Harte Fakten, hitzige Debatte: Friedrich Merz setzt einen neuen Kurs in der deutschen Asylpolitik – mit drastischen Forderungen und überraschenden Bündnissen. Ist das Wahlkampf oder doch die Wende? Die Antwort gibt es spätestens am 23. Februar
Soll Deutschland Asylwerber an der Grenze zurückweisen? Ja, befindet der deutsche Innenminister Horst Seehofer im Juni 2018. Kanzlerin Angela Merkel hält dagegen. Eine nationale Grenzschließung, warnt sie, würde die Einheit Europas gefährden. In Deutschland regiert in dieser Zeit eine Koalition aus CDU/CSU und SPD. Die AfD liegt in der Sonntagsfrage bei 14 Prozent und jenseits des Atlantiks steht Donald Trump auf der globalen politischen Bühne.
Seehofers „Masterplan Migration“ versprach eine Neuordnung der deutschen Flüchtlings- und Asylpolitik. Es war die Rede von „Ankerzentren“, von Zurückweisungen an der Grenze und einer Obergrenze für Flüchtlinge. Innenminister in Österreich war zu diesem Zeitpunkt übrigens Herbert Kickl, der auf die Pläne gelassen reagierte: Sollte Deutschland Flüchtlinge zurückschieben, werde Österreich im Gleichschritt handeln.
Die Symbolik war offensichtlich. Es ging weniger um nachhaltige Lösungen, sondern darum, Härte zu demonstrieren – vor allem mit Blick auf die damals bevorstehende bayerische Landtagswahl. Die Debatte endete ohne bahnbrechende Ergebnisse. Statt einer Neuordnung blieb mehrheitlich alles beim Alten. Die Folgen sind bis heute spürbar. Deutschland und Europa suchen bei diesem Thema weiter nach Antworten. Doch in diesen Tagen wirft der tödliche Messerangriff eines 28-jährigen (und seit Längerem ausreisepflichtigen) Afghanen in einem Park im bayerischen Aschaffenburg, bei dem ein Kleinkind und ein Mann getötet wurden, die Frage vom Juni 2018 erneut auf: Soll Deutschland Asylwerber an der Grenze zurückweisen?
Statt einer Neuordnung blieb mehrheitlich alles beim Alten. Die Folgen sind bis heute spürbar.
Fast alles wie damals
Ja, befindet Friedrich Merz, CDU-Chef und wahrscheinlich nächster deutscher Kanzler – diesmal mit Blick auf die vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar 2025. Die AfD liegt mittlerweile in Umfragen bei 21 Prozent. In den USA sitzt Donald Trump erneut im Weißen Haus und in Österreich greift der FPÖ-Innenminister von 2018 nach dem Kanzleramt.
Statt einem „Masterpan“ sollen jetzt fünf Punkte für „sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration“ sorgen. Dafür will die Union in dieser Woche Anträge einbringen, die schärfere Sicherheitsgesetze fordern. Es ist von dauerhaften Grenzkontrollen zu allen Nachbarstaaten die Rede und von einem faktischen Einreiseverbot für Personen, die keine gültigen Einreisedokumente besitzen und die nicht unter die europäische Freizügigkeit fallen – Schutzgesuch hin oder her. Wer ausreisepflichtig ist, soll bis zum Verlassen des Landes in Gewahrsam.
Merz beendet damit die Asylpolitik seiner ewigen Konkurrentin Angela Merkel. Und er überschreitet rote Linien. Denn er will die Verschärfungen in der Asylpolitik notfalls mit den Stimmen der AfD durchsetzen. Jener AfD, mit der eine Zusammenarbeit bis gerade eben unter seiner Führung kategorisch ausgeschlossen wurde. Jetzt heißt es: „Was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch dadurch, dass die Falschen zustimmen.“ Pragmatismus oder gefährliche Annäherung? Österreich lässt grüßen.
Jetzt heißt es: „Was in der Sache richtig ist, wird nicht falsch dadurch, dass die Falschen zustimmen.“ Pragmatismus oder gefährliche Annäherung? Österreich lässt grüßen.
Vorstoß oder Wahlkampftaktik?
Und jetzt? Wer folgt bei der Wende in der Migrations- und Asylpolitik? Wird der Wähler honorieren, dass es neben der AfD plötzlich eine andere Alternative gibt? Laut einer Umfrage unterstützen 66 Prozent der Menschen in Deutschland den Vorschlag von Merz. Noch-Kanzler Olaf Scholz (SPD) nennt ihn prompt „empörend“ und „unausgegoren“. Hochgradig rechtswidrig, ergänzen die einen. Nicht zu Ende gedacht und wirklichkeitsfremd, sagen die anderen. In der Tat ist es ein Vorstoß, der im Moment mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt.
Was macht es mit einer Gesellschaft, wenn es kein Gespür mehr für Differenzierung gibt und Pauschalierungen in einer ohnehin schon aufgeheizten Stimmung als Allheilmittel gelten? Oder wenn die Frage, was ein Messerstecher mit Menschen, die Asyl suchen, zu tun hat, mit einem Achselzucken beiseite gewischt wird? Was, wenn Merz innenpolitisch nicht im Alleingang die Wende herbeiführen kann? Was würde ein nationaler Alleingang für den Schengen-Raum, in dem mehr als 400 Millionen Menschen frei zwischen den Schengen-Ländern reisen können, bedeuten? Für die Wirtschaft im Kleinen und den Wirtschaftsraum EU im Großen und Ganzen?
Das Vorpreschen von Friedrich Merz ist auch eine Prüfung. Für die Handlungsfähigkeit Deutschlands und Europas Zusammenhalt
War der Vorstoß tatsächlich ein Befreiungsschlag oder am Ende doch nur – und wie so oft – Wahlkampftaktik mit markigen Parolen? Was ist daran Populismus, was Überzeugung? Was, wenn am Ende wieder nur übrig bleibt, dass es „gemeinsame Lösungen“ für Europa braucht, wie der geschäftsführende Kanzler Alexander Schallenberg prompt und einmal mehr fordert? Wohlwissend, dass Europa hier seit Jahren auf zählbare Ergebnisse wartet?
Friedrich Merz hat fürs Erste die Debatte gekapert. Sein Vorpreschen ist auch eine Prüfung. Für die Handlungsfähigkeit Deutschlands und Europas Zusammenhalt. Wem diese Debatte am Ende nutzt, zeigt sich am 23. Februar.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.05/2025 erschienen.