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Integration ist (keine) Anpassung

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Kathrin Gulnerits

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Der Bundeskanzler fordert Integration durch Anpassung. Das klingt gut, wirft aber Fragen auf

Am Ende bleibt wohl nur ein markiger Spruch über. Eine vage Ankündigung. Eine Wunschvorstellung. Dabei geht es um ein Problem mit Sprengkraft, bei dem dringend Lösungsansätze gefragt sind. Aber um Lösungen geht es nicht, sondern um Stimmung und Aufmerksamkeit. Deshalb muss auch diesmal eine mit Drama in der Stimme vorgetragene Ansage reichen: "Integration ist Anpassung!", so der Bundeskanzler und ÖVP-Obmann bei der Präsentation seines "Österreich-Plans" am vergangenen Freitag in Wels. Es ist eine Ansage, die schon einmal gefallen ist. Nämlich im Wahlkampf der Wiener FPÖ im Jahr 2010.

Gemeint sind natürlich vor allem nicht alphabetisierte Afghanen und das Problem der Zuwanderung aus nicht europäischen Ländern, aber vernommen haben ihn auch all die anderen. Ich muss gestehen, dass dieser Satz bei mir, der Migrantin, etwas auslöst. Und bei dem ein oder anderen wohl auch. 1,7 Millionen leben im Land. Bestenfalls Steuerzahler, aber eben keine Wähler, die es zu umgarnen gilt und die bei der Nationalratswahl Stimmen bringen sollen. Wir, die zwar da sind, aber nicht richtig dazugehören. Deshalb schießen Ansagen, die sich den Themen Migration und Integration widmen, oft über das Ziel hinaus. Gern ohne Rücksicht auf Verluste und einmal über alle drüber - über die "Guten" und die "Schlechten". Viel zu oft ist es ein Hintreten ohne Nachdenken. Nicht immer mit Absicht, aber mit Blick auf den Applaus und in der Hoffnung auf Wirkungstreffer bei jenen, die genau das hören wollen.

Wer ist gut integriert und woran erkennt man das eigentlich?

Aber was heißt "Anpassung" durch die Wahlkampfbrille betrachtet? Jedenfalls Schnitzel statt "Quark mit Kartoffeln"? Jedenfalls die rot-weiß-rote Fahne beim Fußballmatch? Und bloß kein "lecker" im Schulaufsatz? Keine Frage, das sind besonders plumpe Beispiele aus meinem Migrantinnenleben, aber sie drängen sich auf, wenn auf großer Bühne von Anpassung die Rede ist und noch dazu am Ende einer Woche, wo Begriffe wie Vielfalt und Toleranz etwa bei den Massendemonstrationen in Deutschland und Österreich plötzlich einen ganz anderen Stellenwert bekommen haben. Wichtig wäre es, wenn mit Blick auf die Probleme in der Integration gleichzeitig auch sich damit aufdrängende Fragen beantwortet werden: Wer ist gut integriert und woran erkennt man das? Wie viel Anderssein ist gerade noch erlaubt? Wie gut sind eigentlich jene integriert, die aufgrund ihrer "besonderen Verdienste", also einfach so, eingebürgert wurden? Spricht man erst dann von einer gelungenen Integration, wenn sich jemand ohne einen zurückgebliebenen Hauch von Fremdheit angepasst hat? Wenn ich also sage, dass ich "nach Hause" fahre, aber damit nicht mehr Deutschland meine? Bin ich integriert, wenn ich mit keinem (entbehrlichen) Spruch über meine Herkunft rechnen muss? Wer bestimmt (und sanktioniert) am Ende die vermeintliche Nichtintegration? Und was soll die propagierte Idee einer "österreichischen Leitkultur" genau bewirken? Ist es der Versuch, ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu konstruieren? Oder geht es doch nur darum, andere auszuschließen? Also die Erzählung von "wir" und "die anderen" fortzusetzen?

Das sind Fragen, die sich mir aufdrängen. Die weit führen. Für jemanden, der nie in der Fremde gelebt hat, möglicherweise zu weit führen. Ja, geradezu absurd sind. Aber eben weil es grobe Versäumnisse bei der Integration gibt, braucht es eine Idee, wie ein Miteinander gelingen kann. Genauso wie mehr Konsequenz für jene, die sich gegen die Regeln stellen und die Respekt dem Land gegenüber vermissen lassen. Sonst bleibt am Ende wieder nur ein Spruch über. Und die Erkenntnis, dass Integration durch Anpassung eine Forderung ist, die zwar gut klingt, aber weit über das Ziel hinausschießt. Und zum Scheitern verurteilt ist.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin@news.at

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