Das Ifo-Institut rechnet für Deutschland mit 9,3 Prozent Inflation und stellt eine Rezession in den Raum. Andere Experten sprechen von einer weltweiten Rezession. Womit rechnen Sie?
Es ist extrem schwer, Prognosen zu machen. Es gibt immer noch eine recht gute wirtschaftliche Lage, es trübt sich ein wenig ein, aber wie tief dieser Abschwung sein wird, kann niemand seriös sagen. Es hängt alles davon ab, wie die Energieversorgungssituation aussieht. Wenn es zu einem längerfristigen Gaslieferstopp aus Russland kommt, dann droht eine Rezession, vielleicht auch eine recht ausgeprägte, aber immer noch geringere als im Jahr 2020 mit Covid. Wenn es dazu nicht kommt, dann ist es durchaus möglich, dass wir im Bereich des Wachstums bleiben.
Warum ist man in Deutschland pessimistischer?
Österreich kommt mit etwas besseren Wachstumszahlen in diese Phase. Wir haben für 2022 immer noch eine Wifo- Prognose von über vier Prozent Wachstum. Die Bandbreite der möglichen Szenarien ist allerdings so groß, dass Prognosen schwierig sind. Es kann viel passieren - von einer Abschwächung bis hin zu einer Rezession. Wobei dann auch die Frage ist, wie lange sie dauert und wie ausgeprägt sie ist. Ein, zwei Quartale mit minus einem Prozent sind etwas Anderes als minus zwei, drei Prozent über mehrere Quartale, wie es bei Covid oder der Bankenkrise der Fall war.
Es heißt, wenn Deutschland hustet, hat Österreich Lungenentzündung. Da müsste uns doch eine Rezession dort stark treffen.
Interessanterweise sind die Abhängigkeiten etwas geringer geworden, nicht nur, was die Warenströme betrifft, sondern auch insgesamt, was die Konjunkturverbindung anbelangt. Gerade jetzt, wo es um eine ganz spezifische Energieversorgungsproblematik geht, wo man große Unterschiede in der Struktur der Energiewirtschaft und den Abhängigkeiten sieht, gibt es diesen direkten Link nicht. Aber klar ist, wenn Deutschland in eine Rezession fällt, werden wir das spüren. Aber schauen wir einmal, was wirklich passiert.
Diese Unklarheit verunsichert die Konsumenten, was sich wiederum auf die Wirtschaft auswirkt. Macht Ihnen das Sorgen?
Der wichtigste Punkt ist, die Unsicherheit zu nehmen. Daher ist die Energieversorgungssicherheit so zentral. Da bin ich jetzt etwas optimistischer als im Frühjahr, weil Europa es gemeinsam geschafft hat, die Gasspeicher sehr gut zu füllen. Das löst nicht alle Probleme, aber wir haben jetzt nicht mehr diese akute kurzfristige Abhängigkeit, mittel-und langfristig sind wir allerdings immer noch von Russland abhängig, solange wir noch nicht vollständig auf andere Lieferquellen umgestellt haben. Der zweite Punkt sind das Konsumentenvertrauen und die Erwartungen der Unternehmen. Die haben sich verschlechtert. Das kann sich wieder drehen, wenn dieser Herbst und dieser Winter nicht so schlimm werden, wie jetzt viele befürchten. Der entscheidende Faktor, den die Regierung beeinflussen kann, ist, die Kaufkraft zu erhalten. Da haben wir eine Reihe von Maßnahmen gesetzt: direkte Hilfen, Abschaffung der Kalten Progression, Indexierung der Sozialleistungen. Jetzt kommt die Lohnrunde. Die wird auch eine Rolle spielen für die Erwartungen.
Die Kritik der Opposition an der Regierung lautet trotzdem: zu spät, zu wenig. Wenn die Opposition das sagt, ist das ein Zeichen dafür, dass die Maßnahmen richtig sind und ihr nichts Anderes einfällt. Natürlich kann man diskutieren: Hätte man schneller sein können, oder hätte es mehr sein müssen?
