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Klaudia Tanner: „Die Gesellschaft muss wehrfähiger werden“

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Russlands Wladimir Putin droht. Die Europäische Union will aufrüsten. Auch Österreich muss sich auf die neuen Bedrohungen einstellen, erklärt Verteidigungsministerin Klaudia Tanner im Interview. Dazu gehört neben dem Ankauf von militärischem Gerät auch Verteidigungsfähigkeit im Kopf, sagt die ÖVP-Politikerin. Die Menschen sollen wissen, dass sie Werte wie Demokratie und Meinungsfreiheit auch beschützen müssen.

Wie gut und gerne erinnern Sie sich an den Lateinunterricht? „Wenn du den Frieden willst, bereite den Krieg vor“, heißt es bei Cicero.

Ich habe Latein nicht unbedingt geliebt. Aber der Satz von Cicero ist leider sehr wahr. Er ist wichtiger denn je und passt genau zu unserem Ansatz, als österreichisches Bundesheer verteidigungsfähig zu werden – mit dem Zweck, Frieden zu haben. Das gilt nicht nur für Österreich, sondern für die gesamte EU.

Das Bundesheer wurde lange budgetär ausgehungert. Jetzt haben Sie mit dem Ziel, bis 2032 zwei Prozent des BIP zu erreichen, mehr Geld zur Verfügung. Selbst wenn Österreich aufgerüstet wäre, wie wehrhaft wäre das Land – in den Köpfen?

Da gibt es viel Luft nach oben. Es war nicht nur in Österreich so, dass man sich auf einer Insel der Seligen gefühlt hat. Die Verteidigungsetats sind in der gesamten EU nach unten gegangen. Seit meinem Amtsantritt 2020 haben wir das nach und nach geändert und ein Milizpaket, ein Katastrophehilfepaket und ein ABC-Paket auf den Weg gebracht. Die Rückkehr des Kriegs auf den Kontinent hat alles verändert. Es ist das Bewusstsein da, dass man das Bundesheer nachrüsten muss. Wir haben einen Aufbauplan 2023plus erstellt, eine Mission vorwärts mit sehr vielen Maßnahmen.

Reicht ein „Bewusstsein“?

Kommen wir zu den Köpfen zurück: Wir fragen regelmäßig ab, wie viel Prozent der Österreicher bereit wären, ihr Land mit der Waffe zu verteidigen. Da sieht man keine besonders guten Ergebnisse.

Wir tragen alle Verantwortung für unser Land und seine Werte und müssen diese auch verteidigen

Laut Austrian Foreign Policy Panel Projects der Uni Innsbruck sind das gerade einmal 14 Prozent.

In unseren Umfragen sind es zwischen 22 und 25 Prozent der Befragten. Da hat sich auch seit dem Angriff Putins auf die Ukraine nicht besonders viel verändert. Wir haben nicht diese räumliche Nähe wie andere Länder, wo mehr Bewusstsein da ist. Aber weil wir gesehen haben, dass die Wehrbereitschaft schwach ist, haben wir die geistige Landesverteidigung in die Schullehrpläne aufgenommen. Damit man weiß, was es eigentlich zu verteidigen gilt: unsere westlichen Werte. Es ist nicht selbstverständlich, in Demokratie, Frieden, Freiheit und Sicherheit zu leben. Wir tragen alle Verantwortung für unser Land und seine Werte und müssen diese auch vertei­digen. Das hat man halt lange nicht geglaubt, eben weil man sich auf einer Insel der Seligen gewähnt hat. Im aktuellen Regierungsprogramm haben wir auch das Fach Demokratie verankert.

Im Neutralitätsgesetz steht, Österreich müsse die Neutralität mit allen Mitteln verteidigen. Eher hat man sie aber als Ruhekissen betrachtet. Im Krisenfall sollen sich andere prügeln, nicht wir. Ist das eine Haltung, die sich aufrechterhalten lässt?

Gut, dass das Bundesverfassungsgesetz zur Neutralität zitiert wird, denn auf das wird gerne vergessen: Die Neutralität ist mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen. Auf diese Mittel hat man in der Vergangenheit verzichtet, weil man geglaubt hat, der Krieg kommt nicht mehr und wir sind ohnedies durch die Neutralität beschützt. Sie allein schützt uns nicht, aber ein gut ausgestattetes Bundesheer ist für einen neutralen Staat wichtiger denn je. Das muss kein Widerspruch sein: Neutralität auf der einen Seite und gelebte europäische Solidarität mit friedenserhaltenden Einsätzen im Rahmen der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU auf der anderen Seite. Wir leben das ja auch seit Jahrzehnten.

Wobei laut Umfrage 70 Prozent der Österreicher sagen, die EU müsse uns im Ernstfall beistehen, aber nur 14 Prozent einem anderen Mitgliedsstaat beistehen wollen.

