Visionäre, die Veränderung gestalten wollen, sind gefragter denn je. In Unternehmen und erst recht in der Politik. Doch diese Visionäre mit Ideen und Tatkraft fehlen. Ausgerechnet jetzt, da der Mut zur Veränderung überfällig ist
„Was ist Ihre Motivation?“ Eine simple Frage, die in Bewerbungsgesprächen regelmäßig gestellt wird und – ehrlich beantwortet – tief blicken lässt. Ergänzt wird sie oft mit weiteren Fragen: Was sind Ihre Ziele? Warum haben Sie sich für diesen Job beworben? Was treibt Sie an? Und überhaupt: Was begeistert Sie? Fragen wie diese trennen die bloßen Pflichterfüller von jenen, die mit Ambition und Vision agieren.
Ja, es gibt genug Menschen, die einfach nur einen Job suchen, um ihr Leben oder auch ihren Lebensstil bestreiten zu können. Ihre Begeisterung und Leidenschaft für eine Sache fallen dabei zwangsläufig weniger ins Gewicht. Und dann gibt es Menschen, die nicht einfach nur eine Aufgabe mit einem guten Einkommen suchen, sondern etwas bewirken wollen. Die groß denken, Herausforderungen suchen und keine Angst vor unbequemen Wahrheiten haben. Die unangenehme Wahrheiten ansprechen, weil sie davon überzeugt sind, dass diese den Menschen zuzutrauen sind. Die wissen, dass Veränderungen oft nicht nur eine Option, sondern eine Notwendigkeit sind. Die begeistern und andere mitnehmen, indem sie klug, offen und ehrlich kommunizieren.
Zukunftsarchitekten gesucht
Nicht nur Unternehmen brauchen solche Unterschiedsspieler. Auch das Land Österreich. Gerade jetzt besonders. Also Menschen, die für einen „Wenn nicht jetzt, wann dann?“-Paradigmenwechsel stehen. Menschen, die mutig Debatten anstoßen und gleichzeitig gewillt sind, dafür Lösungen auf den Tisch zu legen. Menschen, die Antworten haben auf Deindustrialisierung, Wachstumsschwäche und schwindende Wettbewerbsfähigkeit. Menschen, die einen (wirtschaftspolitischen) Weitblick mitbringen und dafür weniger ideologischen Starrsinn. Menschen, die mehr Kompetenz haben, als Probleme nur mit einer Politik des Geldverteilens zu lösen. Menschen, die erkennen, dass das, was wir gerade wirtschaftlich erleben, nicht nur ein vorübergehender Zustand ist, sondern eine strukturelle Krise. Eine Krise mit vielen hausgemachten Problemen.
Stattdessen haben wir Politiker, die zehn Wochen nach der Nationalratswahl noch immer ausloten, ob sie miteinander können oder wollen oder müssen. Ob es Schnittmengen gibt – und ob diese jedenfalls groß genug sind, um die jeweilige Klientel zu bedienen. Politiker, die in einer noch dazu dramatischen Budgetsituation in scheinbar aller Seelenruhe und in beeindruckend großer Besetzung mit rund 300 Personen besprechen, ob das, was da ist, ausreicht, um sich zusammenzuraufen. Denn zu mehr wird es wohl nicht reichen. Wohl wissend, dass eine Koalition, die nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner kommt, am Ende des Tages zu wenig ist.
Die „vergessene“ Baustelle
Nur ein Beispiel. Aber nicht irgendeines: das Pensionssystem. „Nur jeder zweite Mann zwischen 60 und 64 Jahren arbeitet. In Österreich gibt es eine Tendenz, früh in Pension zu gehen“, schlug erst vergangene Woche Tobias Thomas, Chef der Statistik Austria, Alarm. Während in der Altersklasse der 55- bis 64-Jährigen in Österreich nur 57,3 Prozent arbeiten, sind es in Deutschland 74,6 Prozent. Im Europa-Schnitt sind 63,7 Prozent dieser Personen erwerbstätig. Knapp 30 Milliarden Euro, ein Viertel des österreichischen Budgets, fließen allein heuer in die Pensionen. Die letzte große Pensionsreform liegt 20 Jahre zurück.
Und dennoch hat eine neuerliche Pensionsreform auch unter diesen alarmierenden Vorzeichen in den Regierungsverhandlungen keine Priorität. Einzig die Neos drängen auf eine Reform. Dabei wäre das Pensionssystem eine dieser Schrauben, um das Land zukunftsfit zu machen. Kamen nämlich in Österreich im Jahr 1950 auf eine Person im Pensionsalter 5,8 Personen im sogenannten erwerbsfähigen Alter von 20 bis 64 Jahren, waren es im Vorjahr 3,1 Personen. 2040 werden es laut Prognosen nur noch zwei sein. Doch was macht die Politik? Sie versucht es weiter mit Antworten von gestern für die Probleme von heute und morgen. An der Schraube des Antrittsalters drehen die anderen. Die anderen Länder.
Politik im PR-Modus
Der Politik in Zeiten wie diesen mangelndes Engagement vorzuwerfen, wäre freilich eine allzu pauschale Einschätzung. Immerhin hat sich einer der Koalitionsverhandler inmitten der Krise dazu entschieden, einen Podcast zu starten. Das Ziel des neuen ÖVP-Podcasts: Bundeskanzler Karl Nehammer „nah und persönlich“ zu präsentieren. Der Ton: locker, flockig, launig. Der Inhalt: belanglos. Der Kanzler des Landes sorgt sich um seine Außendarstellung und berichtet in kindlicher Begeisterung, wie es war, mit dem US-Präsidenten zu telefonieren. Der Titel des Podcasts: „Karl, wie geht’s?“
In einem Land, in dem gerade nicht viel geht, wirkt diese PR-Show zur denkbar ungünstigsten Zeit wie ein weiteres Sinnbild für politische Lethargie – und offenbart ein mittlerweile bemerkenswert fehlendes Gespür für die richtigen, weil wichtigen Dinge.
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