Die zeitlose Faszination mit Maria Callas
Vor Hundert Jahren in New York geboren, starb Maria Callas 1977 im Alter von nur 53 Jahren. Einst als "die Göttliche", "la Divina" und "Primadonna assoluta" bejubelt, verstummte die Begeisterung während der letzten Jahre ihres Lebens. Das geplante Callas-Museum gab es nie, ihre Wertsachen wurden von den Verwandten versteigert.
Jahrzehnte später wird sie zum Mythos. Ihre Aufnahmen erreichen Bestseller-Werte, und zu ihrem 100. Geburtstag ist ein Film mit Angelina Jolie in der Hauptrolle geplant. Am Höhepunkt ihres Erfolgs schrieb ein Kritiker: "Als ob man den höchsten Berg erklimmt und dann wieder in die tiefsten Stellen des Ozeans stürzt".
Nur 13 Jahre lang dauert ihre Karriere. 13 Jahre lang zitterten Operndirektoren und Konzertveranstalter vor ihren Launen, sie sagte Termine ab, erschien nicht zu Konzerten und galt als das komplizierte, unverlässliche Genie. Danach konnte sie nur mehr mit Aufputschmitteln auftreten, ihre Stimme versagte, und das einst begeisterte Publikum wandte sich ab.
Athen
Als Tochter griechischer Eltern war sie von Beginn an ein "Ersatzkind", wie sie sich selbst beschrieb. Vasily, der geliebte Sohn, starb ein Jahr vor Marias Geburt. Wahrsager und Astrologen versicherten den Eltern, George und Litsa Kalogeropoulos, das nächste Kind werde die Wiedergeburt des verlorenen Sohnes sein. Die Enttäuschung der Eltern über ein Mädchen zerstörte Marias Kindheit. Kaum jemand kümmerte sich um sie, niemand feierte ihre Geburtstage. Maria war 13 Jahre alt, als ihre Eltern sich trennten. Sie zog mit ihrer Mutter und Jackie, der älteren Schwester, nach Athen. Ohne Geld, Freunde und Verwandte lebten sie in einer halb verfallenen Wohnung. "Ich brachte euch nicht für nichts in diese Welt, jetzt müsst ihr mich unterstützen", sagte die Mutter zu ihren Töchtern. Maria begann mit dem Gesangstudium, während die Mutter die ältere Tochter an den wohlhabenden Unternehmer Milton Embirikos regelrecht verkaufte, der für diesen Dienst die Kosten für ein besseres Apartment übernahm und Maria ein Klavier schenkte. Als der Krieg begann, bot sich die Mutter als Prostituierte italienischen und deutschen Soldaten an und zwang Maria, in den Nachtlokalen für die Besatzer zu singen. Nach Ende des Kriegs brach Maria jeden Kontakt zur Mutter ab und zog zurück nach New York, wohnte in einer Absteige in Hell's Kitchen und hatte drei Jobs: Babysitterin, Kellnerin und Assistentin einer Opernsängerin.
Liebesbriefe
Sie bewarb sich an der Metropolitan Opera, wurde abgelehnt und begann eine Affäre mit Eddy Bagarozy, dem Ehemann der Sängerin Louise Casoletti, die ihr Unterricht gab. Bagarozy, ein kleiner Gauner, der von Betrügereien lebte, versprach ihr eine große Karriere, wenn sie einen Vertrag mit ihm als Manager abschließen würde. Er verfolgte sie später jahrelang mit Geldforderungen und drohte, Fotos und Liebesbriefe zu veröffentlichen.
Der Direktor des Verona Festivals, Giovanni Zenatello, hörte sie in New York vorsingen. Er erkannte ihr Talent, nutzte ihre Naivität und Unsicherheit und bot ihr die Hauptrolle in "La Gioconda" für 60 Dollar pro Aufführung, wenn sie die Anreise selbst bezahlen würde. Auf einem sowjetischen Kartoffeldampfer kam sie nach Europa, in einem Karton ihre Habseligkeiten, mit ein paar Schuhen und ohne Mantel.
Die 23-jährige Maria suchte verzweifelt einen Weg, zu überleben, und sprach einen älteren Mann in einem Restaurant an, den 52-jährige Ziegelfabrikant Giovanni Meneghini. Innerhalb einer Woche zog sie bei ihm ein, und er wurde ihr Manager. Meneghini beschrieb sie später verachtend, als sie ihn verlassen hatte: "Als ich sie das erste Mal traf, war sie dick, unförmig und sah aus wie eine Zigeunerin, hatte kein Geld und keine Ahnung vom Geschäft der Oper."
Venedig
1949 sprang sie in Venedig für eine erkrankte Kollegin ein. In nur sechs Tagen lernte sie die Hauptrolle der Elvira in Bellinis Oper "I Puritani", und das Publikum tobte. Es war die Geburtsstunde der "Stimme des Jahrhunderts".