Trittbrettfahrer sind wir aber nicht.

Danach habe ich gar nicht gefragt.

Aber der Vorwurf kommt immer in diesem Zusammenhang. Unsere Soldatinnen und Soldaten sind derzeit in 17 Missionen eingesetzt, insbesondere am Westbalkan, in Bosnien und im Kosovo. Auch im Libanon sind österreichische Kräfte stationiert und leisten einen Beitrag für den Frieden. Auch darüber sollte man im Sinne der geistigen Landesverteidigung reden. Dass wir Werte haben, hinter denen wir stehen und die wir hier auch verteidigen. Nicht nur das Bundesheer, die gesamte Gesellschaft muss wehrfähiger werden. Verteidigungsfähiger – auch im Kopf.

Es ist von einer Friedensmission in der Ukraine die Rede – auch wenn die Hoffnung auf Frieden noch sehr vage ist. Soll sich Österreich da beteiligen?

Es ist wirklich noch sehr vage. Es fehlt der Friede, auf den müssen jetzt alle Bemühungen gerichtet sein. Erst wenn Friede da ist, wird entschieden, welches Mandat es geben wird und wie wir uns als neutraler Staat da beteiligen. Österreich zählt seit Beginn des Krieges zu den Unterstützern – finanziell und humanitär, wir habe viele ukrainische Flüchtlinge aufgenommen. Zum jetzigen Zeitpunkt ist es aber noch viel zu früh, über eine Entsendung von Friedens­truppen nachzudenken.

Was könnte Österreich leisten?

Man kann unsere Expertise bei den ­anderen Missionen sehen. Im Libanon etwa – übrigens unsere erste Auslandsmission, die von einer Frau angeführt wird – sind wir für die Logistik zuständig, am Westbalkan für den Aufklärungsbereich, wir haben aber auch militärmedizinische Expertise.

Wenn die Wehrpflicht einmal abgeschafft ist, ist es sehr schwierig, sie wieder einzuführen

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 © Bild: Matt Observe

Ähnlich laut wie vom Frieden ist davon die Rede, Putin könnte ein EU-Land angreifen. Experten beziffern die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, mit 80 Prozent. Droht Österreich diese Gefahr?

Ich würde mich nie auf einen solchen Prozentsatz festlegen. Es gibt auch Experten, die das anders einschätzen. Angst ist generell ein schlechter Ratgeber. Wichtig ist, dass man vorbereitet ist. Man sieht in unseren sicherheitspolitischen Jahresvorschauen, dass wir schon vor Putins Angriff auf die Ukraine von einer zunehmenden Bedrohung der EU durch Russland ausgegangen sind. Wenn wir den Frieden wollen, müssen wir auf jeden einzelnen dieser Angriffe vorbereitet sein: von Angriffen aus der Luft bis zu hybriden Gefahren wie Desinformationskampagnen oder Angriffen auf kritische Infrastruktur.

Es gibt den konkreten Verdacht, dass Russland Wahlen im Westen durch Desinformationskampagnen beeinflusst. Gibt es Anzeichen dafür, dass so etwas auch in Österreich passiert?

Auch das ist eine Aufgabe, auf die wir vorbereitet sein müssen. Doch es ist in solchen Fällen immer schwierig, den Urheber festzustellen. Aber auch für diese Gefahren haben wir in unserem Aufbauplan bis 2032 budgetäre Mittel und Personen vorgesehen.

Das heißt, wir sind noch nicht ausreichend vorbereitet?

Der Plan heißt 2032. Nicht nur bei uns, auch in anderen Armeen hat man über die Jahrzehnte eingespart und nichts investiert. Das aufzuholen, geht nicht von einen Tag auf den anderen und wird eine Herausforderung. Aber wir haben in Österreich immerhin den Vorteil, dass wir die Wehrpflicht haben. Dadurch haben wir 16.000 junge Männer pro Jahr. Vor zwei Jahren haben wir den freiwilligen Grundwehrdienst für Frauen eingeführt. Das ist ein unglaublicher Vorteil im Vergleich zu anderen Armeen. Wenn man nach Deutschland oder Ungarn schaut: Wenn die Wehrpflicht einmal abgeschafft ist, ist es sehr schwierig, sie wieder einzuführen. Zudem ist uns mit dem Landesverteidigungsfinanzierungsgesetz etwas gelungen. Wir haben dadurch budgetäre Planbarkeit.

Der Grundwehrdienst dauert sechs Monate. Reicht das? Die Milizübungen wurden abgeschafft. Braucht man die wieder?

