Ein sonniger, herbstlicher Tag im steirischen Breitenau am Hochlantsch nahe Bruck an der Mur: Der beschauliche Ort beherbergt das zum RHI-Magnesita-Konzern gehörende größte Untertagebergwerk Österreichs. Bergbau – eine Branche, die in der technikfokussierten modernen öffentlichen Welt nur mehr eine Randerscheinung ist, aber dennoch weiter wesentliche wirtschaftliche Bedeutung hat. 400.000 Tonnen Magnesit werden in Breitenau pro Jahr abgebaut, die die Basis für hochwertige und in der ganzen Welt gefragte Feuerfestprodukte sind (siehe Kasten). In Summe dehnen sich hier unter der Erde 30 Kilometer offene Stollen und Strecken aus – nur das Wolframbergwerk in Mittersill ist hinsichtlich des Ausmaßes und der Fördermenge ähnlich groß.
News will wissen, wie in der männerdominierten Branche heute gearbeitet wird und ob das Bergbautum wirklich immer noch so ein Knochenjob ist, wie es heißt. „Ein aussterbender Beruf ist es jedenfalls nicht. Jedes Jahr gehen bei uns vier bis sechs Mitarbeiter in Pension und es gibt viele Bewerber für die offenen Stellen“, sagt Betriebsleiter Bernhard Garber beim Lokalaugenschein. Rund 200 Mitarbeiter sind im Werk, das einen Jahresumsatz von 60 Millionen Euro erwirtschaftet, beschäftigt. Der Job habe heute „wenig mit alten Klischees zu tun“. Die Tätigkeit sei „hoch mechanisiert“ und es werde „mit modernen Maschinen gearbeitet“, ergänzt Werkschef Thomas Drnek: „Es greift so gut wie niemand eine Schaufel an, auch wenn es natürlich noch immer welche gibt.“
Notfallausrüstung
Bevor es losgeht, gibt es noch einen Stopp im Auffahrtsgebäude, wo sich die Bergleute umziehen und wo die Schichtbesprechungen stattfinden: Dort gibt es eine Sicherheitseinschulung und jeder bekommt ein Notfallgerät zum Umhängen – einen sogenannten Sauerstoffselbstretter mit sieben Kilo Gewicht. Der gibt bei Fluchtbedingungen Sauerstoff für 60 Minuten ab; wenn man sich ruhig verhält, reicht er immerhin für vier Stunden. Und jeder erhält eine eigene Grubenlampe, die Licht für zehn Stunden gibt. Die Arbeiter haben zudem alle ein Funkgerät – und sie müssen sich alle drei Minuten bewegen, sonst geht der Alarm los.
Detail am Rande: Die Umkleideräumlichkeiten heißen Kaue – die Weißkaue ist fürs Privatgewand, die Schwarzkaue für die Arbeitskleidung. Und damit sie besser trocknen können, werden die Kleider mittels Seilzügen an die Decke befördert.
Mit dem Sonnenschein ist es jedenfalls rasch vorbei: Mehr als 1.000 Meter geht es in die Tiefe bis auf 232 Meter über Adria-Niveau – fast der tiefste Punkt in der Steiermark. Nicht mit Korbliften wie anderswo geht es in das Reich der Finsternis, sondern mit VW-Bussen – durch ein Portal mit dem Bergmänner-Motto „Glück auf“. Die Straße schraubt sich in Spiralen nach unten. Fünf Kilometer lang ist die Fahrt in die Tiefe, mal holprig, mal ruhiger, dann wieder durch enge Kurven, die nur durch das Scheinwerferlicht ausgeleuchtet werden. Bei Gegenverkehr wird es eng, dann muss reversiert und ausgewichen werden. Gute 15 Minuten lang geht es abwärts; vorbei an sogenannten Sturzschächten und großen Hohlräumen.
Dann sind wir endlich dort, wo wir hinwollten: in einem sieben Meter hohen Stollen, der mittels schweren Geräts und Sprengungen vorgetrieben wird. Ein ziemliches Spektakel, wenn sich die zweiarmige Maschine mit ihren langen Auslegern ins Gestein vorarbeitet: Es ist ziemlich warm, eng, phasenweise ohrenbetäubend laut und staubig – trotz Wasser-Luft-Spülung. 180 PS hat der Dieselmotor, der Elektrobohrer hängt an einer 400-Volt-Leitung.
