Mit 64 Jahren will Hubert von Goisern nicht mehr den Gaudiburschen in Lederhosen geben. Dünnhäutig ist er geworden und verletzlich, aber auch medienscheu: Deswegen gibt er zur Veröffentlichung seines neuen Albums genau dieses eine Interview - um danach wieder abzutauchen
Es war ruhig geworden um Hubert von Goisern. Nach seinem Nummer-eins-Hit "Brenna tuats guat" und der anschließenden Tour zog sich der 64-jährige Alpinrocker aus der Öffentlichkeit zurück - zumindest aus der österreichischen. Goisern unternahm eine ausgedehnte Musikreise durch die USA, die zum Trip der begrenzten Möglichkeiten werden sollte: Als singender Exot in ein fremdes Land zu kommen und jedem egal zu sein, das war für den Globetrotter doch eine neue Erfahrung.
Doch auch die Zustände in der alten Heimat nerven ihn zusehends: Rechtspopulismus auf der einen Seite, Political Correctness auf der anderen und "Fundis in Lederhose", die das ganze musikalisch untermalen - all das machte aus Goisern einen Kandidaten für die innere Emigration. "Ich finde schon sehr viele Menschen und Dinge, die mich umgeben, sehr anstrengend", sagt er.
Erstmals spricht der zweifache Vater - seine Tochter Laura ist 22, sein Sohn Nick 25 - aber auch über seine Familie, seine Frau und seine unkonventionelle Rolle als Pop-Papa.
Hierzulande sind Sie ja eine musikalische Instanz. Aber wie war denn das, als eine Art jodelndes Alien mit Ziehharmonika in die USA zu kommen?
Die Reise in den sogenannten Bible Belt hat mir gereicht, um mein Entsetzen zu wecken. Eigentlich sind uns die Leute, die dort musizieren, künstlerisch ja sehr nahe. Deswegen habe ich mir gedacht: Hier findest du vielleicht auch am ehesten Menschen, die Interesse haben, einen musikalischen Brückenschlag mit mir zu wagen. Ich wollte dieser Entfremdung, die zwischen den Vereinigten Staaten und Europa vor etwa zwanzig Jahren eingesetzt hat, etwas entgegensetzen. Aber ich verstehe nach wie vor nicht, wie die Menschen dort ticken. Jetzt, wo ich mich damit beschäftigt habe, sogar noch weniger als vorher.
Stimmt es, dass es in den Südstaaten einige Musiker gab, die partout nicht mit Ihnen spielen wollten?
Ja. Und ich glaube, das lag in erster Linie daran, dass sich manche Amerikaner einfach nicht vorstellen konnten, dass es irgendeine Bereicherung sein könnte, mit jemandem Musik zu machen, der nicht aus den USA kommt. Natürlich gibt es da auch großartige Ausnahmen, Gott sei Dank. Aber gemessen an der Anzahl der Musiker sind das eigentlich gar nicht so viele. Sehr viele Leute haben gesagt: "Ja, super, wir müssen unbedingt was machen!" Nur passiert ist dann halt nichts. Das ist überhaupt so eine Sache in den USA - diese Eigenschaft, immer alles positiv zu bewerten, obwohl man in Wirklichkeit anders darüber denkt.
So ein Verhalten könnte man aber auch in Österreich und gerade in Wien finden.
In Wien ja, in Österreich nicht. Im Grunde genommen ist man bei uns schon sehr selbstkritisch: Man macht die eigenen Sachen eher nieder, als zu sagen, dass alles ganz toll sei. Aber auf meiner Amerika-Reise ging es ja um Begegnungen zwischen Menschen, die sich vorher noch nie getroffen haben. Begegnungen, bei denen ich mir dann, meinem kulturellen Selbstverständnis zufolge, nicht auf die Brust schlage und sage: "Schaut her, was ich alles gemacht habe!" Ich komme da eher auf dem bescheidenen Weg daher und sage: "Ich würde gerne mit euch Musik machen." Sollte es jemanden interessieren, was ich bisher so gemacht habe, kann man das ja im Internet nachschauen. Die Menschen in den USA dagegen erzählen dir sofort, was sie in den letzten fünf Jahren alles gemacht haben, und dir wird klar: Das, was die erzählen, ginge sich nicht einmal in hundert Jahren aus. Mich schüchtern diese Schilderungen ein - und ich beeindrucke im Gegenzug den Amerikaner mit meiner zurückhaltenden Herangehensweise überhaupt nicht. Da ist es dann ganz schwer, zusammenzukommen.
