Der Orgasmus gilt als erstrebenswertes Gut. Als i-Tüpfelchen der Lust und Gütesiegel der Sexualität. In der Sexualtherapie zeigt sich, dass Frauen dem eigenen Körper gegenüber mithin Berührungsängste, ja buchstäblich Schamgefühle haben.
Vera sagt, sie könne nur zum Höhepunkt kommen, wenn auch dem viel missachteten Kleinod zwischen ihren Beinen Aufmerksamkeit geschenkt werde. Doch viele Männer reagieren irritiert, wenn Frauen sich beim Beischlaf an ihren eigenen Geschlechtsorganen, vor allem an der Klitoris berühren. Als ob er als Liebespartner nicht genug wäre, fühlt Heinz sich verunsichert, wenn Vera sich beim Liebesspiel auf einmal unten herum anfasst: „Wie wenn der Sex mit mir nicht ausreichend ist, ohne sich dabei selbst zu stimulieren“, sagt Heinz in einer gemeinsam begonnenen Sexualtherapie. Und: „Als könnte sie nur durch mich nicht zum Höhepunkt kommen.“
Das knickt sein Selbstwertgefühl als Mann. Heinz knüpft mit seiner Kritik an eine historische Entwicklung an: Schon Sigmund Freud bevorzugte den „reifen vaginalen“ gegenüber einem angeblich viel oberflächlicheren, „unreifen klitoralen“ weiblichen Orgasmus.
Was aber passiert beim Orgasmus?
Was aber passiert beim Orgasmus? In der sexuellen Erregung füllen sich die Schwellkörper der Klitoris mit Blut. Der sogenannte „Kitzler“ kann dabei deutlich größer werden. Im Übrigen ist die Klitoris nicht nur, was man oberflächlich sieht, sondern kann in die Tiefe gehend etwa zehn Zentimeter umfassen.
Beim Orgasmus entlädt sich nun im Gehirn ein Feuerwerk an Neurotransmittern und Hormonen, begleitet von Kontraktionen im Beckenboden, Blutdruckanstieg, einer beschleunigten Atmung und Glücksgefühlen. Ein sogenannter „kleiner Tod“ der Selbstvergessenheit und Ekstase, der bei Frauen in aller Regel länger anhält als bei Männern. Und bei Frauen durchaus seriell möglich ist.
Tabuzone weiblicher Körper
Während bei Knaben und Männern das spielerische Hantieren am Penis als normal gilt, ist die Klitoris noch immer buchstäblich „schambesetzt“. Selbstbefriedigung wurde im 19. Jahrhundert bei Frauen als Tabu betrachtet, da die Fortpflanzung, nicht die sexuelle Lust im Fokus stand. Masturbation stand im Verdacht, Krankheiten wie Pocken oder Hysterie auszulösen. Der Frauenarzt Isaac Baker Brown plädierte für eine chirurgische Entfernung der sogenannten Klitoris-Eichel, um Epilepsie und Hysterie zu heilen.
Dass die Klitoris und der sogenannte G-Punkt noch wenig bekannt sind und noch immer ein bisschen „suspekt“ wirken, hat mit der männlichen Domäne in der wissenschaftlichen Forschung, dem Vorrang männlicher Lust und dem gesellschaftlichen Bild der Frau zu tun. Hier gibt es Nachholbedarf, um etwa zu zeigen, dass der G-Punkt eine ganze Zone im Körper von Frauen ist. Und keine singuläre Stelle, die man wie die Nadel im Heuhaufen suchen muss.
Abwertung der weiblichen Sexualität
Im 20. Jahrhundert war Sigmund Freud ein Kritiker des klitoralen Höhepunktes. Ein reifer Orgasmus sei somit nur der vaginale Orgasmus beim Geschlechtsverkehr. Die Klitoris erschien somit entbehrlich, wenn nicht sogar hinfällig.
Fazit
Orgasmusarten sollten nicht qualitativ gegeneinander ausgespielt werden. Heinz braucht nicht eifersüchtig auf die Beteiligung von Veras Klitoris am sexuellen Höhepunkt zu sein. Im Gegenteil gilt es, den ganzen Menschen in all seinen erogenen Zonen nicht nur wahrzunehmen, sondern radikal zu akzeptieren. Unvoreingenommen und wertneutral. Nur das bedeutet sexuelle Entfaltung, wenn sie auf gegenseitigem Respekt beruht.