Bohren und Sprengen
Vier Stunden lang bohrt Christoph Egresich von seiner vollklimatisierten, schalldichten und mit Luftfilterung ausgestatteten Führerkabine aus Sprenglöcher. Dann kommt die nächste Partie: bohrt, sprengt und baut das Material ab, das mit riesigen Lkw abtransportiert und in Sturzschächte geschüttet wird, wo es zerkleinert und mit Förderbändern weitertransportiert wird. Ganze 30 Tonnen macht so eine Lkw-Ladung aus. Egresich ist eigentlich gelernter Maurer, macht den Job seit vier Jahren und er gefällt ihm: „Das ist ein nicht alltäglicher Beruf, aber ich habe viel Freiheit bei meiner Tätigkeit und es gibt ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl in der Mannschaft.“
Ein Vergnügen ist die Tätigkeit unter Tag aber definitiv nicht: Damit genug Luft zum Atmen da ist, gibt es ein ausgeklügeltes Belüftungssystem. Und in Bereiche, wo es stickig wird, wird die Luft über eine 50 Meter lange Rohrleitung angesaugt. „Sonderbewetterung“ heißt das im Fachjargon. 23 Grad hat es hier unten; wenn gearbeitet wird, wird es rasch wärmer – und ab 28 Grad muss laut Vorschrift gekühlt werden. Für Besucher fühlt sich die Atmosphäre jedenfalls ziemlich dicht an; klaustrophobisch veranlagt darf man ohnehin nicht sein. „Hin und wieder kommt es schon vor, dass jemand die Tätigkeit unter Tag nicht aushält“, sagt Drnek.
Dennoch machen die Bergleute ihren Job gerne: Auch weil die Bezahlung gut ist, insbesondere für die Region. 2.400 Euro plus Zulagen – netto sind das rund 2.000 Euro – gibt es im Schnitt als Monatsgehalt. Für die meisten gilt das Motto „Einmal Bergmann, immer Bergmann“. „Jeder Tag schaut anders aus: Ich arbeite mit der Natur und habe noch keinen Tag davon bereut“, sagt Garber: „Und es ist auch nicht mehr so schwer wir früher.“ Günter Scharf ist Schichtleiter und sogenannter Steiger – ein Begriff, der aus Zeiten herrührt, als tatsächlich noch über Leitern gestiegen wurde. Er arbeitet seit 2004 unter Tag und auch ihm gefällt es.
Minderheit Frauen
Mit dabei ist auch Christina Pölzl, eine Studentin der Montanuni Leoben, die hier ihr Praktikum absolviert und sich als Frau unter vielen Männern behauptet hat. Sie habe sich „nie unwohl gefühlt“, sagt sie. „Ich habe alle Tätigkeiten gemacht, die anfallen, bis zum Bohren der Sprenglöcher und dem Abmischen von Sprengstoff unter Tag.“ Eine interessante Erfahrung und jedenfalls sehr nützlich für ihr Studium, so Pölzl, die das Studium aus Technikinteresse gewählt hat. An der Montanuni betrage der Frauenanteil immerhin 25 Prozent, erzählt sie, selbst wenn sich nur einige der Frauen für den Bergbau entscheiden. Auch in Breitenau sind sie in der absoluten Minderheit: Von den 204 Mitarbeitern sind nur rund zehn weiblich, die in der Produktion oder im Labor arbeiten: „Bis vor zwei, drei Jahren hatten wir eine Vermessungstechnikerin, eine sogenannte Markscheiderin, aber die wurde dann abgeworben“, sagt Werksleiter Drnek.
Gearbeitet wird übrigens in zwei Schichten zu 22 Mann ab sechs Uhr früh. Betriebsende unter Tag ist um 21.45 Uhr. Um die Sicherheit zu gewährleisten, gibt es eine eigene Grubenwehr bestehend aus drei Trupps, die regelmäßig Übungen abhalten. Insgesamt sind samt Werkstättenpersonal 63 Mitarbeiter im Bergbau tätig.
Die Hohlräume, die durch das Abbauen der 400.000 Tonnen Magnesit entstehen, müssen wieder aufgefüllt werden. „Aus Gründen der Gebirgsstabilität“, wie Drnek erklärt. „Und zwar mit Taubmaterial aus dem Tagbau.“ Fertige Bohrkammern werden mit Beton wieder zugepumpt.
Der abgebaute Magnesit wird dann in der zum Werk gehörenden Hüttenanlage in bis zu 100 Meter langen Drehrohröfen bei 1.800 Grad gebrannt. Es entsteht dabei Sintermagnesia, die im Werk Veitsch weiterverarbeitet wird – und als feuerfestes Material essenziell für die Grundstoffindustrie und die Erzeugung vieler Produkte von Stahl über Glas bis zu Alu ist. Ohne die Männer unter Tag, die ihren Knochenjob lieben, wären die nicht möglich.
Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Printausgabe 50/2018