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Kathrin Gulnerits
©Bild: News/Matt Observe
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"Journalisten interviewen Journalisten"-Formate stehen hierzulande hoch im Kurs. Der Konsument bleibt auf der Strecke. Und keiner merkt es.

Vielleicht war es ja am Dienstag tatsächlich ein unaufgeregtes Gespräch unter Männern; ein bisschen Alphatier-Gehabe. Aber immer das Große und Ganze vor Augen: die Neuausrichtung der Partei und die Verantwortung, die diese Partei für das Land trägt. So weit die rosarote Theorie. In der Praxis war es wohl ganz anders. Schließlich geht es um Macht. Befindlichkeiten. Rechnungen, die noch offen sind. Und dennoch: Wir, die beim Parteigremium der SPÖ nicht dabei gewesen sind – also fast alle in diesem Land – wissen nicht, wie es tatsächlich war. Wie toxisch, wie untergriffig und wie verbal niveaulos. Aber wir können dennoch darüber lesen. Hören. Sehen. Ziemlich viel sogar. Die Medien liefern es uns frei Haus. Weil, wer etwas direkt aus dem "inneren Kreis" hört, von "Insidern", von "befreundeten SPÖlern" – Spin hin oder her – macht es kund. Auf Social Media im Sekundentakt, wer Zeit dafür hat. Ungefiltert. Quellenangabe nicht nötig. Eine Einordnung auch nicht. Die Grenzen zwischen Gerücht und Tatsachenbehauptung sind folglich fließend.

"Durchstechen" heißt das. Es nicht zu tun, erfordert Disziplin. Auf beiden Seiten. Auf Nuancen, etwa ob der Erstplatzierte der Mitgliederbefragung nun mit seinem Rücktritt "gedroht" oder ihn doch nur "angeboten" hat, wird keine Zeit verschwendet. Echtzeit-Journalismus eben. Er steht hierzulande hoch im Kurs. Für meinen Geschmack zu hoch. Dass die Politik Interesse an diesem Spiel hat – geschenkt. Dass die Medien mittun, ja dieses Spiel noch nicht einmal hinterfragen, ist bedenklich. Es ist nämlich nicht unser Job. Aber vielleicht bin ich diesbezüglich naiv und/oder noch nicht vollständig in diesem Land mit seinen Gepflogenheiten angekommen.

Es irritiert, wenn betont wird, dass ein Journalist nicht per Du mit Politikern ist

Dieses SPÖ-Schauspiel in der ureigensten Funktion des medialen Beobachters zu begleiten, ist nämlich das eine. Dem Ganzen eine Bedeutung zuzumessen, bei der alle anderen Themen in den Hintergrund geraten, ist das andere. Vor allem, wenn das mediale Theater viel zu oft nur einem Zweck zu dienen scheint: das eigene Ego zu befriedigen. Anders lässt es sich nicht erklären, dass führende Journalisten dieses Landes stundenlang in diversen TV-Sendungen viel, aber eben nichts sagen. Weil sie es nämlich genauso wenig wissen, wer etwa tatsächlich der nächste Parteichef der SPÖ wird – und weil die Glaskugeln gerade ausverkauft sind. Die Probleme in diesem Land sind so groß wie schon lange nicht mehr. Die Antworten können nicht "Hätti Wari"-Diskussion in Endlosschleife sein. Es ist aberwitzig, wie selbstreferenziell die Medienbranche in diesem Land ist und wie selbstverständlich Sendeminute um Sendeminute mit dem Programm "Journalisten interviewen Journalisten" gefüllt wird. Unrühmlicher Höhepunkt: Am Sonntag wurde unter Beihilfe von gleich zwei Journalisten einen Tag VOR dem Ergebnis der SPÖ-Mitgliederbefragung ÜBER das kommende Ergebnis diskutiert.

Wenn Eitelkeiten und Selbstverliebtheit vor der Sorgfaltspflicht stehen, sollten die Alarmglocken schrillen. Vor allem, wenn der Erkenntnisgewinn für den Zuhörer, Zuseher, den Leser gering ist. Aber um die geht es gefühlt ohnehin immer seltener. Es irritiert, wenn Journalisten sich öffentlich darüber austauschen, wer wann im TV war – Selfies inklusive. Es schmerzt, wenn in Newslettern hervorgestrichen wird, dass ein neuer Redakteur wohl neue Maßstäbe in der Branche setzen wird. Sein Verdienst? Er ist „konsequent mit allen Objekten seiner Berichterstattung per Sie und für Charmeoffensiven von Politikern nicht empfänglich“. Es verwundert, dass es regelmäßig "Offenbarungen" gibt, wer in der Branche wie zu seinem Du mit "Pam" oder "Karl" gekommen ist. Wozu dient das? Der Transparenz? Der eigenen Absicherung? Wo ist die Nachrichtenleistung?

Meine Branche sorgt sich um ihre Glaubwürdigkeit – und erkennt nicht, wie sehr sie selbst für dieses Glaubwürdigkeitsproblem sorgt. Weil Trennlinien noch immer fehlen und die Suche nach ihnen zu schnell beiseitegeschoben wurde. Weil das Gespür für Selbstverständlichkeiten verloren gegangen sind. Weil (zu viel) Starkult längst nicht mehr vor den Medien haltmacht. Und weil im Zweifel eine Begründung immer herhalten muss: Das Land ist eben klein. Da kann man nichts machen. Sie ist billig. Sie wird das Glaubwürdigkeitsproblem nicht lösen.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin  news.at

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