Sie und zurückhaltend? Worin besteht denn das größte Missverständnis zwischen dem, wie die Leute Sie sehen, und wie Sie wirklich sind?
Ich bin zum Beispiel bei Weitem nicht so lustig und nett, wie die Leute denken. Ich bin jetzt zwar kein Arschloch, aber es geht mir schon vieles auf den Geist, und ich finde schon sehr viele Menschen und Dinge, die mich umgeben, sehr anstrengend.
Ist es dann also das Ziel einer solchen Reise, dass Sie wegkommen von all dem, was die Menschen über Sie denken?
Ja, aber das Ziel ist auch, von sich selbst wegzukommen. Weg von dem Spiegel.
Stichwort Spiegel: Wie ist es denn für einen in die Jahre kommenden Popstar, älter zu werden?
Es ist eigentlich gar nicht schwer. Es gibt zwar manchmal die Momente, in denen ich mir denke: Kannst du dies oder das mit 64 Jahren noch machen oder ist das nicht zu pubertär? Ich reise und musiziere aber nicht, weil ich bei der Jugend vorne dabei sein will. Nein, ich mache das nicht, weil ich etwas beweisen muss, die Reisen passieren mir einfach. Andererseits aber gibt es nur wenige Ziele auf der Welt, wo ich mir denke, dass mir die zu anstrengend sind. Dazu gehören die Berge, also das Bergsteigen und Biwakieren. Da muss ich ehrlich sagen: Das habe ich schon lange nicht mehr gemacht, zumindest nicht mehr in der Kälte. Ich werde zunehmend bequemer, und nach einer Nacht auf dem harten Boden tut mir vieles weh. Aber es geht schon noch.
Muss man denn als Künstler in die Ferne reisen, um den Kopf frei zu bekommen für Neues, oder kann man nicht in die Tiefe der eigenen Herkunft reisen? Können einem bei Wanderungen auf die Goisererhütte in den verschiedenen Jahreszeiten nicht mehr Inspirationen kommen?
Nein, man muss nicht wegfahren, um Inspiration zu bekommen. Obwohl, früher habe ich das schon gemacht: Wenn ich dann von meinen Reisen zurückgekommen bin, habe ich mich total ins Salzkammergut eingegraben und mich sowohl mit den Traditionalisten als auch mit den Feinden der Tradition auseinandergesetzt. Aber heute ist Goisern nicht mehr oder weniger wichtig für mich als etwa die Philippinen oder Kalifornien.
Wenn Sie eine Zwischenbilanz ziehen: Wie viel Ihrer Zeit waren Sie unterwegs und wie viel zu Hause?
Viel mehr unterwegs als zu Hause.
Sie haben ja Familie: Wie geht sich das denn mit dem vielen Unterwegssein aus?
Heute ist das leichter möglich als in der ersten Hälfte der Neunzigerjahre, als ich sehr viel auf Tour war. Es war eine intensive Zeit auf Tour - und eine intensive Zeit, als ich daheim war, jahrelang daheim war. Ich war ja von 1995 bis 2001 nicht auf Tour.
Wie schwierig ist es, wenn ein Elternteil zu Hause ist und die Regeln machen muss, während der andere Teil, der Papa, weg ist und nur im Radio zu hören ist?
