"Wer in der Champions League spielen will, muss in der Kreisliga anfangen", so beschreibt Kunsthändler Alexander Giese den Einstieg ins Kunstgeschäft. Aber auch die Kreisliga ist kein Kinderspielplatz. Warum es keinen einfachen Weg zum Erfolg gibt und angehende Kunstsammler:innen keine Angst vor Fehlern haben sollten. Eine Anleitung.
Die Kunst gehört zum Menschsein wie das Feuer oder die Sprache. Kunst bewegt, Kunst fasziniert, Kunst kommuniziert. Von den Höhlenmalereien in Lascaux über den Augustus von Prima Porta bis hin zur Konservendose des Andy Warhol. Kunst erscheint in den unterschiedlichsten Formen und doch scheint sie ein verbindendes Element zu haben. Sie berührt uns, löst Emotionen aus. Kein Wunder also, dass Kunstwerke heute zu den begehrtesten Besitztümern zählen und Sammler:innen, die es sich leisten können, teils unglaubliche Summen zahlen, um ein bemaltes Stück Leinwand bei sich im Wohnzimmer aufzuhängen.
Kunst und Kunstmarkt sind nicht dasselbe
Francis Bacons Triptychon wurde 2020 für 84,6 Millionen Dollar versteigert. Gustav Klimts "Dame mit Fächer" erreichte bei einer Auktion 2023 über 108 Millionen Dollar und der "Salvator Mundi" von Leonardo Da Vinci kostete 2017 sogar über 450 Millionen Dollar. Bei diesen Preisen ist es nicht verwunderlich, dass viele Menschen nichts mit dem Kunstmarkt zu tun haben wollen. Aber man muss nicht Multimillionär:in sein, um Kunst sammeln zu können. Auch mit kleineren Budgets können solide Sammlungen aufgebaut werden. Kunsthändler und -liebhaber Alexander Giese erklärt, worauf es ankommt.
Ich treffe Alexander Giese in seiner Kunsthandlung im Ersten Wiener Gemeindebezirk. In der Akademiestraße betreibt er den Kunsthandel "Giese und Schweiger". Wir gehen durch den Schauraum vorbei an Prachensky, Waldmüller und Arnulf Rainer, hinauf in ein kleines Büro, wo Giese auch Podcasts aufnimmt. Wir setzen uns, er beginnt zu erzählen. Natürlich sei der Einstieg ins Kunstgeschäft mit einer gewissen finanziellen Hürde verbunden. "Bei uns muss man erst klingeln, damit man überhaupt reinkommt, das schreibt uns die Versicherung vor", scherzt Giese. Es gibt hier zwar keinen Francis Bacon oder Leonardo Da Vinci, Rang und Namen haben die Künstler:innen bei Giese und Schweiger dennoch. Hier kann man Kunst bestaunen, sich beraten lassen und natürlich auch kaufen. Wie unterscheidet sich ein Kunsthändler aber von einer Galerie oder einem Auktionshaus?
Was ist der Unterschied zwischen Galerien, Auktionshäusern und Kunsthändlern?
Galerien arbeiten meist eng mit den Künstlerinnen und Künstlern zusammen. Sie bewerben und vermarkten Kunst am Primärmarkt, also frisch aus dem Atelier. Dabei setzen sie auf eine persönliche Beziehung zu den Kunstschaffenden. Galerien organisieren Ausstellungen, finanzieren Kataloge oder vertreten Künstler:innen auf Messen. Dafür streichen sie beim Verkauf von Kunstwerken Provisionen ein, oft bis zu 50 Prozent des Verkaufspreises.
Auktionshäuser und Kunsthändler sind am Sekundärmarkt aktiv und handeln mit Kunstwerken, die oft schon Jahrzehnte im Umlauf sind und ihre Wertstabilität bewiesen haben. Die Auktionswelt ist geprägt von einigen wenigen internationalen Häusern wie Christie's und Sotheby's. Sie versteigern oft weltbekannte Werke und erregen mit absurden Verkaufspreisen große Aufmerksamkeit. Spezialisierte Kunsthändler - wie Giese und Schweiger - setzen hingegen auf eine gut kuratierte Auswahl an Künstlerinnen und Künstlern und verfügen oft über spezialisierte Expertise für einen bestimmten Stil oder eine Epoche.
