Was bei Redaktionsschluss noch ungewiss war, hat sich in den Tagen seither konkretisiert: Die Chancen des amtierenden Burgtheaterdirektors Martin Kusej auf Vertragsverlängerung nach 2024 stehen, elegant formuliert, alles andere als berauschend, ja miserabel. Umso spannender lesen sich die in der Kolumne "Spitzentöne" nachzulesenden Details zur Kandidatensuche und deren Resultat
Nächste oder übernächste Woche wird man wissen, ob Martin Kusej nach 2024 am Burgtheater bleibt. Die drei meistgenannten Kandidatinnen sind schon ausgeschieden. Bewerber Kusej noch nicht
Dass diese Kolumne bei Erscheinen von den Aktualitäten überrollt sein könnte - das Damoklesschwert über dem Wochenmagazin, Sie wissen schon -, ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Eher sollten wir unsere Aufmerksamkeit auf die nächste Woche richten: Dann oder unmittelbar danach dürfte ausgemacht sein, was vom Burgtheater ab Herbst 2024 zu erwarten ist.
Bei Redaktionsschluss waren schon alle sechs verbliebenen Bewerber vor der Findungskommission angetreten. Dort amtierten: der Chef der Bundestheater-Holding, Christian Kircher, der Ensemblesprecher des Burgtheaters, Philipp Hauß, eine in Österreich tätige Schauspielintendantin, jemand aus dem Kunstministerium und ein Kulturjournalist. Insbesondere Hauß, der von Direktor Kusej aus dem hochverdienten Protagonistenstatus ins Orchideenfach verräumt wurde, könnte interessante Innensicht einbringen, vor allem, was die im Ausschreibungstext geforderte zwischenmenschliche Grundausstattung betrifft. Jetzt entscheidet letztinstanzlich Staatssekretärin Mayer, die vor Bekanntgabe des Resultats den Aufsichtsrat informieren muss.
Die drei meistgenannten Nachfolgekandidatinnen sind nach verbindlicher Information bereits ausgeschieden: Die Schauspielchefin der Salzburger Festspiele (und Burgtheater-Aufsichtsrätin) Bettina Hering wurde zunächst favorisiert, hat sich aber im vergangenen, arg übertrefflichen Sommer aus dem Bewerb programmiert. Der großartigen Schauspielerin Maria Happel, Intendantin der Festspiele von Reichenau und Leiterin der Schauspielabteilung des Reinhardt-Seminars, wird mangelnde Führungserfahrung vorgeworfen. Allerdings lebt der Verdacht, sie könnte in Wahrheit zu nah am Publikum und zu fern von der theaterdevastierenden Feuilleton- und Dramaturgenblase logieren. Der in St. Pölten erfolgreichen Marie Rötzer wird die Aufgabe nicht zugetraut. Das nimmt insofern wunder, als sich ihr Angebot auch hinsichtlich seiner Internationalität ohne Mühe mit dem des Burgtheaters vergleichen kann.
Dessen Direktor ist allerdings nach wie vor im Bewerb: Kusej ist vor der Kommission um Verlängerung angetreten und soll, nach Konsumation des halben Kreidefelsens von Calais, bei Entscheidungsträgern Besserung im Führungsstil gelobt haben. Solche scheint auch angebracht, wurden doch jüngst Vorwürfe publik, die anderswo schon mit Rücktritt beantwortet worden wären. Ich bin da weniger diktatorisch: Einige der großartigsten Intendanten waren bekennende Wüteriche, und als Kritiker habe ich mich um die Qualität des Spielplans und nicht um das Abschlussdiplom bei Elmayer zu kümmern. Leider hängt es bei der "Burg" nach mehrheitlicher Einschätzung meiner Kollegen, der ich mich umstandslos anschließe, an beidem.
Umso pikanter stellt sich das Geheimnis der beiden letzten tatsächlich aussichtsreichen Probanden dar. Ihre Namen sind mir nicht bekannt, aber just sie sind, wenn meine Informationen nicht trügen, die Einzigen, die den Amtsinhaber gefährden können. Einiges war über sie doch zu erfahren: Es handelt sich um einen Mann und eine Frau (Gruppenbewerbungen blieben unberücksichtigt), beide Deutsche, beide mit Intendanzerfahrung, beide mit geringer Anbindung an Wien. Die öfter genannte Hamburger Intendantin Karin Beier ist es so wenig wie Barbara Frey von der Ruhrtriennale: Die beiden geheimnisvollen Überlebenden der Findungsprozedur logieren, so sagt man mir, nicht in der Höchstliga.
Das nährt den Verdacht, dass man Kusej über die Bande (vergessen Sie gleich den Doppelsinn) retten will: Nicht wegen seiner Verdienste, sondern mangels Alternativen sollen wir uns seiner für weitere sieben Jahre erfreuen. Das erstaunt, selbst wenn man sich den Einschätzungen zu Maria Happel und Marie Rötzer anschließen wollte. Andreas Beck hat man Desinteresse signalisiert, Thomas Ostermeier will man nicht, an Sven-Eric Bechtolf und Herbert Föttinger denkt man nicht ... Einer, der es könnte, wurde übrigens zur Zeit des findungskommissionellen Vortanzens in Wien gesehen: Stefan Bachmann ist das, Intendant in Köln. Aber erstens ist er Schweizer und zweitens muss es im Fall neuer Verhältnisse angeblich "eine Frau" werden. Womit Kusej de facto nur noch eine Gegenkandidatin hätte. Möge sie uns überraschen und verzaubern!
PS: Matthias Hartmann, 2014 ungerechtfertigt aus der Burgtheaterdirektion entlassen und mittlerweile gerichtlich rehabilitiert, hat auf Einladung des "Spiegel" soeben Erhellendes zur Situation der leergespielten Bühnen verfasst. Hätte der Minister damals nicht die Nerven verloren, wäre dem Haus viel erspart geblieben. Nebst anderem diese Kolumne mitsamt ihrem Anlassfall.
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