Julian Hessenthaler, der Mann hinter dem Ibiza-Video, erzählt in einem neuen Buch seine Version des berühmtesten Politthrillers der zweiten Republik. Es erscheint nicht zufällig kurz vor der Nationalratswahl: Er will auf Korruptionsprobleme hinweisen
Mit der Beschreibung der Ibiza-Aufdecker Bastian Obermayer und Frederik Obermaier hat jener Julian Hessenthaler, der an diesem heißen Spätsommertag in ein Café in Wien-Neubau spaziert, nicht mehr viel zu tun. Sie konnten sich, schreiben die beiden „Süddeutsche Zeitung“-Journalisten im Vorwort des Buchs „Nach Ibiza“, bei der Erstsichtung des Ibiza-Videos im Frühling 2018 gar nicht auf die Inhalte konzentrieren, weil Hessenthaler „am geöffneten Fenster steht und entweder raucht – was natürlich verboten ist – oder aus einer kleinen Plastikwasserflasche unentwegt kleine Schlückchen nimmt“. Es sei „kaum zum Aushalten“ gewesen. Der Hessenthaler von heute trinkt Melonen-Smoothie und wirkt sehr entspannt.
Korruptionsprobleme
Das Treffen findet statt, weil er sein neues Buch bewerben möchte. Geschrieben in Zusammenarbeit mit der „Falter“-Journalistin Barbara Tóth soll es endlich seine Version des berühmtesten Politthrillers der 2. Republik erzählen. In Langform. „In einem Guss“, wie er selbst sagt. Um hartnäckigen Missverständnissen entgegenzuarbeiten, und auch, um kurz vor der Nationalratswahl auf Probleme hinzuweisen, die Österreich seiner Meinung nach hat, aber gerne verdrängt.
Es gehe ihm nicht darum, bestimmte Parteien anzugreifen, sagt Hessenthaler. „Natürlich ist Kritik an der FPÖ und auch der ÖVP in dem Buch herauszuhören. Aber nicht aufgrund ihrer ideologischen Einstellungen, auch wenn ich sie nicht teile, sondern weil beide Parteien – ganz abgesehen von Ibiza – Fragezeichen aufwerfen, die bis dato noch nicht gebührend behandelt worden sind. In Österreich wird sehr schnell vergeben und vergessen.“ Österreich, findet Hessenthaler, hat ein gravierendes Korruptionsproblem, über das man lieber diskutieren sollte, als über die Höhe der Sozialhilfe für eine Handvoll syrischer Großfamilien in Wien.
Julian Hessenthaler ist eine umstrittene Figur. Hier und jetzt, bei Melonen-Smoothie und freundlichem Hintergrund-Pop-Gedudel, ist das schwer vorstellbar. Er sieht durchtrainiert aus, erklärt seine Standpunkte klar und selbstbewusst. Aber die Ambivalenz, mit der die Öffentlichkeit ihn wahrnimmt, ist ihm bewusst.
„Ich polarisiere“, sagt er. „Ich weiß, die eine Seite hasst mich, die andere hasst mich nicht. Ich verstehe auch, dass die Leute Berührungsängste haben. Als wir den Verein ,Ans Licht!‘ gegründet haben, konnten wir monatelang kein Bankkonto einrichten, weil es hieß, man könne aus geschäftspolitischen Gründen keine Kontoeröffnung durchführen. Als ich eine Mietwohnung anmieten wollte, kam der Ehemann der Vermieterin, offenbar ein FPÖ-Wähler, darauf, wer ich bin. Ich habe die Wohnung natürlich nicht bekommen.“ Auch in eine Polizeikontrolle würde er nicht gerne geraten, sagt Hessenthaler. „Ohne irgendjemandem illegale Tätigkeiten zu unterstellen. Aber es gibt sicher den einen oder anderen Beamten, der gerne die Gelegenheit nutzen würde, zumindest das Maximum dessen zu fahren, was legal möglich ist.“ Nachsatz: „Ich bin sicher nicht der Otto Normalbürger.“
DAS BUCH
Die Journalistin Barbara Tóth arbeitete gemeinsam mit Julian Hessenthaler an dem Buch „Nach Ibiza. Der lange Schatten eines Skandalvideos. Warum unsere Demokratie in Gefahr ist“. Das Buch ist im Goldegg Verlag erschienen und um 24 Euro erhältlich.
Nach Ibiza: Der lange Schatten eines Skandalvideos – Warum unsere Demokratie in Gefahr ist
Ibiza, eine lange Eskalation
Dass er das nicht ist, geht auch aus dem Buch her vor. Wohldosiert gibt Hessenthaler Details aus seiner Kindheit und Jugend preis: Aufgewachsen als Sohn einer international tätigen Sprachlehrerin und eines Vaters, der sein Geld mit dem Handel von Schmuck, Antiquitäten und Kunsthandwerk machte, „in einer Grauzone“, wie Hessenthaler schreibt, „Zoll, Steuern – das war selten korrekt und transparent abgewickelt“. Die Schullaufbahn führt ihn durch diverse Wiener Gymnasien, er beendet sie wegen zu vieler Fehlstunden ohne Matura. Der junge Mann „mit zu vielen Freiheiten, zu viel Geld, zu vielen Ansprüchen und zu wenig Grenzen“ dockt schließlich bei einer privaten Sicherheitsfirma an und bleibt in dieser aufregenden, schillernden, grenzwertigen Welt.
