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Leitartikel: „Es ist Zeit, die erhöhten Erwartungen an den Staat radikal zu korrigieren“

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Kathrin Gulnerits

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Österreichs Wirtschaft taumelt – und die Politik liefert. Vor allem Ausreden und unhaltbare Lösungen. Dabei wurden vor der Wahl noch hehre Versprechen gemacht: Defizit unter Kontrolle, Wachstum in Sicht. Doch kaum sind die Stimmen ausgezählt, wird zurückgerudert. Und jetzt?

Wir haben kluge Köpfe im Land. Und wir haben Politiker. So nüchtern kann und muss man die Lage beur­teilen, jedenfalls wenn man auf die Wirtschaftslage blickt. Denn während Wirtschaftsforscher frühzeitig warnend durch die Lande gezogen sind – der ­Fiskalrat hatte bereits im Juli Alarm ­geschlagen –, beginnt die Kanzler- und Wirtschaftspartei ÖVP die Zeitrechnung nach der Wahl mit einem verschämt unverschämten „Sorry“. Sorry, wir müssen unsere ­Wirtschaftsprognose revidieren.

Dabei hatte der scheidende Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) noch bis vor Kurzem versichert, dass Österreich die Maastricht-Kriterien von unter drei Prozent Neuverschuldung heuer „jedenfalls“ erfüllen werde. Die Einsicht, dass sich das doch nicht ausgeht, folgte praktischerweise erst vier Tage nach der Wahl: Die Budgetprognose wurde auf minus 3,3 Prozent revidiert. Satte vier Prozent Neuverschuldung erwartet überhaupt das Wifo. Der Grund: nicht nur, aber vor allem eine gescheiterte Wirtschaftspolitik. Die Erkenntnis: Budgetpolitik – Krisen in Dauerschleife hin oder her – ist keine Kernpolitik
der ÖVP. Eine vorausschauende Wirtschaftspolitik auch nicht. 

Kranker Mann Europas

Wählerbetrug sagen jetzt die einen. Häme zeigen die anderen. „Bewusste Täuschung“ befindet Neos-Parteichefin Beate Meinl-Reisinger, die als Einzige schon vor der Wahl das Budgetdefizit kritisiert und davor gewarnt hatte, dass die Maastricht-Kriterien nicht erfüllt werden. Klare Worte gibt es auch: „Wenn man ganz genau hinschaut, sind wir der kranke Mann in Europa“, sagte dieser Tage der Chefanalyst der Raiffeisen Bank International.

Das dürfte, das sollte schrill in den Ohren des noch amtierenden Kanzlers klingen, der sich bis vor Kurzem mit Blick auf die in Schieflage geratene Wirtschaft im Land als Backkünstler versuchte und erklärte, dass es entscheidend sei, den Kuchen, den es zu verteilen gilt, einfach größer zu machen.  Wirtschaftswachstum wäre die logische Folge. Obendrein jonglierte Nehammer im Wahlkampf reichlich nebulös mit Backzutaten wie „Zero-based Budgeting“, „Einsparungseffekten“ und „Umstellung des Fördersystems“. Sein Ziel: zwei Prozent Wirtschaftswachstum pro Jahr. Denn schließlich „darf und soll sich die Politik nicht in Angstmache und Untergangsfantasien verlieren“.

Schlechter als Deutschland

Dabei ist genau das passiert. Sehend und wohl auch wissend. Das Land ist nicht dem Untergang geweiht, aber dem Abgrund nahe, sollte das Haushaltsruder beim strukturellen (und eben nicht konjunkturellen) Haushaltsdefizit nicht herumgerissen werden. Die Inflation war lange Zeit eine der höchsten in Europa, die Wirtschaftslage ist heute eine der schlechtesten in Europa. Fehlende Strukturreformen, hohe Energiepreise, fehlgeleitete Migration, mangelnde Wettbewerbsfähigkeit, der Abbau von Industriearbeitsplätzen und kein Wachstum – all das trifft Österreich jetzt mit voller Wucht. Besser als Deutschland? Eine Erzählung, die lange Zeit mit Stolz vor sich hergetragen wurde, ist längst eine Erzählung von gestern. Stattdessen steht man schlechter da als ein wirtschaftlich schlecht dastehendes Deutschland. Auch das muss man erst mal hinbekommen.

Auch die Aussichten sind trüb. Gerade erst wurde die Konjunkturprognose stark nach unten korrigiert. Statt wenigstens erhoffter Stagnation oder gar einem mageren Plus von 0,3 Prozent steht ein zweites Rezessionsjahr in Folge bevor. Die Arbeitslosigkeit soll 2025 auf 7,2 Prozent klettern. Dazu „Angstsparen“. Die Sparquote liegt derzeit bei 11,4 Prozent, 2019 waren es 7,2 Prozent. Aber wie geht es weiter? Jetzt, da nach der Wahl die ersten Gespräche in der Hofburg „super“ gelaufen sind, die SPÖ dem Vernehmen nach eine neue Personaldebatte eröffnet und die ÖVP wohl noch mal überlegen wird, wie sie es tatsächlich mit der FPÖ halten möchte? Wer hat den wirtschaftspolitischen Kompass? Wer eine Vision für die Zukunft des Landes? Wer löst die kühnen Wahlversprechen in der harten Realität ein? Die Antwort wird sich über Monate ziehen. Wer auch immer die Führung übernimmt, muss ein Sparpaket verhandeln und Wachstumsanreize setzen, wohl wissend, dass für große Konjunktur­programme kaum Spielraum bleibt.

Drängende Themen

Klartext reden – das wäre spätestens jetzt das Mindeste. Der Wahlkampf und der Prozess der Stimmenmaximierung sind vorbei, die Zeit der leeren Versprechen auch. Drängende Themen gibt es genug: Sie reichen von der ungelösten Pensionsfrage bis hin zu netten Extras wie Reparatur- oder Klimabonus. Vor allem aber braucht es eine neue Erzählung. Ja, Österreich ist ein großartiges Land. Damit das so bleibt, ist es auch an der Zeit, auf den verschiedensten Spielwiesen die überhöhten Erwartungen an den Staat radikal zu korrigieren. Weniger Staat, mehr Eigenverantwortung. Alles andere ist eine Illusion.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin@news.at

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