Rückblick: Klimaministerin Leonore Gewessler stimmt gegen den Willen des Koalitionspartners für das EU-Renaturierungsgesetz. War das der Anlass für das Ende von Türkis-Grün oder nur eine Ausrede für eine von der ÖVP längst gewollte Trennung?
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„Das war nicht irgendeine Entscheidung“, sagt Leonore Gewessler über jenen Tag im Juni, an dem sie beim Treffen der europäischen Umweltministerinnen und -minister die letzte fehlende Stimme für das Renaturierungsgesetz lieferte. „Man spürt die Verantwortung, die Spannung. Es war mucksmäuschenstill im Saal. Alle Augen und Ohren sind auf dich und jedes Wort, das du sagst, gerichtet. Es war allen bewusst, dass diese Entscheidung national große Aufmerksamkeit bekommen wird.“
Besondere Aufmerksamkeit heißt: Die ÖVP, die monatelang gegen das Gesetz kampagnisiert, denkt über ein Ende der Koalition nach, verwirft das zwar, bringt aber Klage gegen Gewessler ein. Ein nie dagewesener Vorgang, selbst in zerstrittenen Regierungen. Vom Kanzler abwärts tönt es: Mit Gewessler will man nicht mehr regieren. Aber: Schon lange zuvor hatten ÖVPler über die Zusammenarbeit mit den Grünen gemäkelt. Zu durchsetzungstark war ihnen der kleine Regierungspartner. „Die Grünen haben ihr Gesicht gezeigt“, grämt sich nun Karl Nehammer.
„Wir haben genau das gemacht, wofür wir gewählt wurden und wofür wir in die Regierung gegangen sind“, sagt dazu Gewessler. Viel habe man durchgesetzt, vom Klimaticket bis zum Plastikpfand. „Dass sich da manche denken, vielleicht geht es mit anderen bequemer, sei ihnen unbenommen.“
Grün, nicht feig
„Ich bin nicht in die Politik gegangen, um es mir leicht zu machen, sondern um Verantwortung zu übernehmen“, sagt Gewessler. „Ich möchte nicht in 20 Jahren erklären müssen, ich hätte Dinge verhindern können, aber ich war zu feig.“ Auch andere Entscheidungen waren wild umstritten. „Der Stopp des Lobautunnels ist nicht geräuschlos vorbeigegangen in dieser Republik.“ Genau das könnte in den Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und Neos rückgängig gemacht werden. „Wenn die Betoniererfraktionen von ÖVP und SPÖ am Tisch sitzen, wird es andere Schwerpunkte geben als mit den Grünen“, meint Gewessler.
Nun wird Gewessler im Parlament auf der Oppositionsbank Platz nehmen. Auch als nächste grüne Parteichefin ist sie im Gespräch. Ob die Grünen zu ihren Wurzeln zurückkehren, wenn etwa in den Auwäldern der Lobau ein Tunnel gebohrt wird? „Ich habe eine aktivistische Vergangenheit“, sagt die ehemalige Global 2000-Geschäftsführerin, „habe es aber in den letzten fünf Jahren so gehalten, dass ich zivilgesellschaftlichen Protest nicht vereinnahmt habe. Wie ich als Oppositionsabgeordnete mit Protesten umgehen werde, muss ich mir noch überlegen.“ So oder so: Man wird von ihr hören.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 51+52/2024 erschienen