Wie fängt man also als Kunstsammler:in an?
Es gibt keinen optimalen Weg, mit dem Kunstsammeln anzufangen. "Man muss ein Grundinteresse mitbringen und dann ist es eine Reise, auf die man sich begibt", erklärt Giese. Dass anfangs nicht klar ist, wohin diese Reise geht, versteht sich. "Wenn mich Leute fragen, wie sie beginnen sollen, sage ich oft: am besten mit einem Fehler." Die ersten Versuche und die ersten Käufe seien von großer Bedeutung für die Sammlungsentwicklung. "Bei den allermeisten Sammlungen, die ich kenne, gibt es das Kapitel der Anfänge. Das sind oft nicht die strahlenden Meisterwerke, aber es sind ganz entscheidende Stücke", erzählt Giese. Man wird nicht über Nacht Kunstsammler:in, es ist ein Prozess.
Wie entwickelt man eine gute Sammlungsstrategie?
Spricht man über das Kunstsammeln, fällt oft das Wort "Strategie". Welche Künstler:innen soll ich kaufen? Welche Eigenschaften muss ein Kunstwerk haben? Für Alexander Giese ist das ein zu berechnender Zugang: "Man sollte ein Bild kaufen, weil es einen freut." Sammlungen, die etwa von großen Firmen angelegt werden und klare Ankaufsstrategien verfolgen, sähen oft eher gleich aus. "Ich bin ein Freund von Sammlungen, wo die Individualität der Sammler sichtbar ist, wo der rote Faden eigentlich nur das Auge des Sammlers oder der Sammlerin ist."
Angehenden Kunstsammlerinnen und Kunstsammlern legt Alexander Giese also nahe, "mit den Augen zu kaufen, nicht mit den Ohren". Wer sich nur daran orientiert, was gerade einen Hype erlebt oder was Anlageberater:innen empfehlen, wird auf Dauer keine lebendige Sammlung aufbauen. Das hängt auch damit zusammen, dass Kunst für viele finanzkräftige Personen zum attraktiven Spekulationsobjekt geworden ist.
Kunst als Investition
Nach der Finanzkrise 2008 wollten viele Menschen ihre Anlagen diversifizieren. Der Kunstmarkt war ein beliebtes Ziel. Für die Kunst war das kein Segen. "Ganz viele Menschen, die keine Ahnung von Kunst haben und denen es auch nicht um die Kunst geht, beteiligen sich am Kunstmarkt. Das macht das Ganze gefährlich", erklärt Giese. Für manche Käufer:innen zählt nicht die Geschichte hinter einem Werk, sondern nur die schwarzen Zahlen. Sogenannte "Flipper" versuchen gezielt, Kunst aufzukaufen und gewinnbringend zu verkaufen. Das erzeugt Volatilität am Kunstmarkt. Und exorbitante Preise. "Es ist absurd, dass ein Francis Bacon 80 Millionen kostet. 80 Millionen! Ich finde es nicht gut, wenn man die Kunst dem Druck aussetzt, performen zu müssen", erklärt Giese. Und wie auch mit anderen Anlagen ist es schwierig, deren Entwicklung vorherzusagen. Was sich als gutes Investment entpuppt, weiß man immer erst Jahre danach: "Wenn ich das wüsste, würde ich all die Bilder, die gute Investments sind, ja selbst kaufen", so Giese.