Der europäische Vergleich zeigt, dass die Pakete, die Österreich geschnürt hat, an der Größe des Landes gemessen die zweitgrößten nach Luxemburg sind. Das heißt nicht, dass man gar nichts mehr braucht. Aber im Moment haben wir sehr große Pakete geschnürt. Und "zu spät" ist als Kritik auch nicht ganz gerechtfertigt. Vieles ist sehr rasch passiert, vielleicht sogar zu rasch, und man hätte ein, zwei Monate später vielleicht andere Entscheidungen getroffen. Wir müssen aber auf jeden Fall die Preisentwicklung in den Griff bekommen. Es muss eine Entkoppelung von Strom-und Gaspreisen geben. Das geht nur auf europäischer Ebene.
Wie soll das passieren?
Das wohl Realistischste ist eine Adaption des iberischen Modells, wo für die Verstromung von Gas ein Deckel festgelegt wird und die Differenz zum Marktpreis aus öffentlicher Hand finanziert wird. Derzeit werden die Strompreise durch den -eigentlich relativ geringen -Gasanteil getrieben. Das ist in normalen Zeiten sinnvoll. Aber jetzt ist es problematisch für Haushalte und Unternehmen. Eine Entkoppelung würde Sicherheit geben, weil ich dann eine Preisobergrenze kenne und damit rechnen kann, dass diese hält. Im Moment besteht die Unsicherheit, ob der Preis noch weiter steigt, sodass man sich gar nichts mehr leisten kann und daher nichts mehr investiert. Diese Unsicherheit ist auch ein Treiber der schlechten Stimmung.
Auf den Strompreisdeckel des Bundes wird in Niederösterreich etwas draufgelegt, sodass man oft gar nichts für den Strom bezahlt. Ist das aus Sicht des Verhaltensökonomen ein Fehler?
Natürlich kann man über die genaue Menge diskutieren, bei der die Strompreisbremse ansetzen soll. Grundsätzlich ist Energie aber in allen Bereichen immer noch so teuer, dass es für alle Haushalte und Unternehmen einen Sparanreiz gibt. Haushalte, die sehr wenig verbrauchen, sind ja ohnehin sehr sparsam. Dass die jetzt absichtlich mehr verbrauchen, halte ich für unrealistisch. Wichtig ist ein Hinweis: Abseits von Gas gibt es auch bei der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Knappheiten. Niedrigwasser auf vielen Flüssen führt dazu, dass es weniger Wasserkraft gibt, dass Atomkraftwerke in Frankreich nicht gekühlt werden können, Kohlekraftwerke in Deutschland laufen teilweise nicht, weil die Kohle nicht auf dem Rhein transportiert werden kann. Diese Mangellagen sind noch im Griff, aber sie können sich verschärfen, wenn nicht gespart wird.
Soll der Staat jedes Risiko abfedern, oder muss man irgendwann sagen, mehr geht nicht?
Da muss man sehr genau differenzieren: Bei Covid hat der Staat die Geschäftstätigkeit von Unternehmen massiv beschränkt, weil er die Verbreitung der Krankheit verhindern wollte. Da waren umfangreiche Hilfen berechtigt. Jetzt haben wir die Situation, dass es ein gewisses unternehmerisches Risiko unterschiedlicher Preisentwicklungen gibt, aber auch staatliche Maßnahmen, die die Preise beeinflussen. Das ergibt eine Berechtigung für ein Abfedern und einen Ausgleich für jene, die besonders stark betroffen sind, etwa in den unteren Einkommensschichten. Aber ein vollständiger Ausgleich wie bei Covid ist nicht möglich und auch nicht wünschenswert, weil das die Inflation weiter antreiben würde. Dann käme zur importierten Inflation der Energiepreise eine selbstgemachte dazu.
Zuletzt gab es Kritik der Wirtschaftsforscher an der Höhe und Gestaltung der Hilfen. Können wir uns die Milliardenpakete wirklich leisten? Und vermissen manchmal ihr früheres Berufsleben, wo man Zahlen aus der Distanz beleuchtet?
Das ist natürlich eine privilegierte Position, die ich jetzt nicht mehr habe. Andererseits bin ich froh, jetzt keine Prognosen machen zu müssen. Das ist seit 2020 besonders schwierig. Können wir uns das leisten? Eine Abfederung können wir uns leisten. Aber man muss sagen: Bei Covid gab es die berechtigte Hoffnung, dass die Hilfen in Österreich in den Wirtschaftskreislauf zurückfließen, sobald die Maßnahmen aufgehoben werden. Das ist passiert und hat zu dem starken Aufschwung letztes und im laufenden Jahr geführt. Im ersten Quartal hatten wir über zehn Prozent Wachstum. Bei den Energiepreisen fließt ein Teil des Geldes ins Ausland, weil wir Energie kaufen, die viel teurer geworden ist. Das kommt nicht zurück. Der Grad der Selbstfinanzierung der Maßnahmen ist geringer. Das muss man berücksichtigen.
