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Leitartikel: Kein Grund zur Aufregung

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Kathrin Gulnerits

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Was hierzulande als unmöglich und undenkbar gilt, ist anderswo längst Alltag. Wer reist, kann das selbst erleben. Die anderen neigen dazu, die Realität zu verdrängen. In Österreich, dem Land des "Ja, aber", ist diese Tendenz besonders stark ausgeprägt.

"Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen …", fabulierte einst der Dichter Matthias Claudius. Wer eine Reise tut, kann aber auch vergleichen. Abwägen. Sich anschauen, wie es anderswo läuft und am Ende ein Gespür dafür bekommen, wie es auch gehen kann. Oder gehen könnte. Erst recht, wenn man aus einem "Ja, aber"-Land, einem „Das haben wir schon immer so gemacht“-Land oder einem "Das brauchen wir nicht"-Land kommt. Österreich zum Beispiel.

Hier sorgt gerade eine Extragebühr von acht Euro für die Benutzung eines zweiten, leeren Tellers (weil man sich ein Gericht teilen möchte) in einem Restaurant am Wörthersee für Aufregung. Begründung: Maßnahme zur Kostendeckung. Teil der Geschäftsstrategie, um zu verhindern, dass Gäste sich regelmäßig ein Gericht teilen. Und überhaupt seien die Extrakosten als Einforderung von Wertschätzung zu interpretieren, so die Betreiber in einer Stellungnahme gegenüber der "Kleinen Zeitung".

Kein Grund zur Aufregung

"Nicht geschickt" findet diese Preisgestaltung der zugehörige Tourismuslandesrat. Dennoch: Das Tourismus-Bashing müsse ein Ende haben. Der Gastwirte-Sprecher in der Wirtschaftskammer meint: "Falsche Diskussion" und "kein Grund zur Aufregung". Das Geschirr müsse ja zum Tisch getragen und später wieder abgeräumt werden. Da sei "doppelte Mitarbeiter-Power" gefragt. Und überhaupt, der Gast, der vom zweiten Teller isst, benutzt einen Sitzplatz mehr. Es gehe nicht darum, ob der Preis angemessen, sondern ob er ordentlich gekennzeichnet sei. Andere Gastronomen wiederum meinen, dass diese "Sommerloch-Story" ein Ergebnis "viel zu günstiger" Preisen in der Vergangenheit (und Gegenwart) in der Gastronomie sei.

Also bitte weitergehen. Im Tourismusland Österreich gibt es diesbezüglich nichts zu sehen. Die Extrakosten für eine halbe Zitronenscheibe, ein Schlückchen Milch von 90 Cent? Die Karaffe Leitungswasser für acht Euro oder das Achterl Wein lieblos im Plastik-Bierbecher serviert, aber teuer verkauft? Die weit verbreitete Cash-only-Kultur? Alles normal. Alles total üblich. Die falsche Diskussion eben. Aber macht das die Sache besser? Die Kritiker werden an den Pranger gestellt, damit andere nicht umdenken müssen? Und was sagt das über ein

Die Gratwanderung zwischen fairer Preisgestaltung und Abzocke ist heikel

Land aus, in dem der Kunde vielerorts (aber natürlich nicht überall) nicht nur längst nicht mehr König ist, sondern anscheinend auch als ein schnorriger Trottel gesehen wird, der eins plus eins (Lohnnebenkosten! Bürokratie! Auflagen!) nicht zusammenzählen kann und sich stundenlang an einem Glas Leitungswasser in einem Lokal aufhält?

Heikle Gratwanderung

Ja, die Gratwanderung zwischen fairer Preisgestaltung und Abzocke ist heikel. Absturzgefahr jederzeit gegeben. Aber wer so argumentiert, wie in den vergangenen Tagen argumentiert wurde – Schönfärberei inklusive –, der hat jedenfalls schon lange keine Reise mehr getan. Weil ein Reisender könnte erzählen, dass das anderswo sehr wohl anders geht. Dass Baguette und Opferkerze in der Kirche gleichermaßen und selbstverständlich mit Karte gezahlt werden können. Oder dass statt dem Glas eine Karaffe Leitungswasser ungefragt auf den Tisch gestellt wird. Kostenfrei und eisgekühlt.

Reisende können erzählen, dass jenseits der Gastro vielerorts überhaupt Dinge anders gehandhabt werden. Etwa, dass Apotheken auch am Sonntag und bis in die Abendstunden offen haben – und für diese Dienstleistung kein Aufschlag verrechnet wird. Reisende können feststellen, dass Tempo 30 Schnee von gestern ist, weil Tempo 20 vorgeschrieben ist und autofreie Innenstädte keine Ausnahme, sondern überraschend oft die Regel sind. Reisende können beobachten, dass ein Rauchverbot im Freien auf den Terrassen der Restaurants und Kaffeehäuser keine Ungeheuerlichkeit, sondern eine Selbstverständlichkeit ist. Eine Vorstellung, die im Raucherland Österreich wohl schon in der Theorie Schnappatmung auslöst.

Während bei uns beispielsweise am Sonntag zwar Zigaretten, aber keine Schmerzmittel gekauft werden können, dürfen in den Niederlanden seit Juli Tabakwaren gar nicht mehr sichtbar angeboten werden. Jegliche Werbung ist untersagt. Nichts darf Interesse wecken, schließlich will die Regierung bis 2040 den Anteil der Raucher auf weniger als fünf Prozent der Bevölkerung drücken. Politik mit Hausverstand, sagen die einen. Bevormundung schreien die anderen – vor allem in Ländern, wo die Angst und die Sorge vor Veränderung in vielerlei Hinsicht besonders stark ausgeprägt sind. Österreich zum Beispiel.

Das nächste Aufregerthema naht. Der Pfand auf Einweg-Plastikflaschen und Dosen, der ab 2025 (mit einer einjährigen Übergangsfrist) jetzt auch hierzulande Einzug hält. Zweifelsohne eine weitere schwere Prüfung im "Das brauchen wir nicht"-Land Österreich. Würstelstandbetreiber sorgen sich schon mal präventiv um ihre Existenz – 21 Jahre nach Einführung eben dieses Dosenpfands in Deutschland. Ein großes Imbissstandsterben hat dem Vernehmen nach im Nachbarland übrigens nicht eingesetzt.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin@news.at

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