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Hans Zimmer: "Das Leben spielerisch zu verbringen, ist meine Philosophie"

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14 min
Hans Zimmer
©Bild: IMAGO/Future Image
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Er hat zu mehr als 150 Kinohits die Musik geschrieben und zählt zu den weltbesten Filmkomponisten. Für "König der Löwen" und "Dune" gewann der Deutsche Hans Zimmer je einen Oscar. Dabei traute man ihm am Beginn seiner Karriere nicht einmal die Musik zum "Tatort"-Krimi zu.

Sie sind Deutschlands erfolgreichster Komponist. Mussten Sie für den weltweiten Erfolg Ihre Heimat verlassen?
In Deutschland hatte ich zugegebenermaßen so meine Probleme. An mich hat kein Mensch geglaubt. Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Damals war meine größte Ambition, einmal die Musik zu einem "Tatort" zu machen. Doch die Verantwortlichen beim Fernsehen sagten: "Was will denn der? Der kann doch nichts! Der ist ja nicht mal auf die Musikhochschule gegangen!" Anstatt sich meine Sachen mal anzuhören. Aber das ist lange her. Ich bin sicher, dass sich seither hierzulande viel getan hat. Im Ausland ging es einfach viel entspannter zu. Die waren neugierig auf das, was man zu bieten hatte. Die Plattenfirma, bei der ich in London unterkam, hat mich machen lassen. Ich wusste zwar nicht, wie man die Musik zu einem Film schreibt, aber ich habe es hingekriegt.

Stimmt es, dass Sie Ihre Karriere Diana Levinson verdanken, der Frau von Regisseur Barry Levinson?
Absolut! Diana hatte den Film "A World Apart" gesehen, zu dem ich den Soundtrack gemacht hatte. Sie war wahrscheinlich neben meiner Mutter die Einzige, die diesen Film je gesehen hat. Ihr hat meine Musik gefallen, sie hat die CD gekauft und ihrem Mann gegeben. Eines Tages klingelte es und Barry stand vor meiner Tür. Ich durfte dann tatsächlich die Musik zu seinem Kinohit "Rain Man" machen. Das war 1988. Der große Erfolg dieses Films hat mir die Tür nach Hollywood weit aufgestoßen. Es dauerte nicht lange, da bin ich nach Los Angeles gezogen, wo ich heute noch lebe.

Dabei sind Sie als Jugendlicher knapp am Klavierunterricht vorbeigeschrammt. Was ist damals passiert?
Meine Mutter meinte, ich sollte Klavierspielen lernen und schickte mich zu einem anerkannten Klavierlehrer. Eine Woche später stand er vor der Tür und brüllte meine Mutter an: "Entweder er oder ich!" Meine Mutter hat nachgedacht und sich zum Glück für mich entschieden. Der Punkt war, dass mir dieser Klavierlehrer das klassische Klavierspiel aufzwingen wollte. Das fand ich furchtbar langweilig. Ich wollte eigentlich nur, dass er mir hilft und zeigt, wie ich die Musik, die ich in meinem Kopf hatte, auch in meine Finger kriege, um sie auf dem Klavier zu spielen. Das ging natürlich nicht. Also bin ich meinen eigenen Weg gegangen.

Wann hatten Sie das erste Mal das Gefühl, dass Sie dieses Talent haben, Musik zu komponieren?
Im Leben jedes Musikers gibt es verschiedene Phasen. Als Kind ist die Musik ein Spiel. Eine reine Freude. Und ehrlich gesagt, habe ich mir diese Spielfreude bis heute bewahrt. Ich spiele Musik. Wir spielen Musik, meine Band und ich. Als Kind bin ich mit meinen Eltern oft zu Konzerten gegangen oder in die Oper, und ich habe mir immer die Musiker angeschaut und gesehen, wie viel Freude sie dabei hatten zu spielen. Ich habe schon in jungen Jahren darauf bestanden, dass ich immer weiter spiele, das Leben spielerisch verbringe. Das ist meine Lebensphilosophie, wenn Sie so wollen.

