Was sagen das Nicht-Chaos am Flughafen, ein Scheibchen Zitrone und ein üppiger Geldtransfer an eine syrische Großfamilie in Wien über ein Land aus? Ziemlich viel. Darüber, was wir können – und was nicht. Und wo Teile der heimischen Politik mittlerweile zur Lachnummer verkommen
Eine urlaubsbedingte Abwesenheit hilft, den Blick zu schärfen. Auf das Land, die Lebensumstände, wie und ob etwas funktioniert. Es ist eine Momentaufnahme, keine Frage. Aber sie hilft, Dinge zurechtzurücken. Neu zu bewerten. Einzuordnen. Als am 19. Juli etwa eine IT-Panne weltweit die Flughäfen lahmlegte, frohlockte die Medienwelt im medialen Sommerloch: Chaos! Mega-Panne! Nichts geht mehr! Dabei ging erstaunlich viel. Am Flughafen Wien etwa. Auch bei den oft mit viel Verachtung gestraften Billigairlines wie Ryanair.
Chaos können wir
Von wegen Chaos. Routiniert und unaufgeregt erledigten die Mitarbeiter vom Flughafen Wien ihren Job. Zahlreich. Freundlich. Gut vorbereitet. Flott. Der händisch durchgeführte Check-in mithilfe von seitenweise dicht beschriebenen Passagierlisten auf Papier statt per Mausklick dauerte am Ende nicht länger, wie es eben mitten in der Hauptsaison an einem Flughafen dauert. Chaos können wir also. Ziemlich gut sogar.
Was wir offensichtlich nicht mehr so gut können im Tourismusland Österreich, ist Tourismus – angefangen von der Zitrone im Wasserglas und dem Preis für einen Kaffee, bis hin zur Personaldichte und Freundlichkeit oder der Bezahlung. Erstere kostet anderswo nämlich nichts, während Gastronomen in Wien mittlerweile ungeniert üppige 90 Cent für das gelbe Scheibchen verrechnen. Zweiterer kommt jenseits der Landesgrenze ebenfalls in einer sauberen Tasse und serviert daher, kostet aber etwa in Spanien locker die Hälfte der hiesigen verrechneten Kaffeepreise.
Lust auf Arbeit
Auch (junges) und freundliches Personal gibt es in Spanien reichlich. Eine ausgeprägte Unlust zu arbeiten – auch bei heißen Temperaturen –, dürfte es dort ebenfalls nicht geben. Wesentlich mehr Work als Life, so scheint es jedenfalls. Geschlossene Lokale? Sowieso Fehlanzeige. Küchenschluss um 21 Uhr? Gab es ohnehin noch nie. Selbst die obligatorische Frage „Cash oder Karte?“ hat jenseits der österreichischen Landesgrenze vor allem einen Sinn: nämlich dem Gast Wahlmöglichkeiten aufzuzeigen und nicht darauf hinzuweisen, dass das eine – nämlich die Karte – nicht akzeptiert wird. Und damit sind wir mitten in der heimischen Politik. Die kommt – eben mit diesem urlausbedingten Abstand betrachtet – und angesichts der Probleme, die sich in den Sommerhimmel 2024 stapeln, wie aus der Zeit gefallen daher. Retrothemen inklusive.
Bankomatgarantie
Der eine, der Kanzler werden möchte, fordert im Rahmen seines „Banken-Fairness-Pakets“ eine „Bankomatgarantie“. Der andere, der Kanzler des Landes, stellt sich gleich vor einen solchen Bankomaten und spricht bedeutungsschwer. Über Bankomaten. Erzählt, dass er gerade nicht vor irgendeinem Bankomat steht. Sondern vor einem Bankomat in einer Landgemeinde. Der Ort tut nichts zur Sache – zur großen Sache. Denn in diesem Videoschnipsel auf Social Media – veröffentlicht am 2. Juli 2024 – wird verkündet, dass der Kanzler ein Versprechen einlöst: Er hat dafür gesorgt, dass Bankomaten in Österreich erhalten bleiben. Ja, sogar ausgebaut werden.
Problembewusstsein made in Austria eben. Ähnliche Videoschnipsel etwa aus einer Pflegestation, aus einem Lehrbetrieb (uns gehen nicht nur die Mitarbeiter im Tourismus aus) oder aus einem Schulhort, der wichtig wäre, um Mütter in Vollzeitarbeit zu bekommen, sind nicht überliefert. Der guten Ordnung halber: 8.600 Bankomaten gibt es derzeit in Österreich. Zum Vergleich: in Deutschland sind es rund 58.000.
Dabei hat das Land ganz andere Probleme. Es köchelt. In der Migrations- und Integrationspolitik zum Beispiel. Doch die Politik hat auch wenige Wochen vor der Nationalratswahl keine Antworten darauf. Jedenfalls keine jenseits einer Ankündigungspolitik. Andreas Babler und Karl Nehammer wissen, dass es große Probleme gibt – und reden trotzdem lieber über die verhältnismäßig kleinen. Ob das gut geht? Nein.
Wir und die anderen
Am mangelnden Problembewusstsein liegt es nicht. Aber offensichtlich an der Problemlösung jenseits der kurzen, oft nicht haltbaren Antworten. Also versucht man sich irgendwie drüberzuretten und hofft gleichzeitig, dass der Absturz nicht allzu groß wird. Es sich am Ende irgendwie „ausgeht“. Ein wunderschönes Wort im österreichischen Sprachgebrauch. Eben weil es so viel Zuversicht und einen Hauch von Sorglosigkeit ausstrahlt. Es ist mit Blick auf die Bankomaten angebracht. Mit Blick auf den Rest nicht.
Denn bei der Wahl werden nicht die Anzahl der Bankomaten im Land entscheidend sein, sondern das Miteinander. Das tatsächlich Erlebte. Aber auch das Gefühlte: Wir und die Ausländer. Wir und die Armen. Wir und die in der (vermeintlichen) sozialen Hängematte. Oder hübscher ausgedrückt: Wir und die „Inaktiven“. Um dieses „Wir und die anderen“ geht es. Der Rest ist Folklore und ein Thema für bessere Zeiten.
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