Jedenfalls notwendig ist, dass mehr ­geübt wird. Große Übungen mit hohen Milizanteilen sind ein Gebot der Stunde und finden auch statt. Klar ist auch, dass wir uns wegen der geburtenschwachen Jahrgänge etwas überlegen müssen. Aber da komme ich noch einmal zur geistigen Landesverteidigung zurück. Noch wichtiger als die Länge des Grundwehrdiensts ist ja, dass die jungen Männer überhaupt die Entscheidung pro Bundesheer treffen. Da muss man frühzeitig ansetzen, damit die Entscheidung in die richtige Richtung geht. Aber natürlich sind sechs Monate aus militärstrategischer Sicht sehr kurz. Aber auch da haben wir schon einiges gemacht: Wir haben die sicherheitspolizeilichen Einsätze von Grundwehrdienern an der Grenze fast auf null gebracht. Denn die Zeit, die sie dort verbringen, fehlt tatsächlich bei der Ausbildung.

Der Wiederaufbau von Industrien, etwa auch im Munitionsbereich, geht nicht von einem Tag auf den anderen

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Die EU will 800 Milliarden Euro für Aufrüstung ausgeben. Wenn nun alle Länder möglichst viel kaufen wollen, gibt überhaupt genügend Kapazitäten bei der Rüstungsindustrie?

Das ist schwierig. Erst haben alle die Rüstung nach unten gefahren, und nun greifen alle gleichzeitig darauf zurück. Im neuen EU-Weißbuch zur Verteidigung, welches am Mittwoch präsentiert wurde, wird daher der Wiederaufbau der Verteidigungsindustrie in Europa ein wichtiger Punkt sein. Wir haben in Österreich einen gewissen Vorteil, weil wir den Kampfpanzer Leopard und den Schützenpanzer Ulan vor dem Ukrainekrieg zur Modernisierung geschickt haben. Dadurch kommen jetzt schon die Ersten, die auf den neuesten Stand der Technik gebracht sind, zurück. Aber ja, es ist eine berechtige Frage: Der Wiederaufbau von Industrien, etwa auch im Munitionsbereich, geht nicht von einem Tag auf den anderen.

Länder wie Portugal stornieren Rüstungsaufträge in den USA, weil sie diese unter Donald Trump für keinen verlässlichen Partner halten. Würden Sie in den USA bestellen?

Wir orientieren uns an unserem Aufbauplan. Typenentscheidungen bei Beschaffungen treffen wir, wenn es so weit ist. Wir haben jetzt die Nachbeschaffung der Saab 105 wie bei den Hubschraubern mit Italien gemacht. Die USA werden für viele ein Thema sein, wenn es um Abfangjäger geht, da läuft unser Eurofightersystem noch bis 2035. Bis dahin wird entschieden. Es wird jedenfalls notwendig sein, die Beziehungen zu den USA, egal, auf welcher Ebene, aufrechtzuerhalten.

Sind sie unter Trump ein verläss­licher Partner für Europa?

Dass sich sehr vieles verändert hat, steht außer Frage. Aber wir haben ein State Partnership Program, das auf einer wirklich guten Partnerschaft mit der National Guard in Vermont beruht. Ich glaube, dass in Zeiten einer Eskalation auf den verschiedensten Ebenen jetzt einmal auch Ruhe angebracht ist.

Aber die vier Jahre Trump könnten recht lang werden.

Man wird sehen. Er ist der gewählte Präsident.

Sicherheit ist ein innenpolitischer Spielball. Würden Sie sich von der FPÖ mehr Beitrag zur geistigen Landesverteidigung erhoffen?

Die Haltung der FPÖ bei der Luftraumverteidigung war sehr entlarvend. Selbst wenn Österreich nicht angegriffen wird – wir haben gesehen, wie im Vorjahr eine fehlgeleitete Drohne einen Krater in Zagreb gerissen hat. Wir sehen täglich die Bilder aus Krisen- und Kriegsregionen. Da ist es einfach unverantwortlich, dagegen zu sein.

Verstehen Sie, wenn jemand angesichts der Weltlage nicht schlafen kann und sich fragt, ob Österreich sicher ist?

Ich habe Verständnis dafür. Aber die Österreicher können sicher sein, dass wir alles tun, damit wir wieder verteidigungsfähig werden. Wir sind auf einem sehr guten Weg. Die Landesverteidigung geht aber nicht nur das Bundesheer etwas an. Ich denke mir bei jeder Angelobung, dass man auch jenen danken muss, die ihre Söhne und Töchter in der Entscheidung für das Bundesheer unterstützen. Reine Angst hat uns noch nie weitergebracht, sondern nur Vorbereitung mit einem klaren Blick und einem klaren Plan.

Und wie schlafen Sie selbst?

Sehr gut!

Klaudia Tanner, 54

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 12/25 erschienen.

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