Die Erwartungshaltung der Menschen ist, dass der Staat zuschießen muss.
Die Erwartungshaltung ist riesig, da muss man ein realistisches Maß generieren. Es war sehr klug vom Finanzminister, sich für heuer auf einmalige Maßnahmen zu konzentrieren und für die nächsten Jahre auf die Indexierung der Sozialleistungen und die Abschaffung der Kalten Progression zu setzen. Das heißt nicht, dass man nicht auch dann einzelne Maßnahmen brauchen wird. Aber nicht mehr so stark wie heuer.
Der Zorn in Teilen der Bevölkerung ist groß. Die Rechte im Land kapert das Thema politisch. Rechnen Sie mit Protesten auf der Straße?
Ich kann den Unmut verstehen. Das ist eine schwierige Phase: Die psychologischen Wunden der Pandemie sind noch nicht ganz verheilt. Es war für viele anstrengend, existenziell und gesundheitlich bedrohlich. Jetzt kommt noch der Krieg dazu. Aus der Verhaltensökonomie weiß man, dass Unsicherheit das ist, was die Menschen am meisten besorgt und die Lebensqualität am meisten reduziert. Als Regierung kann man in so einer Situation auch nur begrenzt Sicherheit geben. Man kann so rasch wie möglich Maßnahmen setzen. Aber die geopolitische Lage kann man nicht in Wien lösen. Das muss man ehrlich sagen. Man muss aber auch feststellen: Es gibt einen sehr großen Unterschied zwischen der tatsächlichen Lage der Menschen und der Stimmung. Die wirtschaftliche Situation ist um einiges besser als die Stimmung. Natürlich wird da politisches Kleingeld gelöst. Wir müssen als Regierung versuchen, das, so gut es geht, zu erklären, und alles tun, dass da nicht etwas entsteht, das zu massiven Protesten führt.
Der Bundespräsident hat gesagt, die Regierung erkläre ihr Tun nicht gut genug.
Wir tun unser Bestes. Aber es ist schwierig, eine so komplexe Gemengelage zu erklären. Bei der Inflation hatten wir schon Anfang des Jahres, also noch vor dem Krieg, fünf Prozent, da war möglicherweise die EZB etwas langsam. Jetzt kommen die Energiepreise dazu, Gas ist besonders teuer, aber es gibt kein Gasembargo, die Sanktionen spielen da also keine Rolle. All das ist schwierig, zu verstehen, das finden sogar Experten nicht ganz einfach. Jemand sieht auf der Straße, dass das Benzin und die Lebensmittel teurer geworden sind, dass die Stromrechnung extrem hoch ist, und fragt sich: "Was soll ich jetzt tun?" Dem helfen Erklärungen auch nicht weiter.
In Deutschland stieg die Zahl der Firmenpleiten um 26 Prozent. Welche Rückmeldungen bekommen Sie in Österreich?
Die Situation ist sehr heterogen. Unternehmen, die nicht so energieintensiv sind oder sich gut abgesichert haben, jene, die Preise erhöhen und die Kosten weitergeben können, haben keine großen Schwierigkeiten. Andere sind existenziell bedroht, ihre Geschichten sind oft wirklich bedrückend. Das Gesamtbild in Österreich ist aber so, dass unsere Prognosen sagen, dass die Anzahl der Insolvenzen 2022 nicht höher sein wird als 2019. Das ist jedoch keine Entwarnung, denn wenn die Situation länger andauert, wird es dramatisch.
Ihr deutscher Kollege Habeck hat gemeint, Unternehmen könnten aufhören, zu produzieren, und dann wieder anfangen. Er wurde dafür ausgelacht. Was hätten Sie als Professor gesagt, wenn Ihnen das jemand bei einer Prüfung erzählt?