Dennoch will man als Kunstsammler:in keinen totalen Fehlkauf machen. Woran kann man sich also orientieren? "Die Grundvoraussetzung für eine gute finanzielle Entwicklung ist eine hohe Qualität im Werk selbst", weiß Alexander Giese. Aber auch der Kontext ist wichtig. "Ich schau mir immer an, wer der Mensch hinter der Kunst ist." Es ist wichtig, sich mit der Kunst auseinanderzusetzen, sie aus der Nähe zu erfahren. Und man sollte auch nicht davor zurückschrecken, jemanden zu fragen, der sich besser auskennt. "Ich glaube, es ist schon gut, sich beraten zu lassen, vor allem je mehr es in die Vergangenheit geht", erklärt Giese. Aber letztlich ist das Kunstsammeln nicht von seiner emotionalen Komponente zu trennen. Es geht um mehr als Rendite. "Ich bin Kunsthändler und kein Anlageberater", betont Giese. "Von einem Bild an der Wand kann man immer die emotionale Dividende abschöpfen, das kann man nicht, wenn es im Kunstlager steht."
Wie identifiziert man gute zeitgenössische Kunst?
Für die meisten Menschen sind die Klassiker der Kunstgeschichte unbezahlbare Museumsstücke. Auch für Alexander Giese ist Francis Bacon kein Thema. Sein Kunsthandel fokussiert sich eher auf regionale Talente. Dabei gibt es so gut wie keine zeitlichen Einschränkungen. Der "alte" Meister gehört da ebenso dazu wie die aufstrebende lokale Künstlerin. Regionalität legt Giese auch neuen Kunstsammlerinnen und -sammlern ans Herz. "Wenn man eine Künstlerin oder einen Künstler kennt, der jetzt gerade mitten im Schaffen ist, dann ist das der beste Weg zu beginnen. Weil dann hilft man den schöpferischen Menschen dort, wo sie es am meisten brauchen."
Ein niederschwelliger Weg, mit Künstlerinnen und Künstlern aus der Gegend in Kontakt zu kommen, sind die Universitäten und Kunstschulen. Regelmäßig werden Werkschauen, Rundgänge und Abschlussausstellungen organisiert, um jungen Kunstschaffenden eine Bühne zu bieten. Dort kann man in Kontakt treten und aufstrebende Künstler:innen bei ihren Anfängen unterstützen. Auch Initiativen wie "Kunst ab Hinterhof" haben sich der Förderungen von jungen Talenten verschrieben und führen Werke in verschiedenen Preisklassen, sowohl für erfahrende Sammler:innen als auch für Einsteiger:innen.
Wie orientiert man sich in der Kunstszene?
Mit der lokalen Kunstszene in Kontakt kommen, Künstler:innen und andere Sammler:innen kennenlernen, einen Überblick gewinnen. Das ist am Anfang der Sammler:innentätigkeit wichtig. "Man muss einfach viel schauen, schauen, schauen", weiß Alexander Giese: "Es ist wichtig, sich vielseitig zu informieren. Auf eine Messe gehen, auf eine Ausstellung, in ein Museum, sich mit Leuten zu unterhalten." Auch im Internet gibt es eine Fülle an Information und Inspiration. Webseiten wie artnet.com oder artsy.net sind Nachschlagewerke, Datenbanken und Informationsplattformen zugleich. Es gibt eine Reihe an Podcasts, die sich der Kunstvermittlung verschrieben haben. Alexander Giese ist mit seinem Podcast "Ausgesprochen Kunst" einer von ihnen.
Wie pflege und verwalte ich eine Sammlung?
Hat man einmal einige Kunstwerke ergattert, stellt sich die Frage nach der Verwahrung. Die meisten Kunstwerke, allen voran feine Zeichnungen oder Aquarelle, reagieren sehr empfindlich auf direktes Sonnenlicht oder schwankende Luftfeuchtigkeit. Für Malereien eignet sich grundsätzlich eine Luftfeuchtigkeit um die 50 Prozent und eine Raumtemperatur von etwa 20 °C. Dachböden oder Keller eignen sich daher nicht, um Kunst aufzubewahren. Jedes Material hat seine eigenen Schwachstellen und muss individuell geschützt werden. Hat man an seinen Wänden also nicht genug Platz, um alle Kunstwerke aufzuhängen, empfiehlt sich eine professionelle Verwahrung durch spezialisierte Firmen, die auch eine Versicherung anbieten.
Von welchen Kunstsammler:innen kann man lernen?
