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Loos und der Chicago Tribune Tower

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Peter Sichrovsky

©Ricardo Herrgott/News
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Der Vorschlag des berühmten Architekten kam zu spät mit dem Schiff an

Das letzte Gebäude an der Michigan Avenue, bevor eine Ziehbrücke über den Chicago River das Shoppingviertel mit dem Businessteil verbindet, ist ein Hochhaus im altgotischen Stil – der weltberühmte Chicago Tribune Tower. Als ich noch in Chicago lebte, stand ich gerne vor den großen Fenstern des Towers, wo man von der Straße aus die Radiosprecher beobachten und ihnen zuhören konnte. Dieses Jahr war das Hochhaus eine einzige Baustelle. Keine Journalisten, keine Radiosprecher arbeiten mehr dort. Der Wolkenkratzer, einst Symbol der einflussreichen „Chicago Tribune“, wird in Luxusapartments umgebaut.

Wettbewerb

Ich bedauerte diese Entwicklung gegenüber einem Freund (J.N.), der mich fragte, ob ich die Chicago-Connection von Adolf Loos kennen würde. Ich hatte keine Ahnung. Da jedoch die Mutter von Loos, Marie Loos, eine direkte Verwandte meiner Großmutter war, interessierte mich die Geschichte.

1922 veröffentlichte der Eigentümer der Zeitung, Robert McCormick, einen internationalen Wettbewerb für die Neugestaltung der Zentrale. Er kaufte den teuersten Platz auf der Michigan Avenue und stellte sich einen mächtigen Wolkenkratzer vor, in dem die Redaktion, die Radiostationen und eine Luxuswohnung für sich selbst untergebracht werden sollten. Loos las davon in britischen Zeitungen, war sofort begeistert, stürzte sich mit seinen Kollegen Kulka und Fischer in die Arbeit und entwarf einen gigantischen, futuristischen Turm, modern und schmucklos. Nächtelang arbeiteten die drei an den Plänen. Die Teilnahme an der Ausschreibung war von den Schiffsverbindungen nach Amerika abhängig.

Es dauerte dennoch alles zu lange. Die Postsendung erreichte das letzte Schiff nicht, Loos versäumte den Termin und sein Vorschlag wurde von der Jury nicht berücksichtigt. Die Amerikaner entschieden sich für ein altmodisches, üppig verziertes Projekt, weit entfernt von der sich in Europa entwickelnden, modernen Architektur.

Ein Jahr später verbrachte Loos einige Tage in Nizza, wie seine Frau, Elsie Altmann-Loos, in ihren Erinnerungen schrieb. Loos las zufällig in der Zeitung, dass McCormick vorhatte, mit dem noblen ‚Blue Train‘ von Monte Carlo nach Cannes zu fahren. Loos, damals in Europa bereits ein bekannter Architekt, beschloss, McCormick im Zug zu überraschen und ihm persönlich seine Entwürfe zu überreichen.

Blue Train

Er fuhr am frühen Morgen von Nizza nach Monte Carlo, kaufte ein Ticket für den ‚Blue Train‘ und stürmte unangemeldet in McCormicks Zugabteil. Der unterhielt sich mit zwei Freunden und reagierte wenig begeistert auf den störenden Loos, der ihm unbedingt seine Pläne überreichen wollte. McCormick unterbrach ihn, verärgert und ungeduldig, bat ihn, das Abteil zu verlassen mit dem Hinweis, der Auftrag für das Gebäude sei bereits an einen würdigen Preisträger vergeben.

Loos verließ den Zug in Nizza, verzweifelt und enttäuscht. „Der Mann war sicherlich betrunken, du weißt ja, wie viel die Amerikaner trinken, und dann vergessen sie ihre gute Erziehung“, versuchte seine Frau, ihn zu trösten. „Du hast recht, der Kerl war sicher besoffen, sonst hätte er mich nicht so behandelt“, antwortete Loos.

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