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Leitartikel: Wirtschaftsparadies Österreich

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Kathrin Gulnerits

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Wir brauchen eine neue Erzählung von Arbeit. Und wir brauchen den Mut, über Tabus zu reden. Nicht nur in Wahlkampfzeiten. Aber jetzt ganz besonders

Vielleicht ist an der Misere auch nur der ORF schuld. Ö3 läutet schon am Mittwoch verbal das Wochenende ein, und die Worte an Interviewgäste im „Morgenjournal“ auf Ö1 kommen wie das Amen im Gebet: „Danke, dass Sie sich so früh die Zeit für das Gespräch genommen haben.“ Der Blick auf die Uhr: sieben Uhr. Gut möglich also, dass sich „um diese Zeit“ der eine oder andere in diesem Land – insbesondere jene, die immer schon und zwar täglich „früh“ aufstehen – angesichts der salbungsvollen Worte die Augen reibt. Wahlweise vor Müdigkeit oder vor Verwunderung.

Wie auch immer. Das Thema Arbeit beschäftigt das Land. Ein bisschen jedenfalls. Aber nicht in der gebotenen Ernsthaftigkeit, die es erfordern würde. Dabei leben wir in einem Land, das in den vergangenen Jahren zunehmend an wirtschaftlicher Attraktivität und Konkurrenzfähigkeit verloren hat. Wir leben in einem Land, in dem die Arbeitsproduktivität der Beschäftigten nicht steigt, sondern sinkt. Wir leben in einem Land, in dem Betriebe aufgrund von Personalmangel ihr Angebot zurückfahren müssen und sich wohl nur allzu gerne an die rosigen Zeiten des „Kriegs um die Talente“ zurückerinnern. Jetzt müssen sie die Sorge haben, nicht nur keine Talente, sondern überhaupt keine Arbeitskräfte mehr zu bekommen. Ein Beispiel: Die Anzahl der Betriebe mit Lehrlingsausbildung ist auf ein Langzeittief gesunken. Den größten Rückgang an betrieblichen Lehranbietern gab es in Gewerbe, Handwerk und Handel. Die Zahl der Lehrlinge im Gastgewerbe hat sich in nur 15 Jahren mehr als halbiert. Jede und jeder Fünfte bricht die Lehre ab.

Wirtschaftsparadies Österreich

Überhaupt leben wir in einem Land, in dem eine schrumpfende Zahl von Erwerbstätigen einer wachsenden Gruppe von Pensionisten gegenübersteht. Der demografische Wandel – und das, was wir jetzt erleben, ist erst das Vorgeplänkel – sorgt dafür, dass derzeit mehr Babyboomer in Pension gehen, als neue Arbeitskräfte nachrücken. Das heißt in logischer Folge, dass Wirtschaftsleistung und Steuereinnahmen schwächer wachsen als die damit verbunden Ausgaben des Sozialstaates, also etwa für Pensionen. Auch das sollte uns allen, jedenfalls der Politik, zu denken geben. Tut es aber nicht. Ganz im Gegenteil. Man könnte meinen, wir leben in einem Wirtschafts- und Steuerparadies. Das blüht und wuchert sogar. Es ufert aus. Es kennt vor allem keine Grenzen. Schon gar nicht in Zeiten wie diesen. Schwierigen Zeiten, die gleichzeitig auch besondere Zeiten sind. Ein bisschen mehr als vier Wochen noch, dann ist Wahltag. Ein Zahltag ist nicht vorgesehen. Jedenfalls nicht in den allermeisten Erzählungen der wahlwerbenden Parteien mit Blick auf den Wirtschaftsstandort Österreich.

Man könnte meinen, wir leben in einem Wirtschafts- und Steuerparadies. Einen Zahltag gibt es nicht

Gute Jahre?

Die einen träumen vielmehr von „fünf guten Jahren“. Andere locken mit der Forderung nach weniger Arbeit bei vollem Lohn- und Gehaltsausgleich oder winken mit einem 1.000-Euro-Bonus für Menschen, die Vollzeit arbeiten. Ganz davon abgesehen, dass dieses Land dringend eine neue Erzählung von Leistung, Arbeit und Wertschätzung braucht – und zwar unter tatkräftiger Mitgestaltungen aller Beteiligten. Das Beispiel des „Vollzeitbonus, um Leistung attraktiver zu machen“, zeigt: Es kostet. Ein paar Milliarden hier, ein paar Milliarden dort. Geld, das wir gerne dafür hätten, aber nicht haben.

Die Gesamtverschuldung liegt, gemessen an der Wirtschaftsleistung, aktuell bei 78,5 Prozent und soll bis 2028 auf 82,4 Prozent steigen. Dabei sollte die Verschuldung, wenn man sich an die vereinbarten EU-Spielregeln hielte, eigentlich sinken. Man hält sich aber nicht an diese Regeln. Tun andere auch nicht. Das macht die Sache aber nicht besser. Die EU-Kommission fordert einen Sparplan von Österreich mit einer Einsparung von 2,5 Milliarden ab kommendem Jahr.

Doch über einen Sparplan will niemand reden. Das Tabuthema Pensionen angreifen? Bloß nicht! Dabei mahnte gerade erst die Chefin der Alterssicherungskommission, dass es „unglaubliche Anstrengungen“ braucht, um die Pensionen im finanzierbaren Rahmen zu halten. Die Rede ist auch von einem höheren gesetzlichen Pensionsantrittsalter Die Erzählung, dass es Wohlstand nicht ohne (mehr) Arbeit gibt? Mühsam.

Einen Hoffnungsschimmer gibt es freilich: Wirtschaftswachstum. Doch auch hier sucht man die dazugehörige Strategie und die Antwort auf die Frage, woher das kommen soll, vergeblich. Erst recht in Zeiten, in denen die dazugehörigen Konjunkturprognosen eher bescheiden ausfallen. In Österreich genauso wie in Deutschland. Und was macht das, wenn Europas größte Volkswirtschaft schwächelt? Sie zieht das Wachstum insgesamt runter. Insbesondere in Ländern mit engen Verflechtungen. Österreich zum Beispiel. Und was macht es mit einem Land, dem es wirtschaftlich schlecht geht? In dem bekommen meist jene Aufwind, die auf große Probleme besonders kurze Antworten haben. Jene, die in schwierigen Zeiten wie diesen „fünf gute Jahre“ versprechen.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin@news.at

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