Sollten sich ÖVP und SPÖ mit einer dritten Partei auf eine Koalition einigen, geht es um viel. Um nicht wieder in Stillstand und gegenseitige Blockade zu verfallen, braucht es ein mutiges Regierungsprogramm. Andernfalls würde der nächste Wahlsieg der FPÖ noch viel höher ausfallen
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Bei der Nationalratswahl 2019 wurde bei der Wahlparty der ÖVP noch gejubelt. Fast ebenso groß wie die Begeisterung über die eigene Großartigkeit (verständlich bei einem Wahlsieg mit 37,5 Prozent) war die Freude der anwesenden schwarzen Funktionäre, als sich bei der ersten Hochrechnung der Balken beim SPÖ-Ergebnis bei mageren 21 Prozent einpendelte. Dass die „Sozen“ am Boden waren, ließ die Schwarzen noch erfolgsrauschiger durch die Wahlnacht tanzen.
Auch beim SPÖ-internen Wahlkampf um den Parteivorsitz wurde gejubelt. Nämlich dann, wenn einer der Kandidaten seinen Anhängern zurief, man werde nach der Nationalratswahl sicher nicht mit der ÖVP koalieren, die Schwarzen müssten raus aus der Regierung. Wenn sich die Anhänger der beiden Kontrahenten Hans Peter Doskozil und Andreas Babler auf etwas einigen konnten, dann zumindest auf dieses Ziel.
SPÖ und ÖVP – seit Gründung der Zweiten Republik haben diese beiden Parteien insgesamt knapp 50 Jahre lang gemeinsam das Land gestaltet. Immer mit einem roten Kanzler und einem schwarzen Vizekanzler. Auch in den Bundesländern regierte und regiert man miteinander – manchmal freiwillig, manchmal durch das Proporzsystem aneinander gefesselt. Auf der Ebene der Sozialpartner sitzen einander Vertreter der roten und der schwarzen „Reichshälfte“ – wie man es nannte, als beide Parteien noch relevante Größen waren – gegenüber. Man kennt einander in- und auswendig. Doch die Beziehung ist zerrüttet. Wenn Rote und Schwarze über gemeinsame Regierungsjahre erzählen, landen sie rasch bei Beispielen, wer den anderen wo ausgebremst, blockiert oder bei Verhandlungen abgeräumt hat.
Geht's noch einmal?
Doch jetzt könnte FPÖ-Chef Herbert Kickl Schwarz und Rot wieder zusammenbringen. „Mit Herbert Kickl ist kein Staat zu machen“, sagt ÖVP-Obmann Karl Nehammer oft und gerne, und SPÖ-Chef Andreas Babler hatte wortgewaltige Momente in TV-Konfrontationen, wenn er Kickl wissen ließ, warum er ihn für gefährlich hält. Kickl und die FPÖ lieferten die Argumente dafür oft selbst: das Liebäugeln mit Viktor Orbáns autoritärem Regierungsstil, die EU-Skepsis, die polarisierende Sprache, mangelhafte Kritik am Angriff Russlands auf die Ukraine, das Verhältnis zu den Identitären, die Teilnahme prominenter Parteimitglieder an einem Begräbnis, bei dem ein SS-Lied gesungen wurde ...
Aber es geht nicht nur darum, Herbert Kickl vom Kanzleramt fernzuhalten. Die ÖVP will in der Regierung bleiben – obwohl: das könnte sie auch mit der FPÖ –, und die SPÖ will wieder hinein. Hans Peter Doskozil sieht zwar das Wahlergebnis nicht als Regierungsauftrag, zu Recht, aber seine Partei hat in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie Opposition auch nicht kann. Dazu kommt: In beiden Parteien gibt es gewichtige Fürsprecher einer Neuauflage der früheren Großen Koalition.
Über den eigenen Schatten springen
Bloß: Groß ist da nichts mehr. Gemeinsam schaffen die beiden Parteien mit Ach und Krach eine hauchdünne Mehrheit im Nationalrat. Also muss wohl ein dritter Partner her – sind es die NEOS, wäre wenigstens eine der beiden Wahlgewinnerinnen an Bord.
Was hingegen groß ist, ist die Gefahr, dass eine solche Regierung an sich selbst scheitert. Sie startet mit dem Nimbus, dass sich zwei Wahlverlierer zusammentun, um die Wahlgewinnerin FPÖ zu verhindern. Also müsste sie ein Programm vorlegen, das solche Zweifel an ihren Motiven von vornherein ausräumt. ÖVP und SPÖ müssten dabei sehr energisch über ihre eigenen Schatten springen. Sie müssen in jenen Bereichen, in denen sie selbst seit Jahrzehnten Reformen blockiert haben, echte Zukunftsprojekte auf den Tisch legen und nicht nur die Interessen der eigenen Klientel verteidigen. Bessere Bildung, weniger Bürokratie, eine Staatsreform, die Sicherung des Pensionssystems, die großen Themen Pflege und Gesundheit – man kennt die Probleme, die seit Jahren auf Lösungen warten. NEOS wiederum müssten, wenn ihre Regierungsbeteiligung wirklich Sinn haben soll, der Reformmotor sein, als der sie sich im Wahlkampf vollmundig verkauft haben.
Selbst wenn die Regierungsverhandler das alles schaffen, sind sie noch lange nicht auf der sicheren Seite. Der Staatshaushalt kracht an allen Ecken und Enden. Die nächste Regierung wird sparen müssen, und das kann sich aufs Gemüt der Wählerinnen und Wähler schlagen. Das ist ohnhin schon arg strapaziert. Denn die Politik der letzten Jahre blieb die Antwort darauf schuldig, wie eine gute Zukunft aussehen kann, wenn sich die Welt um uns alle herum ändert, sondern klammerte sich an Rezepte der Vergangenheit.
Wenn Schwarz und Rot gemeinsam regieren wollen, müssen sie viel mehr liefern, als es ihre Vorgänger taten. Denn sonst zimmern sie nur eine gut gepolsterte Wartebank, auf der die FPÖ bis zur nächsten Nationalratswahl Platz nimmt. Die sie dann noch höher gewinnen könnte als dieses Mal.