In der ÖVP kippt die Stimmung gegen den Parteichef und Türkis-Rot-Pink. Zustandekommen wird die Koalition wohl trotzdem. Es läuft jedoch auf eine qualvolle Partie hinaus
ANALYSE DER WOCHE
In der ÖVP überwog lange Dankbarkeit darüber, dass sich Karl Nehammer die Nachfolge von Sebastian Kurz angetan hat. Und dass er bereit war, die Partei in eine sichere Niederlage bei der Nationalratswahl zu führen. Auch das Verständnis dafür, dass er eine Zusammenarbeit mit Herbert Kickl (FPÖ) ausschließt und mit SPÖ und Neos an einer Koalition arbeitet, war zunächst erheblich. Seit dem ÖVP-Debakel und dem FPÖ-Triumph in der Steiermark dreht sich die Stimmung jedoch.
In der niederösterreichischen Volkspartei sieht man eine „weitere deutliche Warnung“ an die Regierungsverhandler. Landesgeschäftsführer Matthias Zauner adressiert damit zwar nicht Nehammer persönlich, gemeint ist vor allem aber er: Er steht an der Spitze und hat bisher nur die Botschaft „Kein Weiter wie bisher“ ausgegeben. Viele Menschen hat er damit nicht überzeugt: Zwei Drittel der steirischen Wähler verfolgen die Verhandlungen mit Sorge oder Verärgerung.
Abgesänge auf Nehammer und Türkis-Rot-Pink sind jedoch daneben: In der ÖVP gibt es keinen Nachfolgekandidaten mit einer breiten Basis. Gibt es im Übrigen nach wie vor erhebliche Bedenken gegen Blau-Türkis unter einem „Volkskanzler“ Kickl. Auf der anderen Seite tut man sich in Teilen des Wirtschaftsflügels aber schon auch sehr schwer mit der „Andreas Babler-SPÖ“, wächst in Niederösterreich etwa die Befürchtung, dass man bei diesen Rahmenbedingungen erst recht auf Verluste bei den Gemeinderatswahlen im Jänner zusteuert.
Das alles verheißt eine qualvolle Partie: Weder wird man Nehammer stürzen noch Türkis-Rot-Pink unmittelbar sprengen. Man wird aber zeigen, wie unglücklich man über das ist, was da läuft. Auf dass möglichst viele Wähler mitbekommen, dass man sich eh nicht identifiziert damit. Folge: Nehammer muss sich auf eine Opposition in den eigenen Reihen einstellen, die ihm das Leben schwermacht – und auch die Koalition insgesamt schwächt.
FAKTUM DER WOCHE
Linke Parteien sind so weit entfernt von einer Mehrheit wie noch nie
SPÖ, Grüne und KPÖ halten bundesweit und in der Steiermark nicht einmal mehr ein Drittel der Stimmen. Das ist umso alarmierender für sie, als ihnen die Themenlage entsprechen könnte: Es geht um Soziales.
In der jüngeren Geschichte der Bundespolitik ist eine Mitte-rechts-Mehrheit die Regel. Bei der Nationalratswahl Ende September beispielsweise kamen FPÖ und ÖVP zusammen auf 55,1 Prozent der Stimmen. Da kann man sich kaum noch vorstellen, dass Rot-Grün vor nicht allzu langer Zeit als mögliche Koalitionsvariante galt. Einer Mehrheit kamen SPÖ und Grüne zwar auch damals, in den 2000er-Jahren, nur nahe. Mit bis zu 46,4 Prozent verfehlten sie eine solche aber nicht gar so weit wie zuletzt mit 29,3 Prozent.
Nimmt man die KPÖ dazu, kommt man noch immer auf kein Drittel der Stimmen und erhält einen Hinweis auf eine Krise links der Mitte. In der Steiermark ist die Lage der drei Parteien in Summe nicht besser, sondern ziemlich genau gleich übel, ist ihr Stimmenanteil mit keinen 33 Prozent ebenfalls so klein wie noch nie.
Das ist umso alarmierender für SPÖ, Grüne und KPÖ, als ihnen die Themenlage entsprechen könnte: Teuerung ist aus Sicht der Wähler das größte Problem. Hier geht es um Soziales, was Linken ein besonderes Anliegen ist. Befragungen, die das „Foresight“-Institut im Auftrag des ORF regelmäßig durchführt, zeigen jedoch, dass davon eher Freiheitliche profitieren, weniger sie. Ähnlich verhält es sich etwa in Bezug auf Wohnprobleme.
Wie ist das möglich? Eine Erklärung ist, dass sehr viele Menschen der Politik im Allgemeinen keine Lösungskompetenz mehr zuschreiben. Dazu passen würde, dass Freiheitliche vor allem als Angebot punkten, „dem System“ eine Absage zu erteilen. Dazu passen würden aber auch Erfolge, die Linke da und dort sehr wohl noch erzielen: Bei der Salzburger Landtagswahl 2023 sprang die KPÖ von 0,4 auf 11,7 Prozent. Zu tun hatte das ausschließlich mit ihrem Spitzenkandidaten Kay-Michael Dankl und seiner Glaubwürdigkeit, die er sich durch sein Engagement für Hilfsbedürftige über die Jahre erarbeitet hat.