Mit den Dingen im Leben spielerisch umzugehen, befreit auch von Zwängen und Ängsten. Ist das die Voraussetzung dafür, der Fantasie freien Lauf zu lassen und kreativ zu arbeiten?
Auf jeden Fall! Zum Glück komme ich aus einer Familie, die keine Scheuklappen hatte und immer sehr aufgeschlossen war, der Kunst und dem Leben gegenüber. Sie haben mir immer über Schwierigkeiten hinweggeholfen, die ich mit den deutschen Lehrern und anderen Autoritäten hatte. Ich bin oft von der Schule geflogen. Nicht weil ich dumm war, sondern weil die einfach nicht kapiert haben, dass ich etwas anders war. Und dass das, was ich machte, vielleicht sogar origineller und interessanter war als das Herkömmliche. Aber sie haben sich keinen Millimeter bewegt.

"Hören ist wichtiger als Spielen", sagten Sie einmal. Ein Satz, der angesichts Ihres immensen musikalischen Outputs verblüfft.
Ich kann Ihnen genau sagen, was ich damit meinte: Wenn ich mit meinen Musikern ein Konzert gebe, dann sind wir nur wirklich gut, wenn wir uns beim Spielen zuhören. Wenn wir miteinander kommunizieren. Einfach hinhören, wenn ein anderer eine neue Idee hat, um sie dann sofort zu klauen und selbst damit weiterzuspielen. Vor allem muss man eins werden mit dem Publikum. Dann funktioniert es. Das geht nur über das Zuhören.

Wie kommt es, dass Sie seit einigen Jahren auf Tournee gehen? Sie haben sich das früher gar nicht getraut.
Richtig. Ich habe mehr als 40 Jahre lang in einem Studio ohne Fenster meine Musik komponiert. Irgendwann haben meine Freunde gesagt: "Du musst jetzt mal raus und dich öffentlich zeigen und deine Musik unters Volk bringen!" Ihr gutes Zureden hat mir den Mut gegeben, es tatsächlich zu versuchen. Seit etwa sechs Jahren gebe ich nun sogar in riesigen Hallen Konzerte.

Ein Konzert ist nur gut, wenn wir Musiker uns beim Spielen zuhören, miteinander kommunizieren

Haben Sie immer noch Lampenfieber?
Und wie! Ich gehe jedes Mal mit schlotternden Knien auf die Bühne. Aber irgendwie kriege ich es dann doch hin.

Stimmt es, dass Sie keine Noten lesen können?
Na ja, ich kann schon Noten lesen. Und wenn ich komponiere, kann ich das auch richtig aufschreiben. Aber wenn Sie mir ein Notenblatt hinlegen und mir sagen, ich soll das spielen, dann flimmert es mir vor den Augen. Wenn ich es aber aus dem Gedächtnis mache, dann klappt es hervorragend.

Der Rolling-Stones-Gitarrist Keith Richards meinte, dass er sich oft nicht mehr an die Songs erinnert, aber seine Finger es sehr wohl tun.
Genauso ist es auch bei mir. Es ist mir schon oft passiert, dass ich gar nicht wirklich weiß, welche Note ich als nächste spielen soll, aber wenn ich aufhöre, darüber nachzudenken, dann läuft es wie von alleine.

Ihre stilistische Bandbreite als Filmmusik-Komponist ist ungewöhnlich groß ...
... was vielleicht daran liegt, dass ich keinen bestimmten Stil durchdrücken will. Und ich bin schlampig. Ich schau mal hier hin, klaue mal dort etwas, dann interessiert mich der Blues, dann die Klassik, dann afrikanische Musik. Die Musik zu "Der König der Löwen" zum Beispiel ist afrikanische Musik mit Mozart. Ich interessiere mich für viele Stilrichtungen.

