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Musikerin Violetta Parisini erhielt "Geschenk vom Universum"

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11 min
Parisini setzt sich mit Mutterschaft, Patriarchat und Gleichstellung auseinander
©APA, Else Musik, Hanna Fasching
Manchmal brauchen die Dinge Zeit. Das kann auch Violetta Parisini bezeugen. Die Wiener Popmusikerin veröffentlicht am Freitag ihr viertes Album "I Used To Have Nothing To Lose But Now I Have You", dessen Anfänge beinahe 13 Jahre zurückreichen. Nach zwei deutschsprachigen Veröffentlichungen hat sich die Sängerin wieder der englischen Sprache zugewandt und verknüpft Persönliches mit Politischem. "Es war ein sehr langer Prozess, aber ich habe ihn sehr genossen."

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Wieder auf Englisch zu singen, mache für sie einen "riesengroßen Unterschied", betont Parisini im APA-Gespräch. "Deutsch ist meine Muttersprache, ich beherrsche sie durch und durch. Das erste deutsche Album kam auch aus dem Bedürfnis heraus zu sagen, was ist. Im Englischen ist es ein bisschen offener." In dieser Hinsicht könne man die Texte mit abstrakter Malerei vergleichen. "Im Endeffekt ist es auch persönliches Empfinden und dann politischer Überbau. Die Brücke kann man sozusagen selber schlagen." Und das fällt nicht schwer, ist die Musikerin hinsichtlich Mutterschaft, Patriarchat und Gleichstellung doch deutlich wie eh und je.

Mehr noch: Ein Song wie "Bad Mother", der auf einem treibenden Rhythmus aufbaut und mit der wunderbaren Zeile "I thought it was me, but it was patriarchy" aufwartet, hält mit seiner Botschaft nicht hinterm Berg. "Der Satz ist mir geschenkt worden vom Universum", schmunzelt Parisini. "Der war da und es war sofort klar: Das ist es! Ich wollte schreiben über die Unmöglichkeit, eine gute Mutter zu sein in den Augen der Welt." Innerhalb nur einer Woche sei die Nummer fertig gewesen. "Das passiert mir sonst nie", lacht die Musikerin. "Ich wollte es total erdig, organisch haben. Und ich wollte, dass Leute mitsingen, die keine Mütter sind. In diesem Chor singen jetzt eine Mutter, eine Nicht-Mutter und eine non-binäre Person. Genau das wollte ich abbilden."

"Bad Mother" richte sich ohnehin an alle. "Eigentlich will ich ja sagen: Das Patriarchat ist für niemanden gut! Auch die meisten Männer, die ich kenne, finden es nicht so geil, dass sie reduziert werden auf den Status, den sie im Beruf erreicht haben - und alles andere ist ein bisserl wurscht. Das wollte ich abbilden und 'Bad Mother' wie ein Gefäß zur Verfügung stellen für alle Menschen." In jedem Fall gehen Eingängigkeit und Komplexität in diesen rund drei Minuten Hand in Hand, exerziert Parisini hier doch anspruchsvollen Pop in bester Form. "Ich habe ganz viel neu gemacht", repliziert sie auf die Entstehung des Stücks, das sie aus einem zusammengestückelten Beat gezimmert hat. "Ich habe mich komplett aus meiner Komfortzone herausgeboxt."

Was wohl auch für die restlichen Nummern gilt, hat die Musikerin doch erstmals selbst das Heft in die Hand genommen und den Großteil der Platte eigenständig produziert. "Bisher habe ich mich da nie drüber getraut. Aber Selbstbewusstsein und Können wachsen ja idealerweise miteinander", lacht sie. Den Lernprozess hat die Künstlerin jedenfalls nicht gescheut. "Ich habe tatsächlich Tausend Mal begonnen, Dinge aufzunehmen und habe sie dann wieder gelöscht." Auf ihrer Festplatte würden sich teilweise Versionen 1 bis 35 finden. "Es war wirklich furchtbar", schickt sie ein breites Lächeln hinterher. Aber auch notwendig. Denn: Nur so kam sie letztlich zu den fertigen Stücken.

Entsprechend intensiv war die Auseinandersetzung mit Text, Melodie und Akkorden, nicht zu vergessen dem Rhythmus. "Das ist ja so ein grundlegendes Element, dass es mir gar nicht auffällt, wie grundlegend es ist. So habe ich mich voran gehantelt." Die schönste Arbeit sei jene an den Chören gewesen. "Es hat so viel Freude gemacht, weil das so stark die Atmosphäre eines Lieds prägt." Gleichzeitig warten die Stücke an einigen Stellen mit überraschenden Effekten, Klängen und Störmomenten auf. Bestes Beispiel dafür ist der Opener "I Just", der gefühlt zwischen Schlafentzug und Traum pendelt, während im Titelsong Intimität und Ausbruch zusammenfinden. "Wo soll der Raum groß sein, wo braucht es noch ein elektronisches Etwas?" An diese Frage hat sie sich gemeinsam mit ihrem Partner Sixtus Preiss gemacht. "Er konnte die Lieder mit ganz frischen Ohren hören, ohne vorher schon im Prozess beteiligt gewesen zu sein."

