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Lenin und LGBT

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Peter Sichrovsky

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Kurz vor seinem Tod ließ er die Liberalisierung des Sexualstrafrechts zu

Homosexualität und LGBT-Rechte zeigen eine widersprüchliche Geschichte im Marxismus und Kommunismus. Marx und Engels wichen dem Thema aus. In keinem ihrer Werke gingen sie darauf ein. Als der Sozialist Johann Baptist von Schweitzer in einem Park wegen „unmoralischem Verhaltens“ verhaftet wurde, verweigerten beide einem Komitee zur Verteidigung Schweitzers die Unterstützung. Bekannt waren jedoch ihre derben Scherze über den Genossen. Die „Encyclopedia of Homosexuality“ kritisiert Marx und Engels sogar als homophob.

Oktoberrevolution

Vor 100 Jahren starb Wladimir Lenin. Nach der Oktoberrevolution erklärte er die Verbotsgesetze des Zarenreichs für ungültig und setzte eine Liberalisierung durch. Unter seiner Leitung entkriminalisierte die Regierung die Homosexualität mit einer „sozialistischen Gesetzgebung“. Sexualität wurde zur „privaten Angelegenheit“ erklärt. Die neu gegründete Sowjetunion war damit einer der ersten Staaten, die Homosexualität legalisierten – ein halbes Jahrhundert vor den westlichen Demokratien.

1923 veröffentlichte Dr. Grigorii Batkis mit Lenins Zustimmung den berühmten Beitrag über „Die sexuelle Revolution in Russland“: „Die sowjetische Gesetzgebung macht keinen Unterschied zwischen Homosexualität und dem sogenannten ‚natürlichen‘ Verkehr. Alle Formen des Geschlechtsverkehrs werden als persönliche Angelegenheit behandelt. Die strafrechtliche Verfolgung wird nur in Fällen von Gewalt, Missbrauch oder Verletzung der Interessen anderer durchgeführt.

Doch Lenins progressive Haltung stieß auf Widerstand innerhalb der Kommunistischen Partei. Einflussreiche Genossen suchten den Ausweg vom Verbot zur Therapie, definierten Homosexualität als eine Krankheit der Bourgeoisie und prophezeiten Heilung im kommunistischen System.

Zahlreiche Gebiete der Sowjetunion übernahmen die Liberalisierung nicht. Sie blieb eine „Freiheit“ im russischen Teil und in der Ukraine. Aserbaidschan, die Transkaukasische Föderation und Provinzen in Zentralasien änderten die Moskauer Beschlüsse und erklärten Homosexualität weiter für illegal. Gebiete mit muslimischer Mehrheit wie Usbekistan und Turkmenistan weigerten sich, die „sozialistische Gesetzgebung“ zu übernehmen.

Zehn Jahre später, unter Stalin, war alles vorbei. Die sowjetischen Strafgesetzgebung wurde zu Beginn der 1930er-Jahre durch einen Zusatz erweitert: Homosexualität wurde mit bis zu fünf Jahren Gefängnis oder Arbeitslager bestraft. „Abnorme sexuelle Praktiken“ seien dekadente Verhaltensweisen der Faschisten und Aristokraten. Kritiker wie der deutsche Psychoanalytiker Wilhelm Reich wurden aus der Kommunistischen Partei ausgeschlossen.

Nationalsozialismus

Zur gleichen Zeit verschärften die Nationalsozialisten die liberale Auslegung der Gesetze in Deutschland, beendeten eine Epoche der Freizügigkeit, die sich vor allem in Berlin mit Clubs, Kabaretts und Nachtlokalen etabliert hatte. Etwa 100.000 Männer wurden zwischen 1934 und 1945 verhaftet, die Hälfte von ihnen verurteilt, Tausende starben in Konzentrationslagern.

Mit Stalin und Hitler endete die Liberalisierung des Sexualstrafrechts mit vergleichbar brutaler Verfolgung im Kommunismus und im Nationalsozialismus.

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