Mein Sohn hat mit zwölf Jahren einmal gesagt, als ich nach Hause gekommen bin: "Am ersten Tag war es toll, dass du da warst." Aber am zweiten Tag wurde klar: Ich störe die Ordnung. Und am dritten Tag gab es den ersten Zoff, und mein Sohn hat zu meiner Frau gesagt: "Du musst ihm Zeit geben, er kommt gerade von der Tour, da war er der König, und hier ist er die unbezahlte Hilfskraft." Da muss man sich dann auch wieder unterordnen. Das haben meine Kinder von Anfang an verstanden: dass ich daheim nicht der King bin, sondern dass meine Frau die Strukturen aufrechterhält, nach denen unser Familienleben funktioniert.
War Ihre Rolle da nicht die wesentlich attraktivere?
Das Künstlerleben ist auch anstrengend, und man muss funktionieren - aber es hat etwas Spielerisches. Doch Mutter bist du 24 Stunden am Tag, das ist der wesentlich anspruchsvollere Job. Nichtsdestotrotz sagt meine Frau auch: "Ich möchte das, was du machst, nicht machen müssen." Zum Beispiel die Gespräche mit den Medien.
Wenn man einen so egozentrischen Job hat wie Sie - wie ist das mit der Gleichberechtigung zu vereinbaren?
Als ich meine Frau Hildegard kennengelernt habe, war ich 32 Jahre alt und hatte zum ersten mal einen Kinderwunsch. Und sie hat gesagt: "Wie soll das gehen? Du bist ein brotloser Künstler, der von der Hand in den Mund lebt." Damals hatte ich ein Jahreseinkommen von 14.000 Schilling, also 1.000 Euro. Das war 1984, und das war auch damals nicht viel. Und ich habe zu ihr gesagt: "Weißt du was, ich bleibe zu Hause beim Kind, und du gehst arbeiten. Ich bin Hausmann, so gut es geht, und arbeite nebenbei als Produzent oder mache Filmmusik." Und ich hatte mich eigentlich darauf gefreut, denn ich koche gern. Doch dann sind die Alpinkatzen durch die Decke geschossen, und natürlich hat das auch sie gefreut.
Zurück zu Ihrer USA-Reise: Sie kennen die populistische Seite der österreichischen Politik und nun wohl auch die der amerikanischen - wo liegen denn die Unterschiede zwischen einem Trump-Wähler und einem Hofer-Wähler?
Zunächst einmal natürlich zwangsläufig im Grad der Bewaffnung - aber ansonsten ist da wahrscheinlich kein großer Unterschied. Allerdings gibt es in den USA im Gegensatz zu Österreich eine unglaubliche Armut. Also die Leute bei uns, die sich selbst als arm bezeichnen oder als arm gelten - die verstehe ich nicht! Es gibt sicher Härtefälle für viele Menschen, aber das sind jetzt auch nicht so viele, dass es gerechtfertigt wäre, dass an die 30 Prozent eine solche Partei wählen. Ich verstehe die Sorgen über die Zukunft, aber ich verstehe die Unzufriedenheit mit der aktuellen Situation nicht. In der Politik wird alles schlechtgeredet, und am Ende wählen die Menschen ein paar Hanseln, die keine Ahnung haben, wie man eine Gesellschaft zusammenhält oder wie man mit den Herausforderungen unserer Zeit umgeht. Mein Vater hat immer gesagt: "Als ich jung war, hat der Reichste nicht so viel gehabt wie heute der Ärmste."
Aber Ihr größter Hit, "Brenna tuats guat", ist doch eine Hymne genau an diese Wutbürger. Der Text bedient ja die Einstellung: Wenn die "Großkopferten" so weitermachen, dann geht eh alles den Bach runter.
Die Aussage des Songs ist natürlich schon eine, die in mir lange gegärt hat, und irgendwann im richtigen Moment kommt das dann aus einem heraus und manifestiert sich in Form dieses Textes.
Schön, aber wo ist nun der Unterschied zwischen dem musikalischen Zorn des linken Wutbürgers Hubert von Goisern und dem Zorn der rechten Wutbürger?
