Wir Journalisten fordern von den früheren Großparteien gerne eine radikale Neuaufstellung. Aber vielleicht wäre es mit Kickl ante portas auch sinnvoll, über die Positionierung der Medien in Österreich nachzudenken. Haben sie das Zeug, ihm die Stirn zu bieten? Nicht sicher
Vor ein paar Monaten war Berichterstattung über den Klimawandel noch ein großes Thema. Das ist weniger geworden. Seit wann genau und warum genau? Keine Ahnung. Aber es zeigt, wie schnell es gehen kann. Ein Riesenthema verschwindet plötzlich weitgehend aus der Berichterstattung vieler Medien, praktischerweise kurz vor dem (wahrscheinlichen) Amtsantritt einer rechten Regierung, die bereits angekündigt hat, Klimaschutzmaßnahmen rückgängig machen zu wollen.
Vielleicht verließ auf einmal viele Journalisten die Lust, den zwölften Artikel über heimatlos gewordene Eisbären zu verfassen. So etwas kommt vor im Journalismus, man nennt das Hype und es kann plötzlich enden. Oder es machten sich allgemeine Zweifel am Sinn der publizistischen Weltuntergangsbeschwörung breit. Oder, reine Spekulation natürlich, man zeigte sich offen für wohlgemeinte Ratschläge, es jetzt mal wieder gut sein zu lassen mit der Angstmacherei und auf positivere Themen zu setzen …?
Was auch immer die Gründe waren, transparent kommuniziert wurden sie nicht. Von außen betrachtet muss der Eindruck stehen: Diese Medien sind Fahnen im Wind. Einmal geht die Welt fast unter, dann doch nicht. Es verschärft das Glaubwürdigkeitsproblem, unter dem die Branche nicht erst, aber vor allem seit der Coronapandemie leidet, und befeuert Verschwörungstheorien. Kritiker dürfen sich bestätigt fühlen: Die Medien in Österreich würden beliebtheitsmäßig irgendwo zwischen Schwarzkappler und Gerichtsvollzieher rangieren, pfiffen ökonomisch aus dem letzten Loch und seien so gut aufgestellt wie ein betrunken zusammengebauter Ikea-Schrank.
Gegengewicht
Dabei wäre es jetzt, zu Beginn einer womöglich längeren Kickl-Regierung, wichtig, ein starkes Gegengewicht zu bilden. Sind wir, sind Österreichs Medien dazu in der Lage? Nicht sicher. Aktuell ist viel sogenannter Pragmatismus zu beobachten. Man könne ja noch nicht wissen, was Kickl in der Regierung wirklich vorhabe, hört man (mal abgesehen vom Wahlprogramm und von den vielen Reden). Und vielleicht ist Trump doch kein ganz schlechter Mann. Eventuell wird man früher oder später auch meinen, differenziert über Putin und die EU reden zu müssen. Viele langtradierte Bewertungen lösen sich gerade auf. Das muss nicht schlecht sein, aber es erfordert intellektuelle Umsicht und Genauigkeit, wenn man den Demokratiefeinden und Populisten nicht auf den Leim gehen will. Können wir diese Genauigkeit noch garantieren, in Zeiten knapper Ressourcen und ökonomischen Drucks? Wenn nicht, wäre es vielleicht sicherer, Überzeugungen nicht zu schnell über Bord zu werfen.
Grundsatzfragen
Und das Zweite: Vielleicht ist herkömmlicher Journalismus überhaupt nicht mehr in der Lage, die Probleme der Gegenwart adäquat zu beschreiben. Die Sprache ist uns in den letzten Jahren abhanden gekommen. Spätestens seit dem Fall des Spiegel-Journalisten Claas Relotius, der wunderbare, preisgekrönte Auslandsreportagen schrieb, leider aber gefaked, ist das Literarische kein Kriterium mehr für journalistisches Schreiben. Damit ist auch viel Weltbeschreibungskraft verloren gegangen. Wir erzählen keine Geschichten mehr, wir reihen, unsicher geworden, Fakten aneinander, überzeugt davon, dass sie am besten geeignet sind, die Wirklichkeit journalistisch darzustellen. Aber ist das so? Der Erfolg gibt aktuell den Disruptoren recht, die aus ihren Fakten – oder „Fakten“ –, in schwindelerregender Höhe auf einem ideologischen Wertesystem aufgetürmt, aufrüttelnde Erzählungen formen. Was ist unsere Erzählung?
Es ist ein merkwürdiges Gefühl, einem Kultur- und Zeitenwandel zuzuschauen, wie wir ihn gerade erleben, und es fühlt sich nicht so gut an, wie man in ruhigen Zeiten glaubt. Es ist anstrengend, es ist unbequem und es erfordert, sich mit Grundsatzfragen auseinanderzusetzen. Wo stehe ich? Was will ich? Was ist mir wichtig und wofür bin ich bereit, mich einzusetzen? Das gilt auch für einen Journalismus, der sich nicht nur als Geschäftsmodell, sondern auch als demokratiepolitische Instanz begreift und daraus einen Anspruch auf öffentliche Gelder ableitet.
Neuaufstellung
Von den ehemaligen Großparteien, die gerade so grandios an der FPÖ scheitern, fordern wir Journalistinnen und Journalisten gerne eine radikale Neuaufstellung. Moderner werden, transparenter und flexibler! Privilegien aufgeben, das Wertesystem updaten und in der Gegenwart ankommen. Kann ja nicht so schwer sein. Das schreibt sich sehr einfach. Aber vielleicht wäre jetzt, mit Kanzler Kickl ante portas, eine wirkliche Zäsur in der Geschichte der Zweiten Republik auch für Medien und deren Mitarbeiter ein guter Zeitpunkt, in sich zu gehen. Und sei es nur, um Kickl und seinen Mannen nicht die Befriedigung zu geben, dass sie auch nur ansatzweise recht haben werden, wenn sie demnächst damit anfangen, die Medienförderungen zu streichen.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.03/2025 erschienen.