"Als Sammler bezeichne ich die Menschen, die ein Kunstwerk kaufen, ohne es einer Bestimmung zuzuführen. Aus der Freude, aus der Lust am Moment", erzählt Giese. Er denkt etwa an Helmut Zambo, Ernst Ploil oder die Familie Leopold.
Zambo, erfolgreicher Unternehmensberater aus Wien, hat sein erstes Bild mit 16 Jahren erworben. Besonders Arnulf Rainer hat es ihm angetan, er besitzt etwa 300 Werke des berühmten Österreichers. Ernst Ploil, ebenfalls Wiener, hat auch in jungen Jahren mit dem Sammeln angefangen und seither eine der bedeutendsten Sammlungen österreichischer Künstler aufgebaut. Beide verbindet, dass sie für die Kunst brennen und auch in wirtschaftlich schlechteren Zeiten nicht mit dem Sammeln aufhören.
Als besonders klingender Name sticht die Sammlung Leopold des Ehepaars Rudolf und Elisabeth Leopold hervor, die im gleichnamigen Museum bewundert werden kann. Mit über 8.000 Werken ist sie eine der bedeutendsten Sammlungen österreichischer Kunst. Von Waldmüller über Klimt bis Schiele fehlt fast keiner der großen österreichischen Künstler. Trotz dieser klingenden Namen ist die Sammlung stark durch die Vorlieben der Leopolds geprägt.
Alexander Giese erkennt bei diesen Sammlungen die Individualität und die ehrliche Auseinandersetzung mit der Kunst an sich. "Sie alle tragen die Handschrift der Sammler, sind mit Enthusiasmus und Leidenschaft - im wahrsten Sinne des Wortes - entstanden", erklärt Giese.
Wie geht es mit der Kunstwelt weiter?
Wandel ist nicht aufzuhalten, ob man will oder nicht. So auch in der Kunstwelt. Aber trotz Instagram, NFTs und künstlicher Intelligenz ist Alexander Giese nicht besorgt um den Fortbestand der bildenden Kunst: "Solange unsere Wohnungen gerade Wände haben, wird es das Bedürfnis geben, dort etwas hinzuhängen." Österreich ist laut Alexander Giese ein fruchtbares Land für die Kunst und braucht sich auch im internationalen Vergleich nicht zu verstecken. "Österreich ist ein regionaler Kunstmarkt mit einer starken Wirksamkeit nach außen. Die Kunst, die hier entsteht, ist auf einem sehr hohen Niveau." Wohin sich die Kunstwelt entwickeln wird, ist unmöglich vorherzusagen. Aussterben wird sie aber sicher nicht.
Am Ende zählt die Freude am Sammeln
Mit dem Kunstsammeln ist es wie mit den meisten Dingen im Leben: Man muss klein anfangen. "Wer in der Champions League spielen will, muss in der Kreisliga anfangen", weiß Alexander Giese. "Sammlungen entwickeln sich, irgendwo muss man anfangen." Festzuhalten bleibt, dass man keine Millionen haben muss, um anzufangen. Am Flohmarkt ein kleines Landschaftsbild kaufen, ein Stillleben in einem alten Raritätengeschäft oder ein Selbstportrait einer Kunststudierenden. Es gibt viele Wege, sich niederschwellig anzunähern. Kunstsammeln ist nicht Investieren. Kunstsammeln soll Spaß machen. Am Ende unseres Gesprächs verfällt Giese leicht ins Schwärmen. "Das Erlebnis einer Auktion kann ich nur jedem empfehlen", erzählt er. "Wenn ich irgendwo in einem kleinen Auktionshaus sitze und mir ein kleines Aquarell von Rudolf von Alt um 1.400 Euro kaufen möchte, habe ich noch immer schweißnasse Hände."
Natürlich sind 1.400 Euro viel Geld. Aber es geht auch billiger. Wichtig ist, irgendwo anzufangen, keine Angst vor Fehlern zu haben, sich einfach mal zu trauen und auf seine Augen zu vertrauen. "Genau der Moment, wo sich die Leute fragen: 'Wie fange ich denn an?' - das ist eigentlich der spannendste Moment."