In die Staatsoper kehrt kurzfristig eine legendäre, bald sechzigjährige Rossini-Inszenierung zurück. Warum? Weil die erst vier Jahre alte Neuproduktion Probleme bereitet. Opernregie bleibt eine vertrackte Angelegenheit. Die furiose „Norma“ des Theaters an der Wien zeigt die Möglichkeiten.
Einer Karte für die Wiener Staatsoper habhaft werden zu wollen – und zwar unabhängig von Qualität und Beschaffenheit des Gebotenen –, ist jetzt wieder ein ambitioniertes Unternehmen. So, als habe Corona die Welt nie in unruhigen Schlaf versetzt. Aber versuchen können Sie es ja, am Freitag (21. Februar) in den „Barbier von Sevilla“ zu gelangen.
Sie würden dort ein kurzes, unverhofftes Wiedersehen feiern, das Ihnen eventuell ans Herz ginge: Günther Rennerts Inszenierung mit dem paläozoischen Premierendatum 28. April 1966 hat Generationen (auch meine Frau, meine Töchter und mich) in die Opernnarrheit begleitet. Als das Wunderwerk praktikabler komödiantischer Entfesselung am 10. Jänner 2020 ausgedient hatte, verloren sich auch die Spuren von Fritz Wunderlich, Erich Kunz, Reri Grist, Eberhard Waechter, Hermann Prey, Luigi Alva, Agnes Baltsa, Heinz Holecek, Thomas Hampson, Michael Schade und einem Halbdutzend anderer aus der Champions League in Sachen Rossini. Rennerts „Barbier“ war immer bereit, auch für nicht erstklassige Hausbesetzungen. Man musste nur den so inspirierten wie zweckdienlichen Regieanweisungen durch die Etagen von Dr. Bartolos Haus folgen, und man kam immer richtig an. Auch beim Publikum, 434 Mal.
„Nicht alles, was genial ist, taugt auch für ein Repertoirehaus mit wechselnden Besetzungen“
Wenn die Folien verrotten
Am 28. September 2021 übernahm dann Herbert Fritsch das Kommando, ein Genius schwerelos-anarchischer Spielversessenheit. Das Bühnenbild war quasi abgeschafft, aus scheinbar improvisierter, in Wahrheit perfekt geprobter Pantomime erstand ein Gebäude aus Luft und Spiellust. Ein Clown begleitete stumm kommentierend die Ereignisse, und das Mobiliar beschränkte sich wesentlich auf riesengroße Folien.
Und um die geht es nun endlich in dieser Geschichte. Der früher jederzeit einsetzbare „Barbier“ war zur Rarität geworden – kein Wunder, nichts muss penibler geprobt werden als Improvisation, wenn ein Neueingestiegener kaum einen Sessel zum Anhalten vorfindet.
Und nun kam es bei der erst 22. Vorstellung der Neuinszenierung am 14. Februar zur Krise: Die Folien hatten unter der Lagerung derart gelitten, dass der Abend ernstlich beeinträchtigt war. Das Krisenteam des Folienerzeugers flog aus Deutschland ein, konnte aber nicht rechtzeitig helfen. Also: rasch zwei Mal Rennert, am 18. und am 21. Februar.
Was aus der Episode zu lernen ist, scheint klar: Nicht alles, was genial ist, taugt auch für ein Repertoirehaus mit ständigen Um- und Neubesetzungen. Das gilt auch für Simon Stones definitiv ungeniale „Traviata“, die ständig Videos der Protagonisten zuspielt, also mit jeder Neubesetzung ein mittleres Filmteam beschäftigt.
Soll sein. Aber dass Violettas zentrale Arie „E strano“ mit Fluten von SMS-Nachrichten zugemüllt wird, wenn vor diesen zehn Ausnahmeminuten die Welt den Atem anhalten müsste: Das ist unverzeihlich. So wie auch in Lydia Steiers misslungener Salzburger „Zauberflöte“ die krachende Begleitmusik der Drehbühne zu Paminas g-Moll-Arie.
Was ist Opernregie?
Denn um nichts anderes als um Musikalität der Umsetzung geht es in der Opernregie, um Demut vor der Partitur. Wann und wo das spielt und wie die Mitwirkenden kostümiert sind, ist unerheblich. Oder möchten Sie den Siegfried des Radikalreformers Wagner im Minirock mit Hörnern auf dem Helm antreffen wie anno nazimal und davor?
Ein gelungenes Stück kluger Transformation kann man derzeit im überbuchten Theater an der Wien sehen. Vasily Barkhatovs „Norma“ mit Asmik Grigorian in der Titelrolle ist frei und doch ganz nah am Werk. Mehr noch: Sie kann auch mich betören, obwohl der italienische Belcanto – Rossini, Bellini, Donizetti – unter meinen Herzensanliegen weit hinten rangiert. Wobei ich Rossinis Sarkasmus immer geliebt habe. Aber sollte ich in die Hölle kommen, müssten dort nur die etwa 70 Opern Donizettis in Endlosschleife laufen, um meinem Sündenaufkommen etwas Belastbares entgegenzusetzen. Und auch das Lebenswerk des früh verstorbenen Vincenzo Bellini schien mir wesentlich aus Normas Arie „Casta diva“ (keusche Göttin) zu bestehen.
„Norma“ zeigt es vor
Was sich aber jetzt im Theater an der Wien ereignet, Corona-bedingt mit fünfjähriger Verspätung, also noch aus der Wunderkammer des Intendanten Roland Geyer: Das lehrt doch manches. Zum Beispiel, dass das Haus einst mit Weltbesetzungen gegen die Staatsoper, nicht gegen die Volksoper angetreten ist. Und wie glücklich man den Belcanto aus der artifiziellen Geschliffenheit und grenzmanierierten Primadonnen-Attitüde der Gesangslinien in die Richtung großen Musiktheaters bewegen kann.
Im Theater an der Wien sieht man mitreißende, auf Verdi vorausweisende Musikdramatik. Statt im „Asterix“-Ambiente gallisch-römischer Meinungsverschiedenheiten befinden wir uns in einer Diktatur der Sechzigerjahre.
Eine wunderliche Sekte von Traditionsbewahrern verharrt dort, zum Losschlagen bereit, im labilen Abwarten gegenüber den Machthabern. Asmik Grigorian, eine hoch expressive, unvergessliche Medeengestalt, sprengt triumphal die Fachgrenzen. Die Besetzung rundum ist gut bis sensationell. Und der Mangel an inspirierten Dirigenten für das italienische Fach – hier deprimierend verkörpert durch Francesco Lanzillotta – ist leider kein Spezifikum des Hauses nebst dem Naschmarkt.
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.08/2025 erschienen.