Hier, aber auch an anderer Stelle hat sich Parisini Zeit genommen und genau in die Lieder hineingehört. Was braucht es, was fehlt möglicherweise noch? Nicht von jeder Idee war sie sofort begeistert. "Aber ich kann drüber schlafen nur empfehlen, für alles im Leben", gibt sie lachend einen Rat. So werden teils Stimmen wie Samples verwendet und aneinandergeklebt, wachsen Chöre zu synthieartigen Passagen oder grätscht mitunter eine E-Gitarre hinein, um die Aufmerksamkeit der Hörerschaft zu fordern. "Wo ist der Punkt, wo man vielleicht kurz abschweift? Genau da kommt das Sounddesign ins Spiel", nickt Parisini.

Dass ihre Songs diesmal so explizit politisch geworden sind, hat wohl auch mit den Entwicklungen der jüngeren Vergangenheit zu tun, von rechtspopulistischen Erfolgen bis zu Einschnitten in Gleichstellungsfragen. "Meiner Meinung nach wirkt Musik politisch, indem sie uns zum Fühlen und Mitfühlen bewegt. Aber einige Dinge müssen jetzt ganz offensichtlich explizit gesagt werden - was ich nicht für möglich gehalten habe!" Ihr sei bewusst geworden: "Die Art, wie wir uns wehren können gegen das, was gerade passiert, wie wir unseren Raum einnehmen können, ohne ihn verletzen zu lassen durch Leute, die ins vorvorige Jahrhundert zurück wollen, ist, dass wir Community schaffen." Die Frage sei dann, wie man gemeinsam seine Werte hochhalten könne. "Und zwar sichtbar für alle!" Musik sei dafür ein gutes Mittel.

Dabei ist Parisini ganz ehrlich: "Ich selbst pendle zwischen absoluter Verzweiflung und ganz großer Zuversicht. Weil ich einerseits sehe, was abgeht in der Welt und welche Männer plötzlich zu Vorbildern werden. Und andererseits sehe, dass es ganz viele Menschen gibt, die ganz klar dagegenhalten - auch Männer! Die sagen: Nein, mit dieser Art von Männlichkeit will ich gar nichts zu tun haben. Die braucht es mehr denn je, auch als Vorbilder." Gewisse Werte und Prinzipien stehen für sie einfach außer Frage: "Ich bin für Inklusion, Gleichberechtigung, Offenheit und Empathie. Ich muss nicht in allem Expertin sein um zu wissen, dass diese Werte von manchen gerade mit Füßen getreten werden."

Davon handelt auch "Tea with Sugar", bei dem wir ganz nah dran sind an Parisini und ihrem einnehmenden Klavierspiel. "I won't give in to what other people call reality" singt sie darin. Etwas, was auch wahnsinnig viel Kraft koste. "Ich schaffe es oft nicht, das zu leben." Gerade im Elternschaftskontext werde es dann aber völlig klar: "Mir war nie bewusst, wie arg das Patriarchat zuschlägt, wenn du Kinder kriegst. In dem Moment, in dem du Mutter wirst, bist du in den Augen der Gesellschaft für jeden Scheißdreck verantwortlich. Für alles!" Vom Vater wiederum werde gleichzeitig finanzielle Sicherheit erwartet. "Das ist auch ein Stress, um den ich niemanden beneide", bekräftigt die Sängerin. "Es ist quasi eine Lose-lose-Situation für alle Beteiligten."

Die Lösung? Ist weder einfach noch verallgemeinerbar, habe aber natürlich mit dem Einstehen für die eigenen Ansichten zu tun. "Es ist immer eine Gratwanderung", überlegt Parisini. "Das muss jeder mit sich selber verhandeln. Gleichzeitig wünsche ich allen, dass sie sich emanzipieren von diesem großen Druck, mithalten zu müssen. Der macht uns alle kaputt, auf allen Ebenen." Am Ende gehe es nämlich nur um eines: "Was macht mich glücklich?" Ihrer Ansicht nach sei das nicht der Urlaub auf den Malediven, "sondern die Qualität der Beziehungen, die ich führe. Und die Qualität der Beziehung, die ich zu mir selbst habe." Mit ihrem Album liefert Parisini in jedem Fall Gedankenanstoß und Diskussionsgrundlage. Sie selbst bezeichnet es als "Andocken an die Welt und auch ein Geschenk an meine Community". Ein Geben und Nehmen im schönsten Sinn.

(Das Gespräch führte Christoph Griessner/APA)

(S E R V I C E - https://violettaparisini.at)

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/Else Musik/Hanna Fasching/Hanna Fasching

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