Eines Abends im März 2015 entsteht dann in einer Wiener Innenstadt-Bar die Idee zum Ibiza-Video. Oder zumindest die Idee, den damaligen FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache zu demaskieren. Denn dass die berüchtigte Aufnahme schließlich auf Ibiza entstand, war das Ergebnis einer langen Eskalation, sagt Hessenthaler. „Geplant waren eigentlich ein, zwei Abende und Ausgaben von maximal 50.000 Euro.“ 500.000, habe er kürzlich im „Spiegel“ gelesen, kostete es den Anwalt Ramin Mirfakhrai, der mit ihm hinter dem Projekt stand, letztlich.
Ob Hessenthaler es wieder machen würde? Ja. Anders. Mit professionellen Dienstleistern, die genau wissen, worauf sie sich einlassen. Dass er Leute aus seinem Bekanntenkreis in die Sache hineingezogen habe, tue ihm bis heute leid, sagt Hessenthaler. Hinter der Methodik stehe er nach wie vor. „Man kann sicher darüber streiten, ob ich die richtige Person für das Projekt war. Ich verstehe, dass meine Historie Flecken hat, die man nicht haben müsste. Aber Politik ist letztlich auch eine Form der Dienstleistung. Ich finde es nicht verwerflich oder absurd, dass es für Steuerzahler die Möglichkeit einer externen Kontrolle gibt, wenn der Verdacht besteht, dass diese Dienstleistung nicht so erbracht wird, wie sie erbracht werden sollte. Ich verstehe schon, dass das in der Politik nicht gut ankommt. Aber wenn wir Hotels testen können, Restaurants testen können, IT-Sicherheit testen können, warum dann nicht die Politik?“
Einsiedler-Dasein
Hessenthalers Leben besteht aus einer Zeit vor und einer Zeit nach Ibiza. „Zumindest im Außenleben“, sagt er. „Ich habe hart daran gearbeitet, mir selbst treu zu bleiben. Aber natürlich hat mich Ibiza verändert. Ich habe auch Narben davongetragen. Ich war nie jemand, der sonderlich offen war mit Fremden. Mittlerweile bin ich extrem verschlossen geworden. Bei jeder Person, die ich privat kennenlerne, frage ich mich sofort: Was ist die Absicht? Es grenzt wahrscheinlich an ungesund, und es ist ein bisschen ein Einsiedler-Dasein. Aber ich arbeite daran.“
In der öffentlichen Kommunikation ist Hessenthaler mittlerweile weitaus offener, als in der Phase unmittelbar nach Veröffentlichung des Videos. „Ich bin nicht gerne eine öffentliche Person. Das hängt teilweise mit meiner Arbeit zusammen, aber es war immer schon so. Meine Mutter beklagt immer, dass es aus meiner gesamten Kindheit kaum Fotos gibt, weil ich mich immer gesträubt habe, fotografiert zu werden. Ich habe aber inzwischen gelernt, dass es wichtig ist, in der Öffentlichkeit meine Sicht der Dinge darzustellen. Ich habe gelernt, dass ein Narrativ, egal, wie schwachsinnig es ist, zu Wahrheit wird, wenn es unwidersprochen in die Öffentlichkeit hinausposaunt wird. Ich glaube, es hätte vieles anders laufen können, wenn wir von Anfang an anders kommuniziert hätten. Es hat vermutlich auch auf das Ermittlungsverfahren ausgestrahlt. Und ich hatte ebenfalls unterschätzt, wie sehr Medien in der Lage sind, diese Dinge zu beeinflussen und zu treiben.“
Balmain-Schühchen
Die Veröffentlichung des Ibiza-Videos ist mittlerweile fünf Jahre her. Kontakt zu den Protagonisten habe er nicht mehr, sagt Hessenthaler. „Ich habe den Herren Strache einmal auf der Kärntner Straße gesehen, in seinen teuren Balmain-Schühchen. Er hat mich aber nicht gesehen, und ich bin absichtlich knapp hinter ihm vorbeispaziert.“ Hessenthaler hat eine dreieinhalbjährige Gefängnisstrafe wegen Drogenhandels abgesessen, er arbeitet jetzt für eine deutsche Sicherheitsfirma und engagiert sich nebenbei für den besseren Schutz von Whistleblowern. Ibiza habe ihn politisiert, sagt Hessenthaler, zumindest in Hinblick auf die österreichische Politik. Aber er könne sich auch gut vorstellen, wieder aus der Öffentlichkeit zu verschwinden, wenn er das Gefühl habe, dass ihm keiner mehr zuhören will.
Zwei kurze Fragen zum Abschluss, bevor es aus dem heißen Café wieder hinaus in den noch heißeren Großstadtnachmittag geht: Was ist das größte, weit verbreitete Missverständnis über Julian Hessenthaler? „Dass ich ein dummer Drogendealer bin. Beides stimmt nicht. Wenn Leute mich auf Twitter primitiv anschreiben, sind sie immer überrascht, wenn ich kühl, aber höflich antworte.“ Was muss man über Julian Hessenthaler wissen? „Wenn man das Buch liest, weiß man alles, von dem ich will, dass man es über mich weiß.“
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 36/2024 erschienen.
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