Leere Floskeln, fehlender Mut zu unbequemen Wahrheiten, Inszenierung statt Problemlösung: Deutschland zahlt für diese Art von Politik gerade den Preis. Die Folge: Neuwahlen statt Fortschrittserzählung. Und Österreich? Ein Ländervergleich in Wahlkampfzeiten
Ehrlichkeit. Ein seltenes Gut in der Politik. Umso überraschender, wenn sie doch einmal aufblitzt. Nüchtern, ungeschönt, beinahe unbequem. Aber auch erfrischend. Zwei Ex-Politiker in Deutschland haben genau das getan. Ricarda Lang, bis vor Kurzem Vorsitzende der Grünen, legte in einer Talkshow beeindruckende Offenheit und Ehrlichkeit an den Tag – und räumte Fehler ein. „Man fängt an, Mist für Gold zu verkaufen und Unsinn zu reden“, gestand sie, als sie über ihre frühere Kommunikationsstrategie sprach.
Pressekonferenzen mit den Koalitionspartnern SPD und FDP seien oft zu einem Wettbewerb verkommen, bei dem es nur noch darum ging, wer am Ende „das Meiste rausgetragen hat“. Um in diesem Wettbewerb innerhalb einer Koalition zu bestehen, fange man eben an „Mist für Gold zu verkaufen“. Quasi ein Wettkampf um das glänzendste Nichts, bei dem weder Wahrheit noch Fakten zählen, sondern vor allem, was in der eigenen Bubble vermeintlich gut ankommt. In den Medien, in der Parteibasis. Auch würden Politik und Medien viel zu stark zwischen Gewinnern und Verlierern unterscheiden. Und: „Niemand überlegt, ob die Leute da draußen überhaupt verstehen, was wir sagen.“
Peer Steinbrück, ehemaliger Finanzminister und Kanzlerkandidat der SPD, bestätigte das Bild. „Diese ganzen Sprechblasen“, sagte er, „kommen zustande, um uns gegen den medialen Shitstorm zu immunisieren.“ Auch Aussagen, die bei manchen Teilen der Bevölkerung als provokant ankommen könnten, verkneift man sich lieber. Das Ergebnis? Formulierungen so weich, dass sie jede Kante verlieren – und damit jede Substanz.
Fortschrittsillusion
Politiker, die getrieben sind von Angst vor Shitstorms, Wählerverlusten oder dem Risiko, anzuecken, sind keine deutsche Eigenheit. Auch in Österreich gibt es sie. Sie reden Schönes schön, schweigen, wenn es unangenehm wird, und packen heiße Luft in noch heißere Worte. Und sie tun das nicht selten. Politikverdrossenheit wächst, Vertrauen schwindet. Die immergleiche Frage bleibt: Kann man denen überhaupt trauen?
Deutschland hat das Experiment einer Dreierkoalition hinter sich – gestartet als Fortschrittskoalition, geendet im politischen Trümmerfeld. Vorzeitige Neuwahlen stehen an, weil Erwartungen geschürt und am Ende enttäuscht wurden. Weil internes politisches Hickhack den Blick auf das Große und Ganze verstellt hat. Hierzulande schaut es nicht viel besser aus: ÖVP, SPÖ und NEOS ringen um einen gemeinsamen Kurs. Ob daraus ein Fortschritt wird oder nur ein Fortschrittchen – wer weiß das schon? Zum Redaktionsschluss war das Bündnis noch intakt. Das blumige Versprechen: „Kein Weiter-so-wie-bisher“.
Große Probleme, kleine Antworten
Eben diese Versprechen sind schnell gemacht, noch schneller vergessen. In Deutschland wurde eine Zeitenwende ausgerufen, doch vielfach blieb der Kurs altbekannt. Ricarda Lang gesteht in der Rückschau ein: „Je größer die Problembeschreibungen, desto kleiner die Antworten der Politik.“ Parallel dazu findet eine „Hyperpolitisierung des Nebensächlichen“ statt. Deutschland fragt ernsthaft: Wer ist cooler? Merz oder Scholz?
In Österreich dreht sich derweil medial alles um die Frage, wie man das Vehikel nennt, das uns aus der Wirtschaftskrise manövrieren soll: „Ömpel“? „Zuckerlkoalition“? Oder kommt gar eine andere Koalition? Eben diese Medien werfen sich auch in Prozent-Schlachten über die Wahrscheinlichkeit des Zustandekommens einer Dreierkoalitionen, schieben Wetten hinterher und werfen prophylaktisch alle ministrablen Namen in die Runde – nur um am Ende salbungsvoll raunen zu können: „Das habe ich schon immer gewusst.“
Natürlich, die Sache mit den Erwartungen – sei es an die Politik, den Chef oder die eigenen Kinder – ist eine heikle Angelegenheit. Wer in diesem Land lebt, tut gut daran, seine Hoffnungen in die Politik wohldosiert zu halten. Schließlich ist niemand auf dieser Welt, um uns in allem recht zu geben. Aber eines dürfen wir sehr wohl einfordern: Politiker, die mit Vernunft miteinander umgehen und arbeiten – in jeder Konstellation, in jeder Koalition.
Dazu gehört, Probleme zu benennen und daraus unbequeme, aber notwendige Zumutungen abzuleiten: etwa bei Pensionen, Verteidigung, Bildung, Zuwanderung. Die deutsche Dreierkoalition hat gezeigt, wie es nicht geht. Sie schaffte es nicht, über ideologische Schatten zu springen, unangenehme Wahrheiten offen auszusprechen oder Reformbedarf sichtbar zu machen und zu adressieren. „Beschreibungsangst“ nennt das die Politikwissenschaft. Oder, wie Ricarda Lang es in ihrem ehrlichen Moment auf den Punkt brachte: „Punkte, die schwierig waren, wo wir uns nicht einigen konnten, haben wir liegengelassen. Auch, weil wir es uns damals noch leisten konnten. Und dann kam die Realität, und hat das Stück für Stück infrage gestellt.“
Das Ergebnis dieser Politik? Deutschland geht am 23. Februar 2025 in vorgezogene Neuwahlen. Es ist ein teuer erkauftes Lehrstück über die Konsequenzen, die folgen, wenn mutloses Abwarten zur Maxime wird.
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