Razzien, Haftbefehle und Telefonüberwachungen. In der letzten Woche erreichte die Causa Signa in Südtirol eine neue Dimension.
Italienische Anti-Mafia-Staatsanwälte ermitteln seit dem Jahr 2019 gegen das norditalienische Benko-Netzwerk und nahmen sich jetzt den Kern der Zelle vor. Der mutmaßliche Anführer der Bande heißt: René Benko. Die Ermittlungen der Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft in Trient haben nicht nur südlich des Brenners für erhebliche Unruhe gesorgt. Die Ermittler vermuten in Signa-Mastermind René Benko den vermeintlichen Kopf einer kriminellen Vereinigung, der mithilfe seines Südtiroler Statthalters Heinz Peter Hager und eines weiteren Unternehmers Bauprojekte – auch auf politischer Ebene – beeinflusst haben soll. Die Hauptbeschuldigten weisen alle Vorwürfe zurück, es gilt die Unschuldsvermutung.
Rückblende. Im März 2019 veröffentlichte die von Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz finanzierte Rechercheplattform Addendum erstmals eine kritische Serie an Enthüllungen über das Wirken und Werken von René Benko. In Österreich, in Deutschland, in der Schweiz, aber auch in Südtirol. Sehr früh erhielten die Investigatoren bei den damaligen Recherchen einen Hinweis, der meist mit einer subtilen Warnung transportiert wurde: Man möchte doch – ganz dringend – die Rolle von René Benko und seinem Südtiroler Statthalter genauer unter die Lupe nehmen.
Heinz Peter Hager ist nicht nur ein Unternehmer, sondern der wohl bekannteste Wirtschaftsprüfer Südtirols. Der 65-Jährige saß lange im Aufsichtsrat der Südtiroler Volksbank und wurde schon Anfang der 2000er-Jahre Benkos Mann für das Diskrete, aber auch für das Grobe, für sämtliche Geschäfte zwischen Bozen und Mailand. „Im Fall der Fälle“, sagte Benko mehrfach gegenüber langjährigen Weggefährten, die sich News und der „Krone“ in den letzten Monaten anvertraut haben, „weiß der Hager, was zu tun ist. Sollte mir einmal etwas zustoßen …“
Im finsteren Tal
Grund und Boden sind seit jeher ein rares Gut im engen Südtirol. Umso mehr fällt da natürlich der persönliche Zugang ins Gewicht. Der Einfluss auf die Politik und in die Verwaltung. „Sicher ist, dass Baugenehmigungen ausgestellt worden sind, die kein Südtiroler Unternehmer je bekommen hätte“, erklärte Toni Ebner, Chefredakteur der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“, schon 2019 gegenüber Addendum. Ein einflussreicher Unternehmer machte deutlich: „In Bozen scheint zwar oft die Sonne, aber wenn es um Politik geht, wird es rasch finster.“ Und in eben diese Schattenseiten von Südtirol führt diese Recherche.
Mit dem Kaufhaus Tyrol in Innsbruck konnte Finanzjongleur Benko bereits Ende der Nullerjahre Aufmerksamkeit erzeugen, Prestige auf sich ziehen und neue Geldquellen erschließen. Doch Benko wollte mehr. Und so wandte er sich mit seinem Vertrauensmann Heinz Peter Hager bald der anderen Seite des Brenners zu. Es sollte wieder ein Kaufhaus der Premiumklasse werden. Bozen war der ideale Wirtschaftsraum für derartige Überlegungen. Erneut sollte Star-Architekt Chipperfield ein weit über die Landesgrenzen hinweg sichtbares „trophy asset“ für Benko entwerfen. Für das Gelingen eines solchen Unterfangens braucht es nicht nur die Rückendeckung von willigen Investoren und Banken, sondern auch die Akzeptanz vonseiten der Politik.
Ein Fall für Heinz Peter Hager, der seit der Vorwoche, seit den bekannt gewordenen Ermittlungen der Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft, über einen reduzierten Bewegungsradius verfügt.
