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Leitartikel: Zurück in die Zukunft mit der großen Koalition

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Babler und Nehammer

©GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com
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Mit aller gebotenen Gemächlichkeit wird gerade eine neue Bundesregierung gebildet: zurück in die Zukunft mit der großen Koalition. Ausgerechnet ÖVP und SPÖ sollen jetzt das Ruder der Republik herumreißen. Über einen Treppenwitz der Geschichte und nötigen Zweckoptimismus

Übertriebene Eile scheint bei der Regierungsbildung nicht angesagt. Zunächst waren die taktischen Manöver des Bundespräsidenten abzuwarten, dann die Herbstferien zu begehen, jetzt trifft man sich hin und wieder zu Sondierungsgesprächen, die dann vielleicht in Verhandlungen übergehen, welche möglicherweise zu einer Regierungsbildung führen. Begleitet wird das von medialen Gerüchten und Spekulation. Nichtgeschichten über nicht Nichtgeschehnisse, das beschreibt den politischen Diskurs in ­Österreich auch sonst recht gut, aber in diesen Tagen ganz besonders.

Umsicht und Sorgfalt bei der Regierungsbildung sind sicherlich wichtig. Aber sie stehen doch in gewissem Widerspruch zu jenem Gefühl der Dringlichkeit, das die Weltlage abseits der Usancen österreichischer Innenpolitik kennzeichnet. In anderen Worten: Es gäbe einiges zu tun für eine neue ­Regierung. Und zwar bald und nicht erst, wenn alle in Ruhe ihren Kaffee ­ausgetrunken haben.

Es ist ein tragikomischer Treppenwitz der Geschichte, dass ausgerechnet eine ÖVP-SPÖ-Koalition das Ruder der Republik herumreißen und sie zukunftsfit machen soll, mit einer hauchdünnen Mehrheit im Parlament (daher wahrscheinlich unterstützt von einem dritten Juniorpartner) und der Angst vor der FPÖ im Nacken. Zwei Parteien, die ganz besonders dafür stehen, Bestehendes zu bewahren: die eigenen Einflussbereiche, die eigene Machtbasis.

Keine Pensionsreform

Der mit Abstand größte Teil der ÖVP-Wähler ist über 60 Jahre alt, zeigen Wahlbefragungen zur Nationalratswahl 2024. Bei der SPÖ ist der Anteil kleiner, aber auch hier besteht die größte Wäh­lergruppe aus über 60-Jährigen. Zum Vergleich: Die FPÖ war bei den 35- bis 59-Jährigen am stärksten, Neos und Grüne bei unter 35-Jährigen. Die neue Regierung wird also voraussichtlich aus jenen beiden Parteien bestehen, die vor allem die ältesten Menschen im Land repräsentieren. Eine Pensionsreform, die zahlreiche heimische Experten und internationale Beobachter einfordern, ist damit vom Tisch (auf dem sie auch davor nicht lag).

Das große Versprechen der ehemaligen Großparteien an ihre Wähler:innen lautet: Veränderung findet nicht statt. Es erinnert ein bisschen an den Film „Good Bye, Lenin!“. Während an der gegenüberliegenden Hauswand schon ein riesiges Coca-Cola-Plakat entrollt wird, glaubt die Mutter weiterhin, in der DDR zu leben, weil ihr Sohn ihr die kapitalistische Wahrheit nicht zumuten will. ÖVP und SPÖ betreiben ein ähnliches Spiel. Die Welt verändert sich fundamental, und jeder weiß es. Trotzdem lautet die Botschaft: alles halb so wild. Österreich bleibt Autoland. Die Pensionen sind sicher. Wenn nur alle möglichst fest daran glauben.

Beruhigende Botschaften

Und es scheint zu funktionieren, noch zumindest. Mit beruhigenden Botschaften – hart an der Grenze zur Fehlinformation, fanden Kritiker – gelang es der ÖVP bei der Wahl im Herbst, einen Total­absturz zu vermeiden. Was bei ­diesem Arrangement der Realitätsverweigerer keine Rolle spielt, sind die Interessen der jüngeren Generation. Wer entknotet das veraltete und dysfunktionale Bildungssystem und passt es an neue Gegebenheiten an? Wer thematisiert die potenziell verheerenden Folgen, die künstliche Intelligenz auf den Arbeitsmarkt haben wird, und redet über das völlig neue Arbeits- und Menschenbild, das daraus resultiert? Wer setzt das Thema Klimakrise trotz aller Widerstände auf die Tagesordnung?

In einer künftigen Regierungskoalition würde diese Rolle wohl dem kleinen dritten Koalitionspartner zufallen, der zwecks Mehrheitssicherung und Modernitätsanschein bei den Großen mitspielen darf. Keine Lösung, die echte Veränderung garantiert. Allein schon, weil viele Probleme dieses Landes mit den Interessen und Strukturen der ehemaligen Großparteien zusammenhängen. Sie müssten sich selbst abschaffen – oder völlig neu erfinden –, um echte Veränderung herbeizuführen. Die wahrscheinlichere Variante: ÖVP und SPÖ raufen sich mit Ach und Krach zusammen, verkaufen das als Erfolg und legen ein Arbeitsprogramm vor, das beiden möglichst wenig weh tut. So wird in ­Österreich Zukunft gestaltet.

Spuren von Hellsicht

Die letzten Wochen ließen zumindest vordergründige Spuren von Hellsicht erkennen. Es dürfe kein Zurück in die Vergangenheit geben, versicherte SPÖ-Chef Babler nach Abschluss der ersten Sondierungsrunde. Und Karl Nehammer, immerhin Chef jener Partei, die seit 1987 durchgehend in Regierungsverantwortung ist, kündigte Reformen „mit Mut und Tatendrang“ an. Jetzt aber wirklich, nach 40 Jahren Training. Ob man diesem plötzlichen Sinneswandel Glauben schenken kann? Alternativlos, außer man möchte einen Kanzler Kickl. Die große, klein gewordene Koalition ist derzeit Österreichs größte Hoffnung. Besser kann man die Lage der Nation ­eigentlich nicht zusammenfassen.

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