"Bevor ich Filmbilder sehe, fange ich an, eine Suite für den Film zu komponieren", sagten Sie mal. Wie geht das denn zusammen?
Es beginnt immer so: Ein Regisseur hat eine Filmidee und die erzählt er mir ausführlich bei einem guten Essen und einer Flasche Wein. Da entsteht schon die erste Musik in meinem Kopf.

War das auch bei der Filmmusik zu "Dune" so, für die Sie gerade Ihren zweiten Oscar bekommen haben?
Da war es anders. Der Regisseur Denis Villeneuve und ich haben uns angefreundet, als ich für seinen Film "Blade Runner 2049" die Musik komponiert habe. Denis hat mich bei einem Abendessen gefragt, ob ich die Science-Fiction-Saga "Dune" von Frank Herbert je gelesen hätte. Was ich natürlich sofort bejahte und sagte, dass das Buch in meiner Jungend wie die Bibel für mich war. Das nahm er zur Kenntnis. Dann war einige Monate Sendepause. Irgendwann sagte er, dass er daraus einen Film machen wollte und ob ich Lust hätte, die Musik dafür zu schreiben. Natürlich habe ich sofort zugesagt. Bei Denis konnte ich mir vorstellen, dass er für den "Dune"-Film, den ich schon lange in meinem Kopf hatte, die richtigen Bilder finden würde. Als ich mich dann intensiv mit der Musik beschäftigt habe, fiel mir auf, dass die meisten Science-Fiction-Soundtracks immer so klingen, als wären sie von einem europäischen Orchester aus der Spätromantik eingespielt worden. Bei "Dune" hatte ich endlich die Möglichkeit, neue Musik mit neuen Instrumenten zu erfinden. Und da die stärksten Charaktere im Buch ja die Frauen sind, wollte ich das auch in der Musik abbilden. Ich dachte: Das Einzige, was zu erkennen sein wird, ist diese fantastische Frauenstimme. Um ihren Gesang herum habe ich dann meine Töne gesetzt. Was mich beim Komponieren auch sehr beeinflusst hat, sind die Farben, die im Film benutzt werden oder nicht. Denis wollte zum Beispiel keinen blauen Himmel. Er wollte kein schönes Land, sondern eine Wüstenei, viele Brauntöne, ein hartes Licht. Das hat mich auch sehr inspiriert.

Der kanadische Pianist Glenn Gould hat gesagt, dass die glücklichste Zeit seines Lebens die war, als er Musik aufgenommen hat. Trifft das auch auf Sie zu?
Ich kann das sehr gut nachvollziehen, aber das gilt nicht für mich. Die glücklichste Zeit in meinem Leben ist jeder Tag! Ich finde immer etwas, das mich glücklich macht. Ich bin an einem guten Platz in meinem Leben. Ich bin 64 Jahre alt. Ich spiele Rock-Konzerte. Meine Musik bedeutet vielen Menschen etwas. Ich habe noch Relevanz. Wie könnte ich da unglücklich sein?!

Das ist ein großes Geschenk ...
... das ich mir nicht erarbeitet, sondern erspielt habe. Da komme ich wieder zu meiner Lebensphilosophie zurück, nämlich das Leben spielerisch zu nehmen. Dass ich diese Freiheit habe, ist wirklich ein großes Geschenk. Und ich verstehe mich auch ganz wunderbar mit meinen Kindern. Ich erinnere mich noch gut an die letzte Oscar-Nacht. Ich war nicht in Los Angeles, sondern auf Tournee mit meiner Band. Ich lag schon im Bett um Kraft zu sammeln für den nächsten Konzert-Tag. Da stürmten plötzlich meine Tochter und mein Sohn ins Hotelzimmer, sprangen auf meinem Bett herum und schrien: "Daddy, du hast den Oscar gewonnen!" Also habe ich mir den Bademantel angezogen und bin mit ihnen ins Hotel-Foyer gegangen, wo meine Band eine Party für mich gegeben hat. Das war viel besser, als wenn ich bei der Verleihung gewesen wäre.

Das Interview erschien ursprünglich im News 28+29/2022.

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