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Leitartikel: Wer zählt und was zählt, wenn es um die Zukunft des Landes geht?

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Die erste Sondierungsrunde zeigt: Die oft beschworene Einbindung aller Menschen ist eine leere Floskel. Und: Zeit hat man nicht, Zeit nimmt man sich

Es ist, wie es ist, und vermutlich wird sich daran nichts mehr ändern. Ich gehöre einfach nicht dazu. Nicht richtig jedenfalls. Als Steuerzahlerin (immerhin schon seit 28 Jahren) willkommen, bin ich als Mensch scheinbar nichts wert. Jedenfalls nicht der Rede wert. Denn es ist schon wieder passiert. Diesmal in der „Nachbesprechung“ der ersten Sondierungsgespräche, die bestenfalls den Grundstein für die Zukunft des Landes legen sollen.

Nach diesen Gesprächen gewährte der Noch-Kanzler, der gerne auch weiterhin Kanzler bleiben möchte, einen Einblick in sein Seelenleben – samt pathetisch vorgetragener Versprechen. Demnach wolle Karl Nehammer jetzt, nach der geschlagenen Wahl und nach dem Regierungsauftrag, die „großen Zukunftsfragen“ des Landes angehen und dabei alle mitnehmen: die Österreicherinnen und Österreicher, aber auch jene, die ihm ihr Vertrauen nicht geschenkt haben. Also jene, die ihr Kreuz vor fünf Wochen vielleicht bei der FPÖ gemacht haben und sich in einer „Koalition der Verlierer“ – so das gängige Framing der FPÖ – nicht wiederfinden.

Jene rund 1,5 Millionen Menschen mit Wohnsitz in Österreich und im Wahlalter (Tendenz steigend übrigens), die aufgrund ihrer Herkunft nicht wahlberechtigt waren, spielen bei der rot-weiß-roten-Zukunftsgestaltung hingegen keine Rolle. Dabei ist das jede und jeder Fünfte über 16 Jahre. 1,5 Millionen Menschen also, die auch etwas von diesem Land wollen. Ein gutes Leben zum Beispiel. 1,5 Millionen Menschen, die dem Land etwas zurück-geben, die Allermeisten davon etwa in Form von Steuern. Kurzum: 1,5 Millionen Menschen, die nicht nur da, sondern ein Teil dieser Gesellschaft sind. 

Bedauerliche Ignoranz

Diese Ignoranz oder Nichtansprache, die während der Amtszeit des ehemaligen Integrationsministers Sebastian Kurz Einzug in die politische Kommunikation hielt, kann man freilich schulterzuckend zur Kenntnis nehmen. Bedauerlich oder nicht der Rede wert finden. Man kann sagen, das lässt sich nicht ändern, weil man es nicht ändern will oder weil es immer so war. Man könnte sich ausreden, dass das einfach so passiert ist. Zumindest nicht mit Absicht. Gewissermaßen im Eifer der Diskussion um die Zukunft unbemerkt untergegangen. Oder man könnte aber betonen, dass es jemanden gibt, der in seinen Reden nie jene vergisst, die keine Wählerinnen und Wähler oder Staatsbürgerinnen und Staatsbürger dieses Landes sind – nämlich den Bundespräsidenten.

Man könnte aber auch darauf bestehen, dass es gerade jetzt, wo es (mal wieder) um etwas geht, wichtig ist, alle Menschen in diesem Land mitzunehmen, anstatt sie halbherzig, unüberlegt oder aus bloßer Nachlässigkeit auszuschließen. Schließlich sind 1,5 Millionen Menschen nicht nichts. Sie waren nie „nichts“ in guten Zeiten (von denen dieses Land viele erlebt hat), und sie sind erst recht kein „Nichts“ in schwierigen Zeiten wie diesen – und besonders nicht, wenn es um die Gestaltung der Zukunft geht.

Das Land braucht weder eine Zuckerlkoalition noch eine „Zuckerlpolitik“ oder irgendwelche süßen Versprechen.

Zuckerlpolitik

Eine Zukunft, die die Politik zumindest in ihren Worten ernsthaft angehen will, jedoch dabei auf unernste Medien trifft. Denn in der Politik wird nicht gerade an einer Reform- oder Dreierkoalition gefeilt, sondern an einer sogenannten „Zuckerlkoalition“. Dieser Begriff, der vom Boulevard im Land mit der Vorliebe für Verniedlichung und Infantilität geprägt und in den politischen Diskurs eingeführt wurde, hat sich schnell in der Berichterstattung etabliert. Ja, ein informeller Begriff, möglicherweise leicht spöttisch gemeint oder einfach nur als Hinweis auf die Partei-, Pardon, die Bonbonfarben der möglichen Partner ÖVP (Türkis), SPÖ (Rot) und Neos (Pink). Doch das Land braucht weder eine Zuckerlkoalition noch eine „Zuckerlpolitik“ oder irgendwelche süßen Versprechen.

Kompromiss-Lethargie

Vor allem ist jetzt Tempo gefragt. Rund zwei Monate nach der Bundestagswahl im Herbst 2021 hieß es seinerzeit in Deutschland: „Die Ampel steht“ – die damals als „Fortschrittskoalition“ bezeichnete Zusammenarbeit von SPD, Grünen und FDP war besiegelt. Noch während der programmatischen Beschnupperungsphase entstand ein Selfie der Hauptak-teure mit der Bildunterschrift: „Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten.“ Suggeriert wurden damit Leichtigkeit und Nähe. Arbeitseifer und Zuversicht. Damals, als noch der Spruch galt: Allem Anfang wohnt ein Zauber inne.

Hierzulande ist von einem Dreiertreffen von Nehammer, Babler und Meinl-Reisinger nichts bekannt. Hier erwartet auch kaum jemand eine rasche Einigung. Zunächst stehen Herbstferien an. In sieben Wochen -folgen die Weihnachtsferien und vier Wochen später schon wieder die Semesterferien. Willkommen im Alltag berufstätiger Eltern mit schulpflichtigen Kindern, die oft viel Programm in wenig Zeit packen müssen. Aber das ist bereits eine andere Geschichte.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin@news.at

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