Rein theoretisch hat er recht, weil eine Produktionsunterbrechung und eine Insolvenz nicht das Gleiche sind. Aber in vielen Fällen ist es de facto das Gleiche. Unternehmen, die nicht mehr produzieren, weil die Kosten so hoch sind, kommen in Schwierigkeiten, und es macht keinen Sinn, sie nichtproduzierend aufrechtzuerhalten. Ein Gasthaus kann vielleicht ein paar Monate zusperren, schlimm genug, aber große industrielle Produktionsstätten haben auch Fixkosten, die enorm sind. Da kommen wir sicher in Schwierigkeiten. Darum müssen wir es auf europäischer Ebene schaffen, die Preise zu senken.
Ein weiteres Problem ist der Arbeitskräftemangel, der durch die Demografie noch verstärkt wird. Kann man den ohne Zuwanderung in den Griff bekommen?
Das demografische Problem wird sich jedenfalls verschärfen, auch wenn es in den nächsten ein, zwei Jahren durch die Eintrübung der Konjunktur eine gewisse Entspannung bei den Arbeitskräften geben wird. Wir sehen jetzt schon, dass es nicht mehr so viele offene Stellen gibt. Allerdings wird dieses Problem beim nächsten Aufschwung, und der kommt bestimmt, noch viel stärker sein. Man sollte aber nicht der Illusion anheimfallen, dass wir das über Zuwanderung allein lösen können. Das größte Arbeitskräftepotenzial ist im Inland. Das sind Ältere, das sind Menschen in Teilzeitarbeit. Da geht es um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie, steuerliche Anreize, auf Vollzeit umzusteigen, sowie um Qualifizierungsmaßnahmen. Das allein wird aber nicht reichen. Daher haben wir die Rot-Weiß-Rot-Karte reformiert, das wird zu qualifiziertem Zuzug führen, wenn die Unternehmen das brauchen. Im Moment gibt es aber etwa 5.500 Rot-Weiß-Rot-Karten bei knapp vier Millionen unselbständig Beschäftigten.
Nur 5.500, weil die Unternehmen das gar nicht brauchen - oder weil nicht mehr Menschen nach Österreich kommen wollen.
Ein Grund ist, dass das bisher sehr bürokratisch und restriktiv war. Das haben wir jetzt geändert. Wir werden uns aber auch Gedanken machen müssen, wie attraktiv wir als Land für Drittstaatsangehörige sind. Da geht es um Faktoren wie Besteuerung, aber auch den Familiennachzug. Aber es geht natürlich auch um das Image als Land. Ich verstehe das Gefühl in der Bevölkerung, dass es eine Beschränkung geben muss, wenn wir, hochgerechnet auf die Bevölkerung, die meisten Asylwerber in der EU haben. Aber man unterscheidet inzwischen auch in der Öffentlichkeit viel stärker zwischen dem qualifizierten Zuzug und jenem, der aufgrund internationaler Abkommen, denen wir verpflichtet sind, erfolgt und bei dem klar ist, dass die Menschen oft nicht die erforderlichen Qualifikationen für die offenen Stellen mitbringen.
Das ist die innerösterreichische Debatte. Die Außensicht könnte sein, hier ist man nicht willkommen.
Ja, aber ich glaube, das ändert sich jetzt sehr, sehr rasch. Ich sehe selbst bei der FPÖ einen gewissen Gesinnungswandel. Alle haben verstanden, dass wir im Pflegebereich, im Gesundheitsbereich, im IT-Bereich Zuzug brauchen. Sonst haben wir ein riesiges Problem, das wir mit Maßnahmen wie der Pflegelehre und Pflegestipendien gar nicht auffangen können. In den 60er-und 70er-Jahren haben wir Gastarbeiter geholt, und man hat gesehen, dass sich auch ihnen gegenüber die Stimmung rasch geändert hat. Das war notwendig, sonst hätten wir geringeres Wachstum gehabt. Das muss man auch heute sagen: Wenn es uns nicht gelingt, Arbeitskräfte nach Österreich zu bringen, dann haben wir geringere Wachstumsraten, und geringere Wachstumsraten bedeuten weniger Wohlstand in Österreich. So einfach ist das.
Walter Rosenkranz plakatiert im Präsidentschaftswahlkampf "Holen wir uns unser Österreich zurück". Das impliziert nicht, dass er auf Zuzug am Arbeitsmarkt setzt, oder?
Ich will Einzelaussagen von Kandidaten nicht kommentieren. Aber: Es hat uns auch niemand Österreich weggenommen.
Jede zweite Frau in Österreich arbeitet in Teilzeit. Wie wollen Sie diese Quote drücken?
