Vor einem Jahr warnte der Publizist Michel Friedman mit einer bemerkenswerten Rede im Parlament vor Koalitionen mit extremistischen Parteien wie der FPÖ und betonte, dass es eine moralische Pflicht ist, sich von Hetze abzugrenzen und die Werte der Demokratie aktiv zu verteidigen
Ja, Glück gehabt. Die letzte der drei Landtagswahlen in Ostdeutschland ist geschlagen. Ein letztes Mal ging es um die Frage: Wie hoch gewinnt die AfD und wie sehr ist diese teils offen rechtsextreme, rassistische und demokratiefeindliche Partei in der Mitte der Gesellschaft angekommen? Der amtierende SPD-Ministerpräsident von Brandenburg fügte eine entscheidende Frage hinzu: „Ich oder die AfD?“ Am Wahlsonntag erzielte er 30,9 Prozent (im Juli lag seine Partei noch bei unter 20 Prozent), während die AfD bei 29,2 Prozent landete. Glück gehabt also. Knapp 30 Prozent für die AfD – und Deutschland atmet auf.
Die Wahlen im Osten haben gezeigt, wie schnell ein Teil der Gesellschaft bereit ist, sich von Selbstverständlichkeiten zu verabschieden. Von Demokratie zum Beispiel. Rechtsstaatlichkeit und Freiheit, auch Medienfreiheit. Österreich muss noch eine Antwort geben – taktisch und moralisch: Wie geht die Demokratie mit Parteien um, die – um es mit den Worten des deutschen Philosophen und Publizisten Michel Friedman zu sagen – „Parteien des Hasses“ sind?
Eben diese Frage stellte Friedman, Sohn von Holocaust-Überlebenden, in seiner Rede im Wiener Parlament zum Gedenktag der Befreiung von Mauthausen im Mai 2023. Er schlug seinerzeit hohe Wellen, als er die FPÖ ohne sie direkt zu nennen, als antidemokratische Kraft bezeichnete, während er die ÖVP für ihre Koalitionen mit der Freiheitlichen Partei scharf kritisierte. Friedman warnte in beeindruckender Schärfe vor den fatalen Folgen dieser politischen Strategie. Es war mehr als nur eine Mahnung zur historischen Reflexion. Es war eine Anklage gegen das politische Österreich der Gegenwart, insbesondere gegen die ÖVP und ihre wiederkehrende Bereitschaft, mit der FPÖ zu koalieren.
Damals und heute
Eben diese Koalitionen in den Jahren 2000 und 2017 haben die österreichische Politik nachhaltig geprägt. Der Preis für diese Zusammenarbeit – internationale Kritik und Sanktionen – war zumindest anfangs hoch. Heute ist davon vor allem eine spürbare Polarisierung der Gesellschaft übrig geblieben. Friedman erinnerte in seiner Rede vor einem Jahr daran, dass im Jahr 2000 eine halbe Million Menschen auf dem Heldenplatz protestierten, um die „Koscherung“ der FPÖ durch die ÖVP zu verhindern. Diese Proteste waren für ihn damals Ausdruck eines tiefen demokratischen Instinkts: Abwehr als politische und gesellschaftliche Verantwortung.
„Ist Hass eine Meinung?“
Auch ein Jahr später geht es um Grundsätzliches, etwa welche Werte das Land in Zukunft prägen sollen. Die politische Rückschau zeigt: Der Versuch, eine rechtspopulistische Partei durch Regierungsverantwortung zu „zähmen“, ist gescheitert. Immer wieder und längst nicht nur in Wahlkampfzeiten führt die FPÖ rassistische und hetzerische Narrative in die politische Debatte ein und vergiftet, wohl kalkuliert, das gesellschaftliche Klima. Folglich bleibt Friedmans eindringliche Frage relevant: „Ist Hass eine Meinung?“ Auch dieser Frage muss sich die ÖVP, die sich zu einer christlich-sozialen Tradition bekennt, nach der Nationalratswahl stellen, wenn erneut die Möglichkeit einer Koalition mit der FPÖ – ob mit Kickl oder ohne Kickl – im Raum steht. Friedman befindet: Sobald Hass als legitimer Teil des politischen Diskurses akzeptiert wird, ist die Demokratie in ihrer Substanz gefährdet.
Sowohl AfD als auch FPÖ setzen auf eine ablehnende Haltung gegenüber Migration und europäischen Institutionen und auf ein allgemeines Misstrauen gegenüber dem politischen Establishment und den Medien. Entscheidend ist der Umgang damit: Wie weit kann und darf eine demokratische Partei gehen, ohne mit Blick auf eine Zusammenarbeit ihre eigenen Werte zu verraten?
Deutschland hat vorerst eine Antwort gegeben. Die Brandmauer zur AfD steht. Noch. Das ist nicht nichts in Zeiten wie diesen. Denn längst gibt es auch die anderen Stimmen: „Rechts wird das neue Normal und aus den jungen Rechten werden ältere Rechte werden“, ist der deutsche Soziologe und Publizist Harald Welzer überzeugt. Schließlich zeigen die Zahlen der Landtagswahl in Brandenburg – wie auch schon in Thüringen und Sachsen – , dass gerade junge Menschen die AfD gewählt haben. Bei den 16- bis 24-Jährigen waren es rund 32 Prozent. Und dennoch stellt die AfD in keinem Bundesland die Regierung oder ist bzw. war – wie etwa in Österreich – in einer Regierungsbeteiligung. Eben weil sie vor allem wegen ihrer Radikalität jegliche Chance auf Akzeptanz durch demokratische Parteien verspielt hat.
Michel Friedmans bemerkenswerte Rede im Wiener Parlament im Mai 2023 war eine eindringliche Mahnung dafür, dass Erinnerungsarbeit nicht nur in den Rückspiegel blicken darf, sondern auch die Gegenwart im Auge behalten muss, und dass jede Generation aufs Neue für die Werte der Demokratie eintreten muss. Die Abgrenzung zu Hetze ist für ihn keine Frage des politischen Kalküls, sondern vor allem eine moralische Verpflichtung.
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