre in 24 Stunden pro Tag, sieben Tagen pro Woche und 365 Tagen pro Jahr den Luftraum aktiv und passiv überwachen zu können.

Schutz ist nicht nur eine kugelsichere Weste und ein gepanzertes Fahrzeug, sondern auch die Möglichkeit, einen Kampf zu führen.

Was wäre denn nun Ihr allerdringendster Wunsch?
Dass der Soldat eine ordentliche Ausrüstung hat, mit der er auch wirken kann. Schutz ist nicht nur eine kugelsichere Weste und ein gepanzertes Fahrzeug, sondern auch die Möglichkeit, einen Kampf zu führen. Wir haben ein breites Spektrum an Waffengattungen, daher muss in allen Bereichen nachgesteuert werden. Manche Bereiche sind ein bisschen besser aufgestellt, manche ein bisschen schlechter, weil sie vielleicht veraltet sind oder weil vielleicht länger nur wenig für sie getan wurde.

Herr Generalmajor, laienhaft zusammengefasst: Es fehlt grundsätzlich an allem?
Nein, aber es gibt überall Dinge, die wir verbessern können.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 09/2022.

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