Wunschdenken und Machtspiele dominieren die Verhandlungen. Versprochene Verantwortung weicht Taktieren und Drohgebärden. Ein Land ohne wirtschaftlichen Zukunftsplan verharrt weiter im Stillstand. Die Demokratie kann viel ertragen – aber nicht endlos
Wetten ist eine Unsitte. Immer schon. In diesen Tagen aber besonders. Man wettet auf die Zukunft des Landes. Auf politische Weichenstellungen. Auf die Wahrscheinlichkeit von Bündnissen. Die Medien sind voll davon. Kommt die Koalition aus Blau und Schwarz mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 zu 20 oder nur mit 50 zu 50? War es gestern wahrscheinlicher als heute? Wetten sind keine Analyse. Es ist ein Gefühl. Ein Bauchgefühl, das zur besten Sendezeit und in den besten Sendungen, die das Land zu bieten hat, in die Wohnzimmer transportiert wird.
Gewettet wird aus Lust und Laune. Aus Kalkül und Naheverhältnis. Aus Wunschdenken. Weil man sich wichtig machen will – und kann. Weil man eine bestimmte Weltanschauung vertritt. Die größten Wettkandidaten? Innenpolitikjournalisten. Sie ändern ihre Einsätze beinahe täglich. Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern? Es sind halt turbulente innenpolitische Zeiten. Der Erkenntnisgewinn: null. Der Einsatz: bescheiden. Eine Flasche Wein, ein Heurigenbesuch, zehn Cent. Sinnlose Fernsehminuten. Nicht nur in diesen Tagen.
Genauso sinnlos wie das politische Schauspiel, das uns seit nunmehr fünf Wochen, seit FPÖ-Chef Kickl von Bundespräsident Alexander Van der Bellen mit der Regierungsbildung betraut worden ist, geboten wird. Ausgang zum Redaktionsschluss dieses Leitartikels ungewiss. Mal wieder. Aber wieso eigentlich? Und wieso eigentlich immer noch? Und mit welchem Ziel? Lange fünf Jahre konstruktiv dieses Land zu regieren? Wohl eher nicht. Bleibt die Frage: Wollen sie nicht oder können sie nicht? Wartet der eine auf den anderen, dass dieser zuerst den Verhandlungstisch verlässt? Für die bessere Erzählung nach dem Scheitern auch dieser Koalitionsverhandlungen?
Schlusslicht beim Wachstum
Zuletzt sorgte die Liste mit den Wunschministerien der FPÖ für eine Unterbrechung der Verhandlungen. Es folgte ein Facebook-Posting, in dem Kickl seinen Anspruch auf das Innenministerium bekräftigte. Schließlich landete ein Verhandlungspapier in den Medien, das strittige Punkte zwischen FPÖ und ÖVP offenlegte. Zur Erinnerung: Versprochen war Kommunikation auf Augenhöhe (und nicht über Facebook). Die Rede war von staatspolitischer Verantwortung. Von Hausverstand, Vertrauen, Ehrlichkeit. Von Kompromissbereitschaft statt taktischer Spielchen. Keine Tricks, keine Machtspiele. Keine „Politik um des Machterhalts willens“. Und ja, sogar von Zukunft. Denn allein darum geht es am Ende. Schließlich gehört Österreich laut einer aktuellen Umfrage unter internationalen Wirtschaftsexperten auch heuer zu den Schlusslichtern des globalen Wirtschaftswachstums in Europa.
Bitten, Betteln, Fordern
Doch was bleibt in diesen Februartagen? Taktieren, Machtrausch und Machtpoker. Bitten, Betteln, Fordern. Viele Schlagwörter und noch viel mehr schwachsinnige Forderungen. Dazu Drohgebärden, das hilflose Ziehen roter Linien und die beunruhigende Erkenntnis, dass Selbstverständlichkeiten plötzlich infrage gestellt werden. So fordert die ÖVP beispielsweise, dass „extremistische Organisationen und Medien“ keine öffentlichen Gelder erhalten dürfen.
Die FPÖ soll sich zur EU bekennen? Sie tut es nicht. Sie soll sich vom rechten Rand in die Mitte bewegen? Sie bleibt, wo sie ist. Stattdessen erleben wir, wie eine Politik der Abschottung gezimmert werden soll. Keine Gendersymbole, aber eine Herdprämie für Mütter. Pushbacks an der Grenze, aber kein wirtschaftlicher Zukunftsplan. Eine Politik, die vorgibt, für das Volk zu handeln, aber vor allem mit Ängsten spielt. Das Land soll mit Rückwärtsgewandtheit und kleingeistigen Ideen vorankommen? Es wird frontal gegen die Wand fahren.
Es ist ein unwürdiges Schauspiel, das eine Demokratie am Ende nicht akzeptieren darf
Der deutsche Ökonom Moritz Schularick untersuchte 2023 die wirtschaftlichen Folgen rechts- und linkspopulistischer Politik. Das Ergebnis: Weniger Wachstum, mehr Verschuldung, Abgrenzung vom Ausland. Auch geht die Schere zwischen Arm und Reich auseinander. Italien leidet noch immer unter den Nachwirkungen der Berlusconi-Ära in den Neunzigerjahren. Großbritannien bereut längst den von Boris Johnson maßgeblich vorangetriebenen Brexit. 60 Prozent der Briten sehen ihn heute als Fehler. Populismus mag kurzfristig Stimmen bringen, langfristig kostet er Wohlstand und Stabilität.
Und in Österreich? Politiker, die bis zum Wahltag mit fliegenden rot-weiß-roten Fahnen jedes Bierzelt stürmten, schleichen jetzt von Misstrauen zerfressen durch die Hintertür auf die Verhandlungsbühne. Fragen? Unerwünscht. Es ist ein unwürdiges Schauspiel, das eine Demokratie bis zu einem gewissen Punkt aushalten muss – aber am Ende eben nicht akzeptieren darf. Dieser Punkt ist längst erreicht. Und auch dem Bundespräsidenten muss in dieser Situation und in diesen Tagen mehr als nur ein „Mmhh …“ auf die Frage, ob er hinsichtlich eines Zustandekommens der blau-schwarzen Koalition zuversichtlich ist, einfallen.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.07/2025 erschienen.