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Leitartikel: Der Merz-Plan – Bestseller oder Beipackzettel?

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Der deutsche Koalitionsvertrag steht. 144 Seiten Zukunftsversuch, in nur 45 Tagen verhandelt. Kanzler in spe Friedrich Merz will modernisieren, ein wenig reformieren. Es ist ein Aufbruch mit Unsicherheiten – nicht nur für Deutschland.

Ist es gut? Gut genug? Wird es reichen? Oder heißt es am Ende wieder: viele markige Worte, große Vorhaben – wenig Umsetzung? Kaum war der in nur 45 Tagen nach der Bundestagswahl ausverhandelte Koalitionsvertrag der kleinsten großen Koalition von CDU/CSU und SPD in Deutschland unterzeichnet, folgten die ersten Urteile: Daumen rauf, Daumen runter, Hoffnung hier, Skepsis dort. Nichts ist fix. Vieles offen. Erst recht in Zeiten wie diesen, wo Zölle -kommen und gehen und die Finanzmärkte im Tagesrhythmus Achterbahn fahren. Das 144 Seiten starke Papier, das Deutschlands Kanzler in spe Friedrich Merz präsentiert hat, ist ein Fundament. Nicht mehr. Nicht weniger. Es ist eine Art Arbeitsgrundlage. Kein in Stein gemeißeltes Zukunftsversprechen.

Vieles steht unter Finanzierungsvorbehalt – Österreich lässt grüßen. Vieles von dem wird das politische und wirtschaftliche Tagesgeschehen in den Vordergrund oder wahlweise auf die lange Bank schieben. Aber dass jetzt Klarheit herrscht, wo Deutschland gedenkt hinzusteuern, ist wichtig. Für Europa. Für Österreich. Und dann – kaum war die Tinte unter dem Koalitionsvertrag trocken – korrigierten führende Wirtschaftsinstitute die Wachstumserwartungen für Deutschland einmal mehr nach unten. Trumps Zollpolitik, Chinas Schwäche, Deutschlands Abhängigkeit. Die Rezession ist gekommen, um zu bleiben.

Bestseller mit Sternchen?

Und trotzdem: Jetzt braucht es Aufbruch. Mut. Eine Richtung. Und das Versprechen eines Comebacks der Deutschland AG – irgendwann. „Ein starker Plan“, sagt Merz bei der Präsentation des -Koalitionsprogramms. „Ein kleiner Bestseller“, tönt CSU-Chef Markus Söder – und lässt offen, ob es ein Thriller oder ein Liebesroman wird. Große Worte. Die Realität wird die Antwort geben.

Jetzt also steuerliche Entlastungen, Bürokratieabbau, ein Industriestrompreis, dazu signifikante Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen. Rentner dürfen steuerfrei weiterarbeiten und bis zu 2.000 Euro monatlich dazuverdienen. Eine Erhöhung des Rentenalters, angepasst an die Lebenserwartung, kommt nicht – Österreich lässt ein zweites Mal grüßen. Körperschaftssteuer? Senkung erst ab 2028. Dafür Mütterrente. Agrardiesel. Die Gastro-Mehrwertsteuer wird dauerhaft auf sieben Prozent reduziert. Die Klimaziele bleiben ambitioniert. Das Bürgergeld, eine staatliche Sozialleistung, bleibt. Hier gilt künftig allerdings wieder: weniger fördern, mehr fordern. Sanktionsmöglichkeiten inklusive. Deutschland bekommt ein Bundesministerium für Digitales und Staats-modernisierung. Und: Das deutsche Lieferkettengesetz ist Geschichte. Eine Überraschung gab es auch: Deutschland plant eine Mondmission mit deutscher Beteiligung, Raumfahrt wird zur Schlüsseltechnologie der Zukunft.

Komplexe Fragen wie Pflege, Gesundheit, Demografie? Delegiert. An Kommissionen. Österreich lässt wieder grüßen. Dazu viel „wir wollen“. Wenig „wir werden“. Die groß angekündigte Wirtschaftswende der CDU? Vertagt. Oder verhindert – durch die Ressortverteilung. Enttäuschung, noch bevor die Posten tatsächlich vergeben sind. Das sorgt für Frust im Wirtschaftsflügel der Kanzlerpartei. Was jedenfalls fehlt? Zumutungen und klare Ansagen, ohne die es wohl nicht gehen wird.

Und in der Migrationspolitik? Was ist mit den Zurückweisungen ab Tag eins der Kanzlerschaft? Ja, illegale Migranten und Asylbewerber sollen in Abstimmung mit den europäischen Nachbarn zurückgewiesen werden. Klingt entschlossen. Bleibt vage. Ohne funktionierenden Außengrenzschutz? Ohne Drittstaatenregelung? Rückführungen wohin? Und wie viele? Unklar. Es kommt zu einer Verschärfung, einer kleinen Wende, aber es ist keine große Migrationswende, schon gar kein Richtungswechsel. Vorerst jedenfalls. Friedrich Merz wird voraussichtlich am 7. Mai zum Kanzler gewählt. In guten Händen fühlt sich Deutschland mit ihm nicht. Die Beliebtheitsskala führen andere an: der derzeitige Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD). Hendrik Wüst, der Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten Bundeslands. Nicht Merz.

CDU/CSU und AfD liegen in Umfragen mittlerweile fast gleichauf. Das ist mehr als ein Warnsignal

Investieren oder verlieren

Die Lage ist ernst. Die Erwartungen sind hoch. Vieles ist angekündigt. Weniges ist gesichert. Das deutsche Regierungsprogramm ist ein Rahmen. Kein Rettungsanker. Reicht all das? Für Zuversicht? Für Aufschwung? Für eine echte Wirtschaftswende? Für ein Deutschland, das auf die Weltbühne wieder mit Wumms oder gerne auch mit Doppel-Wumms zurückkehrt? Für eine Politik, die den Unterschied macht und ein „blaues Erwachen“ in Deutschland in vier Jahren ausschließt? CDU/CSU und AfD liegen in aktuellen Umfragen mittlerweile fast gleichauf. Das ist mehr als ein Warnsignal.

Und Österreich? Schaut genau hin. Hört genau zu. Und hofft – auf Aufträge, Beteiligung, Impulse. Auf ein Stück vom 500-Milliarden-Euro-Kuchen für die Infrastruktur, der sich „Sondervermögen“ nennt, aber Investitionshoffnung meint. Wenn Deutschland investiert, verdient Österreich mit. Wenn Deutschland -stagniert, zahlt Österreich mit.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: gulnerits.kathrin@news.at

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 16/2025 erschienen.

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