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Leitartikel: Deutschland hat gewählt, Österreich diskutiert

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Über „österreichische Verhältnisse“, über Einmischung, über den richtigen Umgang mit dem Rechtsruck. Über Haltung und Rückgrat – oder deren Fehlen. Doch die eigentliche Frage lautet: Wer sollte sich von wem eine Scheibe abschneiden?

In Minute 36 riss dem ÖVP-nahen Berater und der Innenpolitikchefin einer großen Tageszeitung im Politik-Talk endgültig der Geduldsfaden: diese deutsche Präpotenz! Ungeheuerlich! Prinzipiell. Immer schon. Und jetzt ganz besonders. Der Auslöser? Deutsche Politiker warnten vor ihrer Wahl in Endlosschleife – und nicht ohne Grund – vor „österreichischen Verhältnissen“. Doch solche Einmischungen aus dem Nachbarland sind unerwünscht. Es sei denn, sie schmeicheln der rot-weiß-roten -Seele. Andernfalls gilt: Maulkorb oder Empörung: „Ich denke, die deutsche Präpotenz brauchen wir uns jetzt auch nicht mehr gefallen zu lassen“, wetterten beide unisono. „Die sollen jetzt einmal schauen, was sie am Sonntag für ein Wahlergebnis einfahren. Ich denke, die gehen geradewegs auf die gleichen Probleme zu, wie wir sie haben …“ 

Eben diese Wahl in Deutschland ist geschlagen – mit einer Rekordbeteiligung von 83 Prozent, der höchsten seit der Wiedervereinigung (zum Vergleich: Österreich 77,7 Prozent). Der Ausgang ist bekannt; Konsequenzen und Tragweite sind einstweilen noch ungewiss. CDU und CSU können sich mit Mühe in eine mögliche Koalition mit der SPD retten. Eine sichere Koalition mit der AfD ist für Wahlsieger Friedrich Merz keine Option. Die viel zu oft zitierte „Brandmauer“, die längst zum politischen Kampfbegriff geworden ist, hält. Auch wenn das viele Beobachter gerade aus Österreich noch immer nicht verstehen wollen.

Rechtsruck-Dilemma

Fakt ist freilich auch: Zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik wird eine Partei, die als Feind der Demokratie gilt, zweitstärkste Kraft. Von der CDU wandern eine Million Stimmen zur AfD ab; in Ostdeutschland hat die AfD inzwischen eine Vormachtstellung, die jener der CSU in Bayern ähnelt. Und dennoch: Auch 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler lehnen eine Koalition mit ebendieser Partei ab. So viel zu den „deutschen Verhältnissen“ – und eine Gegenfrage: Warum nicht deutsche Verhältnisse in Österreich? Zumindest in Teilen. Ohne reflexartige Ablehnung, nur weil das irgendwie so sein muss? Und was genau ist – aus deutscher Sicht – überhaupt mit „österreichischen Verhältnissen“ gemeint? Zum einen der scheinbar sorglose Umgang mit einem Rechtsruck. Zum anderen die endlose Regierungsbildung, die in Österreich jetzt schon seit Monaten eine Hängepartie bei der Suche nach einer handlungsfähigen Regierung ist. In Deutschland will Merz bis Ostern liefern. Ob es gelingt, hängt von der SPD ab.

Was genau empört daran, dass eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen wird? Das Rückgrat? Die Haltung?

Und dann ist da noch ein kleiner, feiner und wesentlicher Unterschied: Die FPÖ hat die Wahl mit 28,85 Prozent gewonnen. In Deutschland sind CDU/CSU mit einem fast identen Wahlergebnis als Erste durchs Ziel gegangen – und haben eine (sich verdoppelnde) AfD auf den zweiten Platz verwiesen. Was genau empört daran in einem Land, in dem ein rechter Kanzler Kickl bis gerade eben – mit freundlicher Unterstützung der ÖVP, die sich den Markenkern „ohne Rückgrat“ mittlerweile hart erarbeitet hat – noch als ausgemacht galt? Eben dieses Rückgrat? Die Haltung? Oder die Tat-sache, dass eine Koalition mit der AfD noch immer – und auch aus einem historischen Bewusstsein heraus – als „völlig undenkbar“ gilt?

Posten-Poker

Der Aufzählung über „deutsche Verhältnisse“ lassen sich noch einige Punkte hinzufügen. Beispiel Rücktrittskultur: Nur einen Tag nach der Wahl lichtet sich das Feld der Wahlverlierer. In Deutschland ein klarer Schnitt. In Österreich? Hier folgt nach dem Rücktritt von der Verantwortung im Zuge des ersten Versuchs einer Ampelkoalition im zweiten Anlauf ein bemerkenswertes Sesselrücken mit Blick auf Ministerposten. Jetzt, wo es um Machtverteilung geht, treten plötzlich jene aus der Deckung, die bis vor Kurzem noch glücklich im Austausch mit Bäumen standen. Benannt wird das Liebäugeln mit der Macht freilich nicht. Stattdessen heißt es: „Verantwortung für Österreich übernehmen.“

Österreich-Logik

Beispiel Postenbesetzung: In Deutschland wird künftig und bestenfalls der einstige BlackRock-Manager Friedrich Merz seine Stärken als Wirtschaftsexperte ausspielen. Davon könnte auch Österreich profitieren. Hierzulande könnten schon nächste Woche ein Vizebürgermeister aus Wiener Neustadt und ein Ex-Bürgermeister aus Traiskirchen die Geschicke des Landes lenken. Ob das reicht, um ein Land aus der Krise zu führen? Zweifel sind angebracht. Auch weil man zwar tapfer ein „kein weiter so wie bisher“ verspricht, aber genauso weitermachen will. Anders lässt sich kaum erklären, warum ein pinker Staatssekretär für Bürokratieabbau nicht ins schwarze Wirtschaftsministerium, sondern ins Außenministerium versetzt wird. Bürokratieabbau als Außenpolitik? Oder eher ein taktischer Schachzug, um zu verhindern, dass ausgerechnet Sepp Schellhorn, der sich in der Vergangenheit regelmäßig Kammern und Landespolitiker zur Brust genommen hat, hier die Richtung vorgibt? Österreichische Verhältnisse eben. Genau diese könnten das größere Problem sein.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir: gulnerits.kathrin@news.at

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.9/2025 erschienen.

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