Maria fand zu ihrer Selbstsicherheit. Das unscheinbare, rundliche Mädchen mit dicken Brillengläsern nahm fast 40 Kilogramm ab, ließ Gesicht und Figur durch plastische Chirurgie ändern. Mit einem neuen Haarstil, ihrer kontrollierten Art, sich zu bewegen und zu sprechen, verwandelte sie sich in die unvergessliche, weltberühmte Diva.
1951 begann ihre Karriere in der Mailänder Scala mit Verdis "I vespri siciliani". Zu Beginn der zweiten Saison 1952 wurde sie als Lady Macbeth die Königin des Opernhauses. Die nächste Saison arbeitete sie mit Leonard Bernstein. Er nannte sie: "Die größte Sängerin der Welt". Nach ihrem Auftritt mit der Wahnsinnsarie aus "Lucia di Lammermoor" jubelte das stehende Publikum 25 Minuten lang. "Sie öffnete ein neues Tor für uns, für alle Sängerinnen weltweit", erinnerte sich Montserrat Caballé.
1959 traf sie Aristoteles Onassis, der ihr Blumen schickte mit dem Gruß: "Der andere Grieche." Sie nahm eine Einladung auf seine Yacht an. Er war 53 Jahre alt, sie 35, beide verheiratet, sie sprachen Griechisch, damit sie niemand verstehen konnte, und am Ende der Reise waren sie ein Liebespaar. Ein jahrelanges Drama begann, das Maria letztendlich in die Verzweiflung trieb. Onassis, der sein enormes Vermögen mit Drogenschmuggel aus Argentinien absicherte, liebte es, berühmte Frauen an seiner Seite wie Trophäen vorzuführen. Mit Marias eigenständigem Leben, ihrem dichten Programm von einem Opernhaus zum anderen hatte er nicht gerechnet. "Maria, ich kann so ein Leben nicht, es ist wie ein "Pay to go"-Leben", beklagte er sich. Er begann eine Affäre mit Lee Radziwill, der Schwester von Jacqueline Kennedy, und besuchte regelmäßig Bordelle.
Selbstmordversuch
"In den Opern spiele ich Frauen, die für die Liebe sterben. Jetzt verstehe ich sie und spiele sie nicht nur", sagte Maria zu Reportern nach einem Selbstmordversuch. Aus Zeitungen erfuhr sie über das Verhältnis zwischen Onassis und Jacqueline. Dieser genoss sein Spiel mit berühmten Frauen, lud Maria nach Jacqueline auf sein Schiff ein, trennte sich wieder von ihr, beschimpfte sie vor der Mannschaft: "Wer bist du? Ein Nichts! Du hast eine Pfeife im Hals, die nicht mehr funktioniert!"
Maria verließ ihn. Nächtelang saß Onassis auf seinem Boot mit Marias Arien, die über Lautsprecher im Dunkel der Nacht verhallten, danach zerbrach er die Schallplatten und warf sie ins Meer.
Im Oktober 1968 heirateten Onassis und Jacqueline Kennedy. Maria versuchte, sich auf ihre Karriere zu konzentrieren, doch ihre Stimme versagte immer öfters. Sie musste Konzerte und Opernauftritte absagen. Kritiker verrissen sie rücksichtslos, und sie flüchtete sich in Alkohol und Beruhigungstabletten.
Nach Onassis' Tod 1975 verschwand sie aus der Öffentlichkeit. Ihr Freund während der letzten Jahre, der griechische Pianist Vasso Devetzi, versorgte sie mit illegalen Drogen. In einem der wenigen Interviews sagte sie: "Ich habe alles verloren, meine Stimme, meinen Geliebten, ich habe keine Kinder, es ist schon fast wieder lustig."
Ausdruckskraft Marias Repertoire umfasste 43 vollständige Opernrollen und Arien aus weiteren 34 Opern. Sie beherrschte alle stimmlichen Tontechniken des Belcantogesangs und setzte überzeugend bei jeder Rolle auch ihr schauspielerisches Können sein. 1951 trat sie als Aida in Mexiko-City auf. Das Ende der Siegerszene im zweiten Akt sang sie abweichend von der Partitur mit einem glasklaren Es. "Das Publikum drehte völlig durch", beschrieben die Kritiker die Reaktion.
Ich selbst bin kein Opern-Fachmann, kann daher die musikalische Bedeutung von Maria Callas nur als Zuhörer einordnen. Als ich jedoch ihre Stimme im Hollywood-Aids-Drama "Philadelphia" mit einer Arie aus der Oper "Andrea Chenier" hörte, kamen mir wie so vielen anderen im Saal die Tränen. "Wer hat das gesungen?", fragten viele beim Verlassen des Kinos. Sie wussten nicht, das sie eben der größten Sopranistin des 20. Jahrhunderts zugehört hatten, waren völlig ergriffen von dieser einmaligen Stimme.