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So sind sie eben doch

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Kathrin Gulnerits

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Seilschaften, politische Anbiederung, mangelnde professionelle Distanz: Österreich hat eine Zweiklassenjustiz. Politische Interventionen gibt es vor allem bei prominenten Strafverfahren. Der Befund ist hart, überrascht aber am Ende nicht

Die gute Nachricht lässt sich in einem kurzen Satz abhandeln: Das Justizsystem in Österreich funktioniert insgesamt sehr gut. Hochprofessionell. Kompetent. Das bescheinigt jene Untersuchungskommission, die dieses System in den vergangenen Monaten unter die Lupe genommen hat. So weit, so gut. Wären da nicht die Einzelfälle. Sie fallen – mal wieder – in die viel zitierte und bestens eingeübte Kategorie "So sind sie eben doch". Der Auslöser für die Untersuchung: ein Tonband. Mal wieder. Heimlich aufgenommen. Mal wieder. Schauplatz diesmal ein Wiener Lokal. Darauf Sätze für die Ewigkeit. Auch mal wieder: "Man verlangt, dass ich Ermittlungen einstelle. Das kann ich nicht, das mache ich nicht! …", so der mittlerweile verstorbene Ex-Sektionschef Christian Pilnacek.

Der nun vorgelegte Untersuchungsbericht, der das Land jedenfalls beschäftigen sollte, musste folglich vor allem eine Frage klären: Haben Politiker versucht, Einfluss auf die Justiz zu nehmen? Eine Expertenkommission unter der Leitung des Antikorruptionsexperten und Mitinitiators des Antikorruptions-Volksbegehrens Martin Kreutner, eingesetzt von Justizministerin Alma Zadić (Grüne), kommt zu dem Entschluss: Ja, haben sie. Nicht systematisch, aber doch.

Schuldig in allen Anklagepunkten. Und das sind viele: politische Einflussnahme, mehrere Versuche der Zerschlagung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, Weitergabe von vertraulichen Informationen, Auffälligkeiten bei Strafverfahren, Verfahrensverzögerungen, Compliance-Verstöße. Zu viel Nähe nicht nur zwischen Parteien und Justiz, sondern auch zwischen Medien und Justiz. Eine Zweiklassenjustiz, in der Politiker bevorzugt behandelt werden. Im Mittelpunkt: die ÖVP, aber wohlgemerkt nicht nur. Österreich wäre heute unter diesen Vorzeichen nicht mehr EU-aufnahmefähig, bilanziert der Antikorruptionsexperte nach Aktenstudium, vertraulichen Gesprächen und einem Blick über den Tellerrand ins Ausland.

Alle anderen machen es ja auch …

Das Bild ist verheerend. Mal wieder. Andererseits: Schlagworte wie "Seilschaften", "politische Anbiederung" und "mangelnde professionelle Distanz" überraschen längst nicht mehr. Auch die Reaktionen darauf kennen wir schon zur Genüge. Versuchte politische Interventionen? Das machen die einen, das machen die anderen. Österreich halt. Und überhaupt: Das Land ist klein. Da läuft man sich bald einmal über den Weg. Plaudert, trinkt. Tauscht sich aus. Formell. Informell. Alles völlig normal in einem Land, wo das Nicht-Du-Wort längst als Auszeichnung gilt.

Strukturelle Maßnahmen? Ja, könnte man angehen. Etwa die Neugestaltung der Weisungsspitze der Staatsanwaltschaften. Ein Vorschlag der Untersuchungskommission lautet: Einführung einer unabhängigen Generalstaatsanwaltschaft. Diese Idee liegt freilich schon lange in diversen Schubladen. Im Mai 2020 gab es erste Ankündigungen dazu. Es ist beim Wollen geblieben. Die einen (Grüne) wollen ein Gremium an der Spitze. Die Anderen (ÖVP) lieber eine Einzelperson als Generalstaatsanwaltschaft.

Es ist, wie es ist. Und es wird sich so schnell nicht ändern. Denn dazu müssten sich ja schließlich lieb gewonnene und oft ohne Genierer zur Schau getragene Gepflogenheiten in dem kleinen Land Österreich ändern. Wie es gehen könnte, liegt seit dieser Woche einmal mehr auf dem Tisch.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin@news.at

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