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Guter Rat gegen Heckenschützen

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Peter Plaikner

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Die Entscheidung des Presserats über den ersten Artikel des „Standard“ zum Fall Schilling ist vielschichtig und sollte wegweisend sein. Das Gremium betritt Neuland und regt zu Selbstreflexion an, wäre aber mit flotterer Urteilsfindung wirkungsvoller

Es „wird auch für den kommenden Wahlkampf und für künftige politische Debatten wichtig sein“, dass Politik wie Medien „zurückschauen und Lehren aus dem Fall ziehen“. Also sprachen die Grünen zur Entscheidung des Presserats in der Causa Schilling bzw. ihrer Enthüllung im „Standard“ und lagen schon lange nicht mehr so uneingeschränkt richtig. Denn das Selbstkontrollorgan des Journalismus legt eine differenzierte Einschätzung vor, die weit über die Beanstandung des Einzelfalls hinausgeht.

Holzschnittartig vereinfacht ist es demnach aus medienethischer Sicht möglich, die Öffentlichkeit über Zweifel an der charakterlichen Eignung einer Spitzenkandidatin für die Politik zu informieren. Doch ohne erkennbaren Zusammenhang mit konkreten Ereignissen sind anonymisierte Werturteile über eine Person zu vermeiden. Ungeachtet der Rüge für den „Standard“ in zwei entsprechenden Detailfragen fühlt er sich nun grundsätzlich in seiner Veröffentlichung bestätigt, weil die zehnköpfige Jury weder eine Verletzung des Persönlichkeitsschutzes noch der Intimsphäre beanstandet hat. Kritiker der Aufdeckung wiederum sehen ihren Tadel an der namenlosen Vernaderung untermauert.

Zumindest in der Social-Media- und herkömmlichen Medienöffentlichkeit führt die notwendige Vielschichtigkeit der Entscheidung vorerst nicht zum erwünschten Effekt der Selbstreflexion aller Beteiligten. Es geht vielmehr um Deutungshoheit, ob dies jetzt ein Frei- oder Schuldspruch sei. Der Presserat hingegen betont, dass er noch keinen vergleichbaren Fall zu behandeln hatte und sich von seiner Entscheidung wegweisende Wirkung erhofft. Denn „andernfalls wäre es möglich, (…) bloß eine Reihe von anonymisierten negativen Werturteilen wiederzugeben und damit die betroffene Person zu diskreditieren (anonyme ,Heckenschützen‘ hätten somit ein leichtes Spiel).“

Statt sich etwas intensiver mit dem in Klammern gesetzten Fazit auseinanderzusetzen, in dem ein für solche Schriftstücke ungewöhnliches Wort unter Anführungszeichen steht, gab es auf X eine Auseinandersetzung, ob und wie das Urteil die innenpolitische Berichterstattung behindere. Doch diese Befürchtung wirkt unbegründet. Dass ohne Tatbezug anonymisierte Werturteile über eine Person zu unterlassen sind, lässt den Weg der Handlungskritik offen. Wenn es dennoch persönlich sein soll, bleibt immer noch die Möglichkeit solcher Kritik durch den Autor per Kommentar.

Letztlich ist diese Entscheidung des Presserats auch eine unausgesprochene Aufforderung an den Journalismus, sich klar zu unterscheiden – von den anonym auftretenden Behauptungshorden auf Social Media, aber zudem in den digitalen Foren von deklarierten Qualitätszeitungen wie dem „Standard“. Überdies liegt kaum falsch, wer als Medienschaffender (oder Politikmachender) zwischen den Zeilen eine Ermahnung zur Selbst- und Rückbesinnung erkennt: Ihr Kolumnist hat hier wohl auch schon mitunter anonymisierte Werturteile über Personen ohne zwingenden Grund wiedergegeben. Er wird versuchen, das künftig zu vermeiden, ohne dadurch gleich zahnlos zu werden.

Darüber hinaus erscheint die zeitliche Abfolge der Ereignisse als Denksportaufgabe für den Presserat: Der Artikel im „Standard“ erschien am 7. Mai, die Entscheidung des Presserats fiel am 4. Juni, ihre Veröffentlichung kam erst dreieinhalb Wochen später. Das sei sehr flott im Vergleich zu Gerichten, verteidigen Juristen des Gremiums die Verzögerung. Das wirkt aber zu langsam angesichts des Tempos von Tagesjournalismus und -politik unter Echtzeitdruck. Diese der Medientechnologie geschuldete Schnelligkeit ist unumkehrbar. Mit einer aus der Rechtsprechung entlehnten prozessualen Langsamkeit wird der Verein zur freiwilligen Selbstkontrolle seiner Materie nicht ausreichend gerecht. Als das Schilling-Urteil kam, war die politmediale Karawane längst weiter gezogen. In ihr gilt: speed kills.

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