Wie Österreich durch fragwürdige politische Rahmenbedingungen sogar gestärkt werden könnte, wenn sich seine Gesellschaft rechtzeitig gewisser Grundsätze besänne.
Ob das Gewitter schon jetzt über uns hereinbrechen wird, das grollende Donnerwetter namens Volkskanzler Kickl, war zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht absehbar. Es ist für das Folgende aber auch egal: Es liegt was in der Luft, es wird kommen, ob jetzt oder nach Neuwahlen in ein paar Monaten.
Dieser Zeitpunkt ist also so gut wie jeder andere, um über den schmalen Grat zwischen Alarmismus und berechtigter Sorge, über Besonnenheit und Verantwortungsbewusstsein nachzudenken. Oder anders formuliert: Wie verhält sich der mündige Bürger, wenn die Demokratie bedroht scheint?
Zusammenkuscheln
Der Salzburger Festspielintendant Markus Hinterhäuser hat das Problem schon vor zwei Jahren thematisiert, als er Proteste gegen die schwarz-blaue Koalition in Salzburg als „ewig gleiche Empörungsrituale“ bezeichnete. Was – auch wegen des Verdachts, hier wolle es sich einer mit den Mächtigen richten – weitere Empörung(srituale) nach sich zog, aber die relevante Frage nicht beantwortete: Wissen all jene, die sich bei Demonstrationen zusammenkuscheln und die Antipathie gegen die FPÖ als bestimmenden Identitätsmarker vor sich hertragen, zu jedem Zeitpunkt genau, wogegen sie sind?
Nicht, dass es nicht genug gäbe, was man gegen die FPÖ haben könnte – Hinterhäuser sagte das damals übrigens in ziemlich ähnlichen Worten –, aber argumentieren muss man seine Haltung können, wenn sie nicht zur Pose verkommen soll. Sachlich, nüchtern, fair.
Primat der Emotionen
Wenn von den Rechtspopulisten die Rede ist, wird gerne das neue Primat der Emotion beklagt. Die Dummen ließen sich von den Rechten mit irgendwelchen durchsichtigen Versprechungen für blöd verkaufen, so die These. Aber was, wenn die „Gescheiten“ genauso anfällig sind für Gefühle, die auf Kosten der Urteilsfähigkeit gehen, und langsam hineinregredieren in einen Zustand, mit dem man noch vor ein paar Jahrzehnten keinen Staat gemacht hätte? Gefühle wie das gute Gefühl, das es bringt, sich schnell und hart von Andersdenkenden abzugrenzen, zum Beispiel. Die Welt in Schwarz und Weiß, Gut und Böse einzuteilen, das war einmal Teenagern und Extremisten vorbehalten.
Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, sich seiner Vernunft zu besinnen, so man über eine verfügt.
Erwachsene, verantwortungsvolle Menschen waren in der Lage, sich über weltanschauliche Grenzen hinweg auf unverhandelbare Rahmenbedingungen für ein gutes Leben für alle zu verständigen. Frieden, Gesundheitsversorgung, wirtschaftliche Stabilität. Das war die Grundlage der Zweiten Republik, und es war eine Erfolgsgeschichte.
Heute scheitern Regierungsverhandlungen zwischen sogenannten „vernünftigen“ Kräften des Landes an Befindlichkeiten, obwohl jedem klar ist, dass die Alternative Herbert Kickl heißt, und am Schluss vermag keiner zu sagen, warum, außer: Die anderen waren schuld. (Parallelen zu Sandkastenspielen sind so offensichtlich, dass es sich eigentlich verböte, eigens darauf hinzuweisen. Aber zur Sicherheit.)
Brav- und Unauffälligsein
Und jetzt? Was tun, wenn sich unter zartem Protest der Öffentlichkeit die erste blaue Kanzlerschaft materialisiert? Kein Schulkind mit Herz und Verstand, das nicht geschworen hätte, mutig zu sein, sollte es eines Tages wieder so weit sein. Aber die Zeichen der Zeit sehen immer ein wenig anders aus. Wann ist der richtige Moment, etwas dagegen zu sagen oder zu tun, und wann ist es zu spät? Es gibt kein Buch, in dem man das nachschlagen kann, auch kein Geschichtsbuch, schon gar kein österreichisches.
Denn gelungene antifaschistische Erziehung hieße, zu lehren, sein eigenes Urteilsvermögen richtig einzusetzen, während in unseren Schulen oft genug immer noch das Brav- und das Unauffälligsein belohnt werden. Angepasste Kinder, die zu angepassten Erwachsenen heranwachsen. Dann darf man sich aber auch nicht wundern.
Netzwerk von Individuen
In den letzten Wochen waren vor allem zwei Reaktionen auf die drohende Verkicklisierung Österreichs zu beobachten: Hilflosigkeit und Opportunismus. Dabei wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, sich seiner Vernunft zu besinnen, so man über eine verfügt. Sollte Österreich unter einem Kanzler Kickl Ähnliches drohen wie das, was derzeit in den USA zu beobachten ist, ist eine wankelmütige, auf den eigenen Vorteil bedachte und leicht beeinflussbare Öffentlichkeit das Letzte, was das Land braucht. Sondern ein Netzwerk aus vielen unabhängigen Individuen, jedes einzelne mit einem funktionierenden moralischen Kompass ausgestattet, in der Lage, problematische Entwicklungen kritisch zu bewerten und zu benennen, kämpferisch, gemeinsam stark. Bereit, sich über Parteigrenzen und andere erratische Unterscheidungsmerkmale hinweg miteinander auf die wirklich wichtigen Dinge zu verständigen.
Ist das denkbar? Dann soll das Donnerwetter ruhig kommen, lieber heute als in ein paar Monaten. Dann wird es auch keinen allzu großen Schaden anrichten.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.06/2025 erschienen.