Die Rechten machen mit Angst Politik - die Linken vielleicht auch, aber womöglich bin ich auf diesem Auge etwas blinder. Na ja, es gibt ja auch Künstler, die rechts sind, Kunst ist nicht automatisch links. Kunst ist aber auf jeden Fall etwas Feines, mit einer Tiefe. Der populistische Aufschrei hingegen ist einfach nur ein Reflex, der natürlich auch zum Auslöser für Kunst werden kann. Wir leben in einer Zeit, wo man sich von dieser Unterscheidung zwischen links und rechts verabschieden muss. Es geht um die Sache, egal, von welcher Seite man sie betrachtet. Seit etwa 30 Jahren liegt es in der Luft, dass es so eigentlich nicht weitergehen kann, dass es in unserem System zu viel Ungerechtigkeit gibt, dass sich was ändern muss. Und jetzt bricht das eben auf die verschiedensten Arten auf, sei das nun in Person eines Trump, eines Erdoğan oder auch eines Strache. Daran sieht man aber auch, dass es Geschwüre gibt, dass es in der Gesellschaft krankt.
Geschwüre? Ein schwieriges Wort. Nervt Sie eigentlich diese Political Correctness - oder sehen Sie es als Aufgabe der Kunst, Dinge zuzuspitzen?
Ja, die nervt mich, denn genau diese Political Correctness führt ja letztendlich auch zu Dingen wie "Alternative Facts" oder "Lügenpresse". Denn vor lauter Korrektheit dürfen viele Dinge nicht mehr beim Namen genannt werden, und das wiederum führt andauernd zu Tabubrüchen - denn wenn man gar so viele Tabus aufstellt, folgt daraus zwangsläufig, dass sie gebrochen werden. Wir sind jetzt in einer Situation, wo die Sprache wieder zurückgefahren werden muss auf verständliche Aussagen, anstatt immer nur mit der Kirche ums Kreuz zu rennen, damit man irgendwie doch sagen kann, was man eigentlich nicht mehr sagen darf.
Machen Sie sich beim Texten Gedanken über Sprachtabus?
Na ja, wenn ich einen Text schreibe, habe ich mir immer schon ganz genau überlegt: Wie kann dieser Text ausgelegt werden? Ganz kann man das Missverständnis eh nicht aus dem Weg räumen. Aber wenn ich sehe, wie schnoddrig auch manche Vertreter des Qualitätsjournalismus mit der Sprache umgehen, ärgert es mich. Das geschriebene Wort ist interpretierbar, und es geht einfach nicht weg. Das ist eine besondere Verantwortung. Es passiert mir immer wieder, dass ich mir denke: Das hättest du besser ausdrücken können. Aber ich achte seit jeher genau darauf, dass nichts Hingeworfenes oder Leichtfertiges in meinen Texten ist. Ich habe bei jedem Lied, das ich schreibe, das Gefühl: Das ist eigentlich nicht das, was ich will, aber ich kann es nicht besser.
In Ihrem Lied "Stoasteirisch" gibt es die Textpassage "I tua ma hart mit da Lederhosnmusi dort". Hätten Sie das vielleicht besser ausdrücken können?
Ja, das war gemein. Aber wer zieht denn eine Lederhose an und hüpft auf der Bühne herum? Das ist dieses komische Zünftige, da musst du schon einen speziellen Drall haben. Musik hat das Potenzial, Nationalismen zu unterstützen, zum Beispiel in der Volksmusik. Das ist auch der Grund, warum ich mich schon sehr lange mit Volksmusik und Traditionen beschäftige. Man muss diese Denkweisen aufbrechen, Volksmusik kann auch ohne Humptata-Humptata auskommen. Es muss zwar auch die Fundis geben dürfen, man muss das zulassen. Wenn aber die Fundis den Anspruch haben, dass alle so sein müssen wie sie, dann können wir uns gleich die Kugel geben.