Da geht es zunächst einmal darum, überhaupt die Möglichkeiten für Vollzeitarbeit zu schaffen. Viele Frauen haben diese Möglichkeit nicht, da geht es nicht nur um Kinder, sondern oft auch um die Pflege von Eltern, die meist von Frauen übernommen wird. Der zweite Aspekt ist: Unternehmen müssen das auch wollen. Noch bis vor kurzer Zeit haben viele gesagt: "Es reicht, wenn Teilzeit gearbeitet wird. Ich biete gar keine Vollzeitstelle an." Das Dritte sind die richtigen Anreize. Da sind wir noch nicht dort, wo ich gerne hinmöchte. Aufgrund der Progression in unserem Steuersystem und bei den Sozialabgaben, die besonders zuschlagen, wenn man von 20 auf 30 oder von 30 auf 38 Stunden erhöht, ist das derzeit nicht immer attraktiv. Dabei wird oft nicht mitbedacht, dass ja auch die Pensionsansprüche um einiges steigen. Was Besteuerung und Sozialabgaben betrifft, müssen wir das bei der nächsten Steuerreform auf jeden Fall mitbedenken.
Im Vorjahr haben Sie gesagt, der Arbeitskräftemangel im Tourismus sei ein "vorübergehendes" Problem. Sind Sie immer noch dieser Meinung?
Wir haben im Juli einige Tausend Arbeitskräfte mehr im Tourismus gehabt als 2019. Trotzdem war die wahrgenommene Knappheit riesig. Ein Grund dafür ist, dass die Qualität teilweise höher geworden ist und damit der Anspruch der Gäste, noch besser betreut zu werden. Ich habe aber unterschätzt, dass dieser Qualitätsanstieg und die Nachfrage im Tourismus noch stärker sind als vor Covid. Wir haben sicher in nächster Zeit noch großen Bedarf, wenn die Nachfrage so bleibt und sich nicht wie die Konjunktur abschwächt. Es kommen ja unterschiedliche Branchen zu mir, die sagen, wir brauchen Sondermaßnahmen für mehr Arbeitskräfte. Das ist aber nicht so leicht, weil eigentlich alle Branchen Bedarf haben. Es macht keinen Sinn, wenn das AMS mit Maßnahmen etwa Leute von der Pflege in den Tourismus bringt, und die fehlen dann dort.
AMS-Chef Johannes Kopf sagt, Tourismusbetriebe müssten sich auch bemühen, attraktive Arbeitgeber zu sein. Wird es so bleiben, dass die Arbeitnehmer Bedingungen stellen können?
Das hängt davon ab, wann die nächste Hochkonjunktur bevorsteht. Wenn es soweit ist, wird sicher wieder der Druck auf Löhne und Arbeitsbedingungen erhöht werden. Das führt auch dazu, dass die Preise in diesen Bereichen stärker steigen, das wird unabhängig vom Energiepreis die Inflation strukturell erhöhen. Aber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern anzubieten, was sie wollen, ist im Tourismus schwierig. Wir sehen, dass junge Menschen nicht so gerne zu ungewöhnlichen Zeiten arbeiten, am Abend, am Wochenende. Es ist ja kein Zufall, dass der Arbeitskräftemangel in der Pflege und im Tourismus besonders stark wahrgenommen wird. Das sind Berufe mit ungewöhnlichen Arbeitszeiten und Wochenendarbeit.
Die Work-Life-Balance muss passen. Wie sieht die denn bei Ihnen aus?
Viel "Work". Aber ich habe diesen Gegensatz immer etwas eigenartig gefunden. Als Wissenschaftler ist man die schwache Trennung von Work und Life gewohnt, weil einem ja ein guter Gedanke oft in der Freizeit kommt. Also, es hat sich für mich nicht allzu viel geändert. Ich habe kein Problem mit meiner Work-Life-Balance. Aber klar ist im Moment die Herausforderung relativ groß, es passiert sehr viel gleichzeitig.
Und nach dieser Legislaturperiode ist Schluss, und es ruft wieder die Wissenschaft, haben Sie gesagt.
Das ist der Zeithorizont. Also man weiß nie, was passiert, ich werde nie etwas ausschließen. Aber im Moment rechne ich mit Ende 2024 oder Anfang 2025, je nachdem, wie lange die Regierungsbildung nach der Wahl 2024 dauert.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich im News-Magazin Nr. 38/2022.