Der sicherheitspolitische Diskurs wenige Tage nach dem vereitelten Terroranschlag in Wien gestaltet sich erwartbar: viel Erleichterung, viel Eigenlob, viele Verbalgrätschen. Keine Antworten. Die Bedrohungslage? Weiter unklar
Es ist nichts passiert, dabei sollte etwas passieren. In der Sache. Im Umgang mit der Sache. Nämlich mit dem in der Vorwoche erfolgreich vereitelten Anschlag auf eines aller drei am Ende abgesagten Taylor-Swift-Konzerte in Wien. Die Lage war ernst, die Anschlagspläne konkret. Zwei 17- und 19-jährige Tatverdächtige wurden festgenommen. Der eine österreichischer Staatsbürger mit türkisch-kroatischen Wurzeln, der andere österreichischer Staatsbürger mit nordmazedonischen Wurzeln. Beide sitzen wegen Tatbegehungsgefahr in U-Haft. Der Zugriff erfolgte hastig aufgrund von Hinweisen ausländischer Geheimdienste und kurz vor dem ersten geplanten Auftritt der US-Sängerin.
Auf Trauer und Wut angesichts der Konzertabsage folgte viel Erleichterung, kollektives Singen in beeindruckender Kulisse in der Wiener Innenstadt und noch mehr Geschäftssinn. Gratisburger hier, Gratiskaffee dort. Kostenloser Museumseintritt für Swifties hier, ermäßigter Badeeintritt dort. Clever. Empathisch. Sympathisch österreichisch eben – internationale Schlagzeilen wie etwa eine Titelseite auf der „New York Times“ gab es als netten Nebeneffekt dazu. Von wegen Imageschaden.
Zu guter Letzt durfte sogar eine „Swiftie-Delegation“ ins Kanzleramt. Der Kanzler, der bis jetzt nicht zwingend als Versteher der Jugend in Erscheinung getreten ist, wollte Enttäuschungen nachvollziehen. Sorgen ernst nehmen. Trost spenden. Auch der Bundespräsident dankte. Für die friedlichen Zusammenkünfte seit der Absage der Konzerte. Für die Art und Weise des friedlichen Miteinanders.
Abgenutzte Trostspender
So weit, so gut, nett und charmant. Sehr österreichisch eben. Aber das reicht nicht. Also wie weiter? Darauf hat die Politik noch keine Antwort gefunden. Stattdessen wurde nach ein paar wenigen Schrecksekunden einmal mehr viel Wahlkampfsprech serviert. Allzu rasch einsetzendes gegenseitiges Schulterklopfen und verbale Ausrutscher inklusive. Es gab die erwartbaren Sager wie den gern gewählten (und längst abgenutzten) Satz „Wir lassen uns unsere Art zu leben nicht zerstören“. Wohl wissend, dass unsere Art zu leben in Zeiten dauerhaft erhöhter Terrorgefahr längst die Leichtigkeit des Seins verloren hat. Und das ebenso erwartbare politische Kleingeld, das gewechselt wurde. Besonders untergriffig formulierte es der Generalsekretär der ÖVP, Christian Stocker, der mit seinem Fingerzeig auf die anderen SPÖ, FPÖ, Grüne und Neos in einem Atemzug als „Allianz der Gefährder“ bezeichnet.
Viel Gemurkse
Was bleibt: viel Gemurkse mit Blick auf die nationale Sicherheit. Viele Fragezeichen. Ein ungutes Gefühl. Wohl wissend, dass nicht nur der Politik die Fantasie dafür fehlt, was jetzt passieren muss. Wohl wissend, dass es eben nicht nur einfache Antworten gibt. Aber wenigstens das Bemühen um einen ernsthaften sicherheitspolitischen Diskurs sollte spätestens jetzt sichtbar sein. Ist es aber nicht. Jedenfalls nicht wenige Tage nach dem vereitelten Anschlag.
Beginnen könnte man diesen Diskurs mit der Frage, wie gut wir überhaupt in Sachen Sicherheit, wo wesentliche Sicherheitsfragen an das Ausland delegiert werden, aufgestellt sind? Oder anders gefragt: Wie gehen wir mit den offensichtlichen Schwächen in der nachrichtendienstlichen Aufklärung um? Schließlich hat sich die Sicherheitslage in Österreich (und nicht nur hier) so bedrohlich entwickelt, dass es ohne massive Stärkung vor allem der Nachrichtendienste nicht gehen wird.
Wie lenken wir inmitten der bei diesem Thema besonders vergifteten Debatte das Augenmerk auf eine Messenger-Überwachung, die dem Hier und Jetzt angepasst ist? Ein Video mit dem vom 19-Jährigen geleisteten Treueschwur auf den IS spielte eine wesentliche Rolle, den Anschlagsplänen überhaupt erst auf die Spur zu kommen. Aber anders als die Überwachung von Telefonaten und SMS (mit richterlicher Genehmigung) ist die Messenger-Überwachung in Österreich nicht erlaubt. Es muss spätestens jetzt möglich sein, diese Debatte auch ohne die sofort im Raum stehenden Schlagworte „Massenüberwachung“ und „Missbrauchspotenzial“ zu führen. Die ÖVP drängt auf die Ausweitung der Befugnisse. Bedenken gibt es von den anderen Parteien und von Datenschützern. Die Sache ist verfassungsrechtlich sensibel.
Zweitens: Welche Ideen gibt es, um die diversen Social-Media-Plattformen in die Pflicht zu nehmen, die beispielsweise nichts bis wenig tun, um das Verbreiten von radikalen Botschaften einzuschränken? Drittens: Was wollen wir tun, um Sorge dafür zu tragen, dass andere unsere Lebensweise akzeptieren? Mit ein bisschen mehr politischer Bildung in einem System Schule, das das Fach „Politische Bildung“ bis heute gar nicht kennt? Viertens: Wann sehen wir hin und vor allem wie sehen wir hin mit Blick auf die Radikalisierung bei Jugendlichen, die hier in Österreich aufwachsen?
Die Lage im Land ist ernst. Sehr ernst sogar, wie der Innenminister erst dieser Tage wieder zu Protokoll geben musste.
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