Österreich im Stillstand: Ob im Fußball, in der Politik oder in der Wirtschaft – das „Weiter wie bisher“-Prinzip triumphiert bislang noch immer über jede Reformrhetorik. Doch wie lange noch?
Ralf Rangnick, der deutsche Trainer der österreichischen Fußball-Nationalmannschaft, ist zwar schon eine Weile im Amt, doch wirklich angekommen scheint er erst jetzt – im realen Leben, in Österreich. In einem Land, das gerne sein Mittelmaß zelebriert und in dem Mauschelei fast als kulturelles Gut betrachtet wird. Wo „eine Hand die andere wäscht“ und sich vieles „irgendwie ausgeht“.
Zwar spielt die Nationalmannschaft so erfolgreich Fußball wie seit Jahrzehnten nicht, doch sportliche Erfolge allein scheinen nicht genug zu sein. Eben weil man auf all das andere, das schon immer genauso Praktizierte, nicht verzichten will: Machtkämpfe zum Beispiel. Oder Freunderlwirtschaft. (Präsidiale) Befindlichkeiten hier und neun mächtige Landesverbandspräsidenten, die es sich in verstaubten Verbandsstrukturen bequem gemacht haben, dort. Das von Rangnick hoch gehaltene Leistungsprinzip bleibt dabei auf der Strecke. Und nicht nur das. Und nicht nur im Österreichischen Fußball-Bund, wo man „weiter wie bisher“ die Zukunft meistern will.
Neustart-Rhetorik
„Kein ‚weiter wie bisher‘“ trommelt hingegen derzeit der Kanzler und oberste Koalitionsverhandler Karl Nehammer mit Blick auf die angelaufenen Koalitionsverhandlungen. Um am Ende – jetzt aber wirklich – Reformeifer an den Tag zu legen? Dem Land zu wünschen wäre es. Der Erfolgsdruck ist da. Baustellen gibt es genug. Etwa einen berechneten Konsolidierungsbedarf im Budget von mindestens 4,4 Milliarden Euro ab 2025. Dieses „Kein ‚weiter wie bisher‘“ soll auch mit einer liebgewonnenen Tradition brechen. Schließlich will man künftig auf „Sideletters“ bei Postenbesetzungen verzichten. „Es braucht Transparenz“, heißt es plötzlich. Neben- oder gar Geheimabsprachen? Schnee von gestern.
Dieses „Kein ‚weiter wie bisher‘“ könnte freilich auch das Motto für die künftige Rücktrittskultur im Land sein. Statt also gar nicht abzutreten oder nur „zur Seite zu treten“, wie es zuletzt SPÖ-Politiker Georg Dornauer getan hat, könnten Politiker künftig zu ihren Fehlern stehen und entsprechende Konsequenzen ziehen. Und damit ganz nebenbei signalisieren, dass die Werte der Demokratie – Transparenz, Verantwortlichkeit, Respekt vor dem Gemeinwohl – am Ende doch über persönlicher Machtsicherung stehen.
„Kein ‚weiter wie bisher‘“ braucht es auch angesichts des erschreckenden Mangels an Problembewusstsein und der bequemen und weit verbreiteten Sorglosigkeit im Land. Am Wochenende mussten die Eurofighter des Bundesheers am Boden bleiben, weil die aufgrund von Personalmangel ohnehin schon chronisch unterbesetzten Fluglotsinnen und -lotsen ihre Überstunden abbauen mussten. Ein ungeschützter Luftraum über Österreich? Offensichtlich egal. Und möglicherweise kein Einzelfall. Die Situation bleibt weiterhin prekär, lautet nämlich die Einschätzung seitens Ministerium und Bundesheer.
Missbrauch und Mehrheiten
„Kein ‚weiter wie bisher‘“ wäre natürlich auch ein (naiver) Wunsch mit Blick auf künftige Wahlkämpfe und die dabei gern verteilten Wahlzuckerln. Auch wenn Letztere funktionieren. Immer wieder. Immer noch. Sehr gut sogar, wie die anstehende Landtagswahl in der Steiermark einmal mehr zeigen wird. Stand heute, fünf Tage vor der Wahl, wird demnach FPÖ-Mann Mario Kunasek als Erster durchs Ziel marschieren. Geebnet haben diesen Weg für die Partei mit dem Blick auf die großen Probleme und den am Ende eher kleinen Lösungen die Schwäche des amtierenden ÖVP-Landeshauptmanns – und jede Menge Gratisgeschenke im großen Stil. Planschbecken und Schultaschen für die Kleinen, Würstel und Bier für die Großen. Die Tatsache, dass gegen die FPÖ Steiermark wegen mutmaßlicher Veruntreuung von mindestens 1,8 Millionen Euro – es geht um Missbrauch von Steuergeldern – auch die Staatsanwaltschaft ermittelt? Nebensächlich. Die FPÖ liegt in den Umfragen derzeit mit 32 Prozent schier uneinholbar vorn.
Systemversagen
Genug geträumt! Denn am Ende bleibt doch alles beim Alten. Bestes Beispiel: René Benko, der gefallene Immobilienjongleur, dem halb Österreich auf den Leim gegangen ist. „Weiter so wie bisher“ heißt es für jenen Mann, der für die größte Wirtschaftspleite des Landes verantwortlich ist. Trotz Privatinsolvenz und gepfändet auf das Existenzminimum kann er „weiter so wie bisher“ in seiner noblen Villa in Igls leben. Die Miete zahlt jetzt seine Mutter. Immerhin mehr als 235.000 Euro – im Monat. Das Geld stammt aus den Ausschüttungen diverser Benko-Stiftungen, in denen sie als Begünstigte geführt wird.
Benko ist kein Einzelfall und schon gar nicht der erste und einzige Sprössling, der es sich im Hotel Mama gut-gehen lässt. Aber gerade sein Fall zeigt exemplarisch, wie sehr das „Weiter so wie bisher“-Prinzip das gesamte Land in eine Schieflage gebracht hat.
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