Hager war seit 2013 für Benkos Signa intensiv unterwegs. Mit, so legen es die aktuellen Recherchen nahe, enormem Pensum. So setzte Hager etwa Ende Februar 2013 Benko darüber in Kenntnis, dass er mit dem damals amtierenden Südtiroler Landeshauptmann Luis Durnwalder gesprochen habe. Hager soll Durnwalder eine Viertelstunde das Projekt gezeigt und erläutert haben. Dabei erntete er durchwegs positives Feedback. Zumindest, wenn man den schriftlichen Berichten Hagers an Benko Glauben schenkt:
Hager an Benko: „Er wird es nicht verhindern, sondern unterstützen. Er hat mir auch einige Tipps zum Genehmigungsprozess gegeben.“
Hirschjagd
Wenige Wochen später, am Freitag, dem 5. April 2013, stand ein persönliches Treffen zwischen René Benko, Heinz Peter Hager und Luis Durnwalder an der Tagesordnung. Das Projekt sollte an diesem Tag nicht nur dem Landeshauptmann, sondern anschließend auch dem damaligen Bozner Bürgermeister Luigi Spagnolli präsentiert werden. Benko wollte Nägel mit Köpfen machen. Dafür brauchte es die nächste Benko-Bozen-Werbetour, die für Anfang Mai 2013 ins Auge gefasst wurde.
In der Früh war erneut ein Termin beim Bozner Bürgermeister Spagnolli geplant, um die „Großwetterlage“ zu besprechen. Für 12:30 Uhr waren die Herren Hager und Benko laut einer „News“ und der „Krone“ vorliegenden Tagesordnung auf einen „Aperitif mit Dr. Arno Kompatscher (voraussichtlicher neuer Landeshauptmann)“ in einer Bar im Zentrum Bozens verabredet. Hager hatte minutiös alles im Blick. Noch-Landeshauptmann Durnwalder sollte dem Kaufhaus-Projekt weiterhin gewogen bleiben und sich später, nach seinem Abschied aus der Politik, sogar für eine Werbetour mit Benko durch Bozen zur Verfügung stellen. Ein Akt der Loyalität, den Benko und Hager dem alten Landeschef wohl mit einer exklusiven Jagdeinladung im Herbst 2017 abgelten wollten.
Hager an Benko: „Hab mit LUIS geredet. Es ginge ihm am So 24.–Mo 25.9 für den Hirsch (23.9 hat er übrigens Geburtstag)“. Offenbar war Luis Durnwalder nicht der letzte Spitzenpolitiker in Benkos Revier.
Brettljause mit dem Landeshauptmann
Nicht minder intensiv gestaltete sich der Austausch mit dem neuen und aktuell noch immer amtierenden Landeshauptmann von Südtirol, Arno Kompatscher. Das Bozner Kaufhausprojekt, das unter dem Namen „Waltherpark“ zentral in den Akten der italienischen Ermittler auftaucht, musste unter allen Umständen gegen die Widerstände von Gewerbetreibenden bis hin zum Gemeinderat durchgeboxt werden. Es galt nun, den amtierenden Südtiroler Landeshauptmann sowie den Bozner Bürgermeister auf Schiene zu bringen. Vor allem in der Phase 2014 bis 2016. Denn da musste das Projekt das alles entscheidende grüne Licht bekommen.
Zu dieser Zeit wurde der Südtiroler Landeshauptmann von allen Seiten umgarnt. Eben deshalb musste man ganz Besonderes bieten: Etwa am 10. September 2014 eine in Österreich als Brettljause bekannte „Marende“ auf dem Anwesen des Benko-Investors Hans Peter Haselsteiner in Bozen. Neben Heinz Peter Hager und René Benko soll auch Signa-Aufsichtsratschef Alfred Gusenbauer bei Speck und Kaminwurzen mit von der Jausen-Partie sein.
Ängstlicher Bürgermeister
Ab dem Frühjahr 2015 geht es dann ans Eingemachte, wie Recherchen von News und „Krone“ offenbaren. Hager und Benko stimmen sich regelmäßig eng ab. Am 25. März 2015 wendet sich Hager an Benko und seine PR-Leute.
