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Jedermann, Sacher und Robert Menasse

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Heinz Sichrovsky

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Was haben "Jedermann" und Sacher mit dem berühmten Schriftsteller Menasse und seiner hochbetagten Mutter zu tun?

Sollten Sie dem Teenager-Alter in demselben Jahrzehnt entreift sein wie ich, so machen Sie sich 1) nichts draus, so schnell wie den noch um ein Jahrzehnt reiferen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika schafft man uns nicht ab. Und 2) lade ich Sie ein, sich zu erinnern, wen wir im Vollbesitz unserer Dünkel mit der größten Vehemenz verachtet haben: das Establishment, kenntlich daran, im Sacher Tafelspitz zu bestellen und sich sommers zum "Jedermann" auf den Domplatz chauffieren zu lassen, alles zu Lasten der werktätigen Klasse.

Einer, mit dem ich ohne Leugnen das Geburtsjahr teile, ist der Schriftsteller Robert Menasse: Inhaber einer jüdischen Musterbiografie für die Dichterlexika und ein scharfer Linksdenker der halben Generation nach Turrini und Jelinek.

Von ihm erreichte mich kürzlich eine Nachricht, die etwas von der elegischen Hellsichtigkeit eines Romans von Joseph Roth hatte: Seine Mutter habe zum anstehenden 90. den Wunsch geäußert, einmal den "Jedermann" auf dem Domplatz zu sehen. Und zur anschließenden Übernachtung, fügte der Sohn stolz hinzu, werde er sie ins Salzburger Sacher einladen.

Am Tag vor der Anreise schrieb er mir wieder: "Ich fragte heute meine Mutter, ob sie sich darauf freue, und sie sagte: 'Ich schaue ja nur noch dem Sterben zu, dem Sterben meiner Generation, dem Sterben der Demokratie, die wir aufgebaut haben, dem Sterben der Vernunft und der Freude auf die Zukunft. Das ist doch ein Trost: ein unsterbliches Sterben zu sehen, denn der Verstorbene kommt jedes Jahr wieder.' Der Satz einer 90-jährigen", fährt da zärtlich der Sohn fort, "traurig, abgeklärt und verblüffend. Ich hätte mir den 'Jedermann' nie angeschaut, wenn es nicht ihr Wunsch gewesen wäre. Aber jetzt werde ich es mit ihrem Blick sehen: unsterbliches Sterben!"

So geht das, wenn man älter und mit wachsender Sorge gewahr wird, wie mit Institutionen, die Jahrhunderte überlebt haben, auch die Geschichte und mit ihr das historische Denken erlischt, ohne das wir der Zukunft wehrlos ausgeliefert sind. Die Mutter, rühmt der Sohn, habe sich im Sacher geborgen und umsorgt gefühlt. Wie beiden der "Jedermann" gefallen hat, erfahren Sie nicht (gut, darf ich andeuten). Dazu haben Sie ja Ihren Kritiker, und der äußert dies:

Sollte man die Arbeit des Kanadiers Robert Carsen in einen Begriff fassen, so lautete der: unprovinziell. Das Gegenteil also des Provisoriums von Michael Sturminger, das als Corona-Begünstigter sieben Jahre unter dem Bühnenboden durchgetaucht ist. Als habe man das Google-Trendbarometer bemüht, wurde beflissene Klein-klein-Aktualisierung getrieben – hatte der Prasser die nonbinäre Phase erledigt, war er im nächsten Jahr ein Klimaschwein. Der Unmut des Publikums wuchs, das Direktorium reagierte, als dem Goldesel Obstipation drohte.

Carsen richtet den Blick wieder auf das Ganze, die Erkenntnis, die das nicht erstklassige Stück zeitlos macht: dass wir uns mit Gier selbst zur Hölle schicken. Die Majestät des nächtlichen Doms, im Vorjahr mit Kulissen niedergespachtelt, thront wieder über dem Ganzen. Die wenigen Versatzstücke, die im Verlauf des Abends hereingebracht werden, verschwinden Stück um Stück. Am Ende wird dem Delinquenten auch noch der Rasenteppich unter den Füßen weggezogen. Solch ein Bild der Einsamkeit wie das des fast entblößten Ausgestoßenen hat man lang nicht gesehen. Inmitten eines unspektakulär großartigen, zu allen Überraschungen und Extravaganzen bereiten Ensembles wächst Philipp Hochmair zu rollenhistorischer Größe. Nur leider nicht gleich: Die Tischgesellschaft erzeugt ein Talmi-Las-Vegas, das an Unterhaltungsetablissements auf Grenzstreifen erinnert. Und die charismatische Deleila Piasko ist an den Turniertanz verschwendet. Eine Rolle im engeren Sinn hat man ihr nicht genehmigt.

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