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Leitartikel: Stillstand durch Harmonie – Es braucht mehr als nur sanfte Konsenspolitik

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Kein Streit, keine Vision, keine Ecken und Kanten – die neue Bundesregierung setzt auf Harmonie. Medien und Wähler honorieren das. Noch. Doch wohin führt ein Kurs, der nur verwaltet, nicht gestaltet?

Was wir mit Stand heute wissen: Die neue Bundesregierung macht es anders. Ruhiger. Kein Marketingsprech. Kein „Das Beste aus drei Welten“. Keine Slim-Fit-Anzüge. Kein Streit. Konsens statt Konflikt. Positive Vibes inklusive. Jeder darf mal mit seinen Themen ran. Heute die einen, morgen die anderen. Nach drei Wochen geht das Spiel von vorne los, so der kommunizierte Plan. Das kommt an. Beim Wähler. Vor allem bei vielen Medien. „Wunderbar fad“, heißt es anerkennend. Ein „ganz neuer Stil“. Überhaupt: „Diese Regierung macht eine erstaunlich gute Figur.“

„Mal wieder“, möchte ich ergänzen. Und ein „Wie lange wohl?“ gleich hinterherschieben. Denn bezüglich eines „neuen Stils“ kann das Land ja bekanntlich auf vielfältige Erfahrungen zurückgreifen. Es waren nicht immer gute Erfahrungen. Gerade der (mediale) Blick auf die Form („die streiten nicht!“) hat schon des Öfteren in eine Sackgasse -geführt. Folglich halte ich den Applaus für verfrüht. Und für naiv. Denn „wunderbar fad“ zu sein, muss man sich leisten können. Schon immer. Jetzt besonders. Es bedeutet ein großes Stück weit auch, eingetretene Pfade nicht zu verlassen und folglich nichts Neues zu wagen. Also Altbewährtes beizubehalten, weil es schon immer so war, selbst wenn es nicht mehr funktioniert. „Wunderbar fad“ zu agieren, heißt auch, nicht über den Tellerrand zu schauen – aus Angst, dort könnte eine bessere Idee warten.

Die hochgelobte Kompromissfähigkeit birgt Stolpergefahr. Es ist nur ein kurzer Weg zum Stillstand

Auch die im gleichen Atemzug hochgelobte und ebenso viel zitierte „Kompromissfähigkeit“ birgt Stolpergefahr. Von ihr ist es nämlich nur ein kurzer Weg zum Stillstand. „Es werden harte Zeiten“, raunt es aus den Ministerbüros. Gemeint ist wohl vor allem das Ende der Gießkannen-Politik. Doch ein „Jetzt das Richtige tun“ hieße mehr: eine Zukunftsvision wagen. Eine langfristige Perspektive. Wo ist sie?

Kein Mut, kein Wandel

Ja, ein paar Wochen Regierung sind kein Maßstab. Doch es fühlt sich an wie Stillstand – mit homöopathischen Korrekturen. Dabei sind die goldenen Zeiten der Globalisierung vorbei. Die Wirtschaft trübt sich weiter ein. Wo bleibt die Idee für dieses Land? Eine, die über „wunderbar fad“ und Maßnahmen „unter Budgetvorbehalt“ hinausgeht? Und eine, die die neuen geopolitischen Realitäten -mitdenkt? Zuhören, reden, „aufeinander zugehen“ – das wird nicht reichen. Gerade erst haben das Ifo-Institut und die OECD ihre BIP-Prognosen für Deutschland 2025 gesenkt. Europas größte Volkswirtschaft bleibt damit das Schlusslicht. Keine guten Aussichten für Österreich. Noch nicht eingepreist: Deutschlands XXL-Investitionen in Verteidigung, Infrastruktur und Klima – 1.000 Milliarden Euro auf Pump. Sie könnten 2026 das Wachstum „signifikant“ ankurbeln, sagen die einen. Die anderen warnen: Ein schuldenfinanzierter Geldregen ist noch lange keine Wirtschaftswende.

Blick über den Tellerrand

Die weltpolitische und wirtschaftliche Lage ist besorgniserregend. Sie zeigt – auch für Österreich –, dass es Zeit ist, zu handeln. Ohne Wachstum gibt es keinen Wohlstand. Und ohne Wohlstand kann der Sozialstaat, vor allem mit Blick auf die Demografie, nicht in gewohnter Form erhalten bleiben – etwa bei Pensionen, Pflege und Gesundheit. Schon jetzt sind die Pensionszuschüsse mit über 30 Milliarden Euro der größte Ausgabenposten des Staats Spätestens an diesem Punkt könnte der Blick über den Tellerrand helfen. Für eine sachlich geführte Pensionsdebatte. Ohne ideologische Scheuklappen. Noch besser: mit Mut. Stephan Leithner, der neue Vorstandschef der Deutschen Börse – übrigens ein Österreicher –, schlägt dieser Tage vor, für jedes neugeborene Kind in Deutschland 4.000 Euro in eine kapitalmarktbasierte Rentenversicherung einzuzahlen. Bei 750.000 Geburten im Jahr wären das drei Milliarden Euro Kosten für den Staat. Bei sieben Prozent Verzinsung ergäbe das nach einem Arbeitsleben über 370.000 Euro Pensionskapital. „4.000 Euro für jedes Kind – und das Rentenproblem wäre für Generationen gelöst“, so Leithner in der „FAZ“.

Reform mit Weitblick

Sein Vorschlag lehnt sich an das „Schwedische Modell“ an. Dort erkannte man schon in den 1990er-Jahren, dass das steuerfinanzierte System nicht tragfähig ist. Die Lösung: ein Drei-Säulen-System aus staatlicher Rente, Betriebsrente und einer verpflichtenden kapitalgedeckten Prämienrente. Für Letztere kann aus Hunderten Fonds mit unterschiedlichen Risikoprofilen gewählt werden. Für die staatliche und die Prämienrente werden ab dem 16. Lebensjahr 18,5 Prozent des beitragspflichtigen Einkommens abgeführt. Im Zuge der Reform wurde zugleich das Renteneintrittsalter an die Lebens-erwartung gekoppelt. Für alle nach 1959 Geborenen liegt das früheste Renteneintrittsalter bei 62 Jahren, volle Bezüge gibt es ab 66. Ab 2026 gilt ein „Richtalter“: Die volle Rente wird dann erst mit 67 Jahren ausgezahlt. Die Logik dahinter ist simpel und bekannt: Wer länger lebt, muss auch länger arbeiten. Alles andere wäre ein Rechenfehler – und ein Wohlstandsrisiko für kommende Generationen.

 

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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.12/2025 erschienen.

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