Hager an Benko und die Mitstreiter: „Hatte am Mo den 23.3.15 eine längere Aussprache mit Citymanager Ing M. (Anm. Name bekannt) u BM Gigi Spagnolli (Anm. Bozner Bürgermeister) zu Projekt Kaufhaus BZ-KHB (…) Fakt ist, dass der BM Angst hat die Ratifizierung des KHB noch vor den Wahlen in den Gemeinderat zu bringen u es eindeutig vorzieht, dies gleich nach den Wahlen mit dem neuen Gemeinderat zu machen, da er davon ausgeht, dass er dann mächtiger u unangreifbarer als derzeit ist. […]
Infolge werden für uns die Gemeinderatswahlen, die am 10.5.15 stattfinden werden, noch wichtiger u Robert L (PR-Chef der Signa-Gruppe, Anm.) wird am 31.3.15 diesbezüglich in Bozen sein um mit uns die Strategie u das Bdg für den Wahlkampf u die Kommunikationsstrategie bis Mitte Juni zu erarbeiten.“
Bemerkenswert ist, dass Hager mit der Abkürzung „Bdg“ wohl Budget gemeint haben könnte. An welches Budget für den Wahlkampf Hager gedacht haben könnte, bleibt offen. Auch die Frage, ob es eine finanzielle Unterstützung des Bozner Bürgermeisters gegeben haben könnte. Noch Jahre später, nämlich im Jahr 2019, sollte der Bozner Bürgermeister Spagnolli gegenüber Addendum angeben, dass „der Benko für uns zur richtigen Zeit vom Himmel gefallen ist“.
„Werter Landeshauptmann“
Nicht nur der Bozner Bürgermeister ist für Heinz Hager von großem Interesse. Auch der heutige Landeshauptmann Arno Kompatscher erhält kurze Zeit später, konkret am 9. Juni 2015, diskrete elektronische Post vom bekanntesten Strippenzieher Südtirols. Die Konversation liegt News und der „Krone“ ebenfalls vor.
„Werter Landeshauptmann, lieber Arno“, heißt es. Dann bringt Hager ausführlich die Wünsche und Anregungen der Benko-Seite ein. Er führt aus, dass es sich „hier nicht mehr um ein Bozner Projekt, sondern um ein Projekt, das auch von landesweiter Bedeutung ist, handelt. […] die politische Vorgangsweise im Fall Benko wird auch Zeichen dafür sein, ob weiterhin ein paar Bremser der alten Garde in Südtirol, wenn es darauf ankommt, alles blockieren können, oder ob in Südtirol die neue Politik der Erneuerung greift. Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du in deinen vielen Funktionen vor allem aufgrund der landesweiten Bedeutung der Vorgangsweise im Projekt Benko mit dem Verhandlungsführer der SVP BZ Dieter Steger vorstehende Punkte besprechen konntest, wobei ich jederzeit für eine konstruktive Aussprache zur Verfügung stehe.“
Nur einen Tag später, am 10. Juni 2015, meldet sich der Südtiroler Landeshauptmann persönlich bei Hager: „Werde mit Dieter Steger reden und ihn auffordern, sich zurück zu halten (mehr kann ich von ihm nicht verlangen) – werde auch versuchen, Gigi (Anm. vermutlich Luigi Spagnolli) klar zu machen. Welches Risiko er eingeht, wenn er das Projekt in Frage stellt.“
Der Benko-Vertraute Hager, der heute noch als Vorstandsvorsitzender der Laura-Privatstiftung in Innsbruck fungiert, zieht alle Register. Seine Nachricht an den Südtiroler Landeshauptmann leitet er nicht nur an Benko weiter, sondern auch an zwei weitere Vertraute. An den Chef der Falkensteiner Hotelgruppe, Otmar Michaeler, sowie an den politisch exzellent vernetzten Bürgermeister von St. Lorenzen, Martin Ausserdorfer: „Unten das mail, das ich soeben unserem Landeshauptmann geschickt habe. ich wäre euch sehr dankbar, wenn auch Ihr bei den Entscheidungsträgern das
Benkoprojekt unterstützen könntet.“
Wieder einen Tag später, am 11. Juni 2015, reagiert Ausserdorfer auf Hagers Nachricht: „Hallo Heinz, habe heute früh mit Arno gesprochen und ihm meine Position mitgeteilt. Er hat mir versichert, dass er seinen Beitrag dazu leisten wird! Hoffen wir das Beste.“
Im Jahr 2016 wurde das Projekt „Kaufhaus Bozen“ mit einer Mehrheit der Bozner Einwohner im Rahmen einer Volksbefragung endgültig auf Schiene gebracht.
Diskretes Treffen
Kurze Zeit nach dem grünen Licht für das Kaufhausprojekt kam es im August 2016 übrigens zu einem bemerkenswerten Treffen auf einem Bauernhof im Südtiroler Eppan. Ein österreichischer Spitzenpolitiker suchte den Weg nach Bozen und fand sich dort Stunden später in einer geselligen Runde bei einem Abendessen ein. Zu Gast auf Heinz Hagers Hof waren der Südtiroler Landeshauptmann Arno Kompatscher, der Finanzjongleur René Benko und der damalige Außenminister der Republik Österreich: Sebastian Kurz.