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Schweigen ist sexy

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©gen by MJ
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Oft geht die Mär um, ruhige Menschen können sich nicht durchsetzen, sie hätten Selbstzweifel und seien Schwächlinge. Dann fallen solche wohl schnell aus einem vernünftigen Beuteschema raus

 

Frank, der mich als fünfzigjähriger Single in meiner Praxis aufsuchte, beklagte sich darüber, mit Menschen nichts zu reden zu wissen. Ihm falle schlichtweg nichts zu sagen ein, er habe in seiner Kindheit unter seiner strengen Mutter gelitten, die ihn immer korrigiert oder ihm den Mund verboten habe. Deswegen schweige er meist und habe  es auch noch zu keiner Partnerschaft gebracht. Frank hat es dann geschafft, in einer Gruppentherapie zu erkennen, dass nicht jeder ein Vielredner sein müsse, um in der Liebe zu landen. Irgendwann veränderte sich sein negatives Selbstbild. Und lief er nicht wie mit Scheuklappen, gebeugt von seinem inneren Kritiker, sondern aufrecht durchs Leben, und voller Selbstakzeptanz. Dass er Susanne trotz seiner Wortkargheit als Partnerin fand, ist ihm allerdings immer noch rätselhaft.

Wohldosiertes Reden statt Zutexten ist ein Muss bei jedem Date. Ein gegenseitiges Kennenlernen wird nicht nur erschwert, sondern vielfach verhindert, wenn man einander förmlich mit Wortschwallen zumüllt. Ganz gleich, ob Sie in einer bestehenden Partnerschaft Ihr Gegenüber mit einem Anfall von Logorrhoe, einem krankhaften Redefluss, überschwemmen, oder ob Sie die Glut der Liebe schon bei der ersten Begegnung mit verbalen Kaskaden abdämpfen – die Liebe braucht mithin auch die verbale Abstinenz. Im Folgenden ein paar Argumente für das Schweigen in der Liebe:

 

  1. Schweigen ist Gold

Wer meine Kolumne kennt, weiß, dass ich auf die Dialogkultur setze. Aber bitte reden Sie nicht um jeden Preis und nicht inflationär. Ein tagtägliches Liebesgeständnis kann unglaubwürdig, ja sogar belastend und nervig sein; somit abschreckend, als müsse man sich selbst permanent darauf verbal besinnen, um die in Wahrheit schwankenden Gefühle verkrampft festzuhalten.

  1. Dirty Talk

Worte können zu Barrieren werden, anstatt verbindend zu wirken. So etwa, wenn einer seine sexuellen Vorlieben rausposaunt, die andere Person davon gefühlt überfordert ist und emotional einfriert. Und wenn sie sich nicht zu sagen getraut, dass ihr mal eine verbale Sendepause angenehmer wäre.

  1. Narzisstische Selbstüberschätzung

Wer andauernd redet und dabei hauptsächlich von sich erzählt, hat in Wahrheit ein fragmentiertes Selbstbewusstsein. So ein Mensch will entweder bewundert werden, wenn er wirklich viel zu sagen hat oder er redet wie um sein Leben, was aber dann schon vielfach ermüdend und nervtötend wirkt.

Fazit: Reden Sie bitte weiter. Fangen Sie am besten noch heute wieder mit jenem Menschen, bei dem sie überwiegend schweigen, weil scheinbar alles gesagt zu sein scheint, achtsam zu kommunizieren an. Finden Sie klare Worte über die Schwierigkeit zu reden. Wenn das nicht klappt, nutzen Sie eine Paartherapie oder ein Coaching, um durch eine neutrale dritte Person das Beziehungslaufwerk wieder anzufeuern.

Es gibt aber demgegenüber auch die Lizenz zum Schweigen in der Liebe, um den Partner auf die Gefühlsebene zu bringen. Sie kommunizieren ja immer noch nonverbal mit den Augen, mit Gesten, Ihrer gesamten Grundhaltung und Mimik. Ergreifen Sie bewusst die Gelegenheit zu einer ruhigen Nähe in der Liebe, anstatt Gefühle zu zerreden. Ein Blick, aber auch ein Kuss, sagt